BMW M1 – mehr Rennwagen als Ikone
Wir durften einen BMW M1 fahren. Aber es ist dies auch ein Blick zurück in die Entstehungsgeschichte.
Mit verbundenen Augen ist es die perfekte Illusion: Auf den ersten Schlüsseldreh erwacht das kalte Aggregat sofort, mit beeindruckendem Rundlauf. Der erste Gang liegt zwar untypisch links unten, doch er geht locker in die Gasse. Auch die Kupplung kommt leicht, der Wagen lässt sich praktisch ohne Gas anfahren und flaniert locker durch den dichten Ausflugsverkehr auf den Berg.
Doch dort oben, kurz unter dem Gipfel mitten in einer langgezogenen Kehre passiert es dann. Einen Moment zu früh in den nächsthöheren Gang geschaltet, im Anschluss einen Hauch zu viel Gas gegeben und der Wagen bäumt sich auf, bockt, wird unruhig. Einen weiteren Moment später mündet ein Bollerschuss aus den zwei Endrohren, der das ganze Tal erzittern lässt.
Der Moment, in dem die Illusion zerspringt
Der BMW M1 ist kein braver Brauereigaul. Die gefleissige Alltagsarbeit ist ihm lästig. Sein Leben beginnt oberhalb von 5‘000 Umdrehungen, bei voller Last und höchstem Tempo. Es ist eben dort, wo der Hochleistungs-Querstromzylinderkopf mit vier Ventilen zu absoluter Höchstform aufläuft. Wo die Kugelfischer-Einspritzpumpe das Benzin in rauhen Mengen in die Ansaugtrichter nebelt und der sorgfältig berechnete Auspuffkrümmer den 3,5-Liter-Sechszylinder aus vollem Hals brüllen lässt.
Noch heute ist man angesichts der Präzision überrascht. Die Gasannahme bewegt sich im Bereich des Vorhersehens, Lenkung und Schaltung arbeiten mit einer Transparenz und Gewichtung, die man schon völlig vergessen hatte. Dazu kommen Fahrwerk und Bremsanlage, die auch bei gröbster Beanspruchung nie aus der Ruhe kommen.
Für das Talent des BMW M1 gibt es auch 43 Jahre nach seiner Präsentation eine einfache Erklärung. Er war nie einfach nur ein Auto. Er war ein Rennwagen. Einzig und allein erdacht um auf den Rennstrecken dieser Welt Sieg um Sieg einzufahren. Die Strassenversion brauchte es einzig für die Homologation.
Der BMW M1 hatte viele Väter
Euphorisiert von den Erfolgen in der Formel 2, Le Mans-Siegen und unzähligen Meisterschaften mit dem Flügelmonster CSL, reifte der Wunsch bei BMW nach einem echten Sportwagen. Einem Leuchtturm, der die Strahlkraft des Motorsports in die Serie und auf das Image der Münchner übertragen sollte. Schnell war klar, dass ein Topmodell, es hätte als 8er-Reihe noch über dem luxuriösen 7er rangieren sollen, die Ansprüche an Platzangebot und Komfort nicht mit den Lastenhefteinträgen zu Gewicht und Leistungsfähigkeit vereinen konnte.
Der Entwicklungsauftrag wurde von der BMW AG an die BMW Motorsport GmbH und Neerpasch übertragen. Doch zuviel Zeit war bereits verstrichen mit der Vorentwicklung, man musste sich beeilen. Neerpasch nutzte die Chance und liess den BMW M1 als Rennwagen konzipieren, dessen Strassenversion nur eine einfache Ableitung war. Ein Gitterrohrrahmen mit Kunststoff-Karosserie wurde als Lösungsweg definiert, ebenso das Mittelmotorkonzept – denn so würde man nicht nur einen konkurrenzfähigen, sondern vor allem einen siegfähigen Rennwagen bauen können.
Kooperation mit Lamborghini
Für ein solches Fahrzeug war in der noch jungen Motorsport GmbH weder die Konstruktionskompetenz, noch die Fertigungskapazitäten vorhanden. Man wandte sich deshalb an Lamborghini. Die Italiener brachte das Projekt zügig voran — bis Lamborghini Konkurs anmeldete und das Drama seinen Lauf nahm. Man musste sich händeringend um eine Alternative umsehen, selbst eine Übernahme der Sportwagenschmiede aus Italien wurde dem BMW Vorstand von Neerpasch vorgeschlagen, aber wegen zu unabschätzbarer Risiken verworden.
Giorgio Giugaro, der Designer des BMW M1, vermittelte kurzfristig die Firma Marchesi für die Produktion der Gitterrohrrahmen und Trasformazione Industriale Resine für die Fertigung der Kunststoff-Karosserien, während sein Unternehmen Italdesign beides zusammenfügte und das Interieur montierte. Von dort kamen die Rohbauten nach Stuttgart zu Baur, BMW hatte in der Vergangenheit gute Erfahrung in Sonderprojekten mit den peniblen Schwaben gemacht, wo die Fahrzeuge komplettiert wurden mit den aus München angelieferten Aggregaten.
Doch die Fahrzeuge entsprachen nicht den Qualitätsvorstellungen der bayrischen Führungsetage. Mittlerweile war es Herbst 1978 und die Wolken für den M1 wurden noch dunkler. Der politische Entscheid nicht in der Formel 1 anzutreten sorgte für den Abgang von Neerpasch, auch M1-Chefentwickler Braungart verliess das Unternehmen. Nun blieb nur noch Rosche, den „das Auto fast in Grab gebracht hätte“, wie er sich später erinnern sollte.
Phönix aus der Asche
Die Klausur in Sachen Serienfertigung von Strassenautomobilen, die Rosche und sein Team sich selbst auferlegten, sorgte vorerst für einen Stopp des Projekts. Viele Teile wurden gesperrt und eine Überarbeitung angeordnet. Einigen Problemen wurde man aufgrund der komplexen paneuropäischen Logistik nie Herr, weshalb sie Rosche zu einer aussergewöhnlichen Vorgabe zwang: Ein jeder M1 wurde nach seiner Ankunft bei der BMW Motorsport GmbH wieder zerlegt und neu zusammengesetzt. Nur so konnte er für Funktion und Qualität garantieren.
Es war jedem Beteiligten klar, dass dieses Projekt nicht nur eine betriebswirtschaftliche Katastrophe war. Auch die in der M GmbH gebundenen Kräfte, die überhaupt nur durch den unermüdlichen Fleiss, unzählige Überstunden und absolute Loyalität zur Marke vorhanden waren, hätte Rosche gerne andernorts eingesetzt.
Denn Rosche kämpfte nach dem Weggang von Neerpasch an vielen Fronten, besonders aber darum, dass dieser nicht „seinen“ Formel 1-Motor mit zu Talbot nahm. Das Betrauen mit der Fertigstellung des M1-Projekts sah Rosche deshalb zeitlebens als Retourkutsche des Vorstandsvorsitzenden Eberhard von Kuenheim für den Ärger, den er ihm mit dem Verbleib des Motors bei BMW eingebrockt hatte.
Der Arbeit grosser Lohn
Am Ende wurde alles gut. Denn das Team der BMW Motorsport GmbH in der Münchner Preußenstraße hatte ganze Arbeit geleistet. Die Rennmechaniker und Motorsport-Ingenieure haben den italienische Rennwagen-Entwurf serienfähig gemacht. Und vielleicht nie wieder in der Geschichte von BMW hat der Spruch „Vom Rennsport auf die Strasse“ mehr Wahres, als bei BMW M1.
Auch wenn Ferrari 512BB und Lamborghini Countach mit elitären Zwölfzylinder-Triebwerken aufwarten konnten, ein Maserati Bora und ein Aston Martin V8 immerhin acht Zylinder klingen liessen, so ist es eben doch nur der BMW M1, der in tiefster Seele ein reinrassiges Sportgerät war. Und nicht nur das macht ihn zu einem ganz besonderen Automobil, sondern vor allem die Tatsache, dass es einer perfektionistischen Mannschaft in München zu verdanken war, dass genau diese Abstammung im Gegensatz zu allen Konkurrenten auf den ersten Blick nicht zu erkennen war – denn mit verbundenen Augen wähnt man sich in einem ganz normalen BMW.
Der Innenraum ist übersichtlich
Nur beim Platzangebot kann der M1 seine teilitalienische Abstammung nicht verbergen. Er ist nicht nur flach, sondern generell etwas verbaut. Der linke Fuss beispielsweise tritt zielsicher ins Radhaus, statt auf die Kupplung – die ganze Pedalerie ist weit in die Wagenmitte versetzt.
Man kauert dann mehr, als das man sitzt. Zum Schalten muss man das Knie etwas aufrichten, im Kurvengeläuf braucht es dagegen viel Bewegungsfreiheit um das Lenkrad im Griff zu halten. Es ist ein ständiger Kompromiss, man ist im Auto steter Teil der gesamten Bewegung. Und das ist gut so, denn der BMW M1 fordert genau das ein. Er ist kein moderner Spielekonsolen-Sportwagen, er ist ein echtes Fahrerauto.
Wenn man ihn richtig treibt, die Drehzahlen oberhalb der 5‘000er-Marke hält und Brems- wie Einlenkpunkte spät setzt, dann ist der M1 auch heute noch weit vorne am Berg. Doch er zeigt auch seine Tücken. Eine falsche Linie um die Biegung, oder gar zu hohes Tempo, das man mit einem Lupfer oder stärkerem Einlenken noch im Radius korrigieren will, beunruhigen ihn. Er ist nervös in diesen Fällen und es wirkt, als sei er fast beleidigt, dass man von ihm Talente erwartet, die man selbst nicht vorzuweisen vermag.
Doch wer sich ihm hingibt, ihn versteht und die richtigen Eingaben macht, für den gibt es kaum besseres. Der BMW M1 bietet greifbare und vor allem nutzbare Performance. Ist schnell, aber nicht zu schnell. Vor allem aber ist er so herrlich mechanisch, so wunderbar mitteilsam und so ungefiltert in seiner Ansprache. Genau das macht ihn aus: Dieses ganz besondere Gefühl.