Motorsport

Die Revolution: Was in der Formel 1 alles anders wird

Die Formel 1 erfindet sich neu. Ab 2021 werden die Autos nicht nur komplett anders aussehen. Zum ersten Mal in der Geschichte des GP-Sports dürfen die Teams nicht mehr als eine bestimmte Summe ausgeben.

Veröffentlicht am 16.01.2020
Jean Todt, FIA-Präsident
«Zum ersten Mal haben wir die Regeln für die Technik, den Sport und die Finanzen in einem Paket zusammengefasst.»

Explodierende Kosten, vorhersehbare Rennen und eine weiter auseinanderdriften-de Zweiklassengesellschaft haben der Formel 1 in den vergangenen Jahren arg zugesetzt. Zwar behaupten die neuen Besitzer von Liberty Media, die Formel 1
ziehe mehr Leute an die Rennstrecken und vor den TV-Bildschirm als je zuvor, doch die Wahrheit sieht wohl anders aus. In Europa – der Heimat der Formel 1 – hat die Königsklasse des Motorsports längst nicht mehr den Stellenwert von anno dazumal.

Um neue Regeln einzuführen, waren den neuen Strippenziehern lange Zeit die Hände gebunden. Schuld daran ist oder war das Concorde Agreement – die Formel-1-Verfassung, die noch von Ex-Chef Bernie Ecclestone ausgehandelt wurde, und die erst Ende 2020 ausläuft. Im Klartext hiess das für Liberty Media und die FIA: Vor 2021 konnte am aktuellen Regelwerk nur Kosmetik betrieben werden.

So sieht die neue Formel 1 aus

So sieht die neue Formel 1 aus

Abgespeckt: Zwischen dem Frontflügel und dem Seitenkasten sind sämtliche Leitbleche verschwunden.

Abgespeckt: Zwischen dem Frontflügel und dem Seitenkasten sind sämtliche Leitbleche verschwunden.

Cleaner: Das ab 2021 zum Einsatz kommende Formel-1-Auto wirkt aufgeräumt. Auch der Cockpitschutz Halo scheint besser als bisher in das Gesamtbild integriert zu sein.

Cleaner: Das ab 2021 zum Einsatz kommende Formel-1-Auto wirkt aufgeräumt. Auch der Cockpitschutz Halo scheint besser als bisher in das Gesamtbild integriert zu sein.

Zurück zu den Wurzeln: Die Formel 1 setzt ab 2021 wieder auf Groundeffect.

Zurück zu den Wurzeln: Die Formel 1 setzt ab 2021 wieder auf Groundeffect.

Grosser Umbruch

2021 wird nun die grosse Revolution kommen. Kein Stein soll auf dem anderen bleiben. Der GP-Sport erfindet sich neu. «Zum ersten Mal haben wir die Regeln für die Technik, den Sport und die Finanzen in einem Paket zusammengefasst», sagt FIA-Chef Jean Todt. «Damit haben wir dem Sport eine nachhaltige Basis gegeben.»  Exakt zwei Jahre dauerte der Prozess der Regelfindung. Nicht weniger als 13 Entwicklungsstufen durchlief das neue Konzept. Am 31. Oktober 2020 wurde es vom FIA-Weltrat, in welchem Ferrari als einziges Team einen Sitz hat, einstimmig angenommen. Die Baumeister der neuen Formel 1, Ex-Ferrari-Mann Nikolas Tombazis und Pat Symonds, der einst bei Renault unter Vertrag stand, sind stolz auf das Ergebnis, auch wenn einige das Regelkorsett zu restriktiv finden und abschätzig von einer «GP1», also einer Einheitsformel, sprechen.

Ross Brawn, F1-Technikchef
«Die Budgets der Formel-1-Teams sind in nicht mehr vertretbare Höhen gestiegen.»

Für die Regelmacher standen beim neuen Reglement zwei Punkte ganz oben auf der Traktandenliste: Wie senkt man die Kosten? Und wie wird das Überholen einfacher gemacht? Punkt 1 hat man mit einer Budgetdeckelung erreicht. F1-Technikchef Ross Brawn erklärt: «Die Formel 1 wurde ein Opfer ihres eigenen Erfolges. Als Folge davon stiegen die Budgets in nicht mehr vertretbare Höhen. Wir mussten die Teams vor sich selbst schützen.» Ab 2021 darf ein Rennstall «nur» noch 175 Mio. Dollar pro Saison ausgeben. Nicht in dieser Summe inbegriffen sind: die Fahrergehälter (bis 45 Mio. Dollar), die Gehälter der drei bestbezahlten Angestellten (bis 15 Mio.
Dollar), die Motorenkosten (bis 15 Mio. Dollar), die Reise- und Frachtkosten (bis 20 Mio. Dollar) sowie der Marketing-Etat. Somit dürfte der effektive Kostendeckel für die Top-Teams bei rund 250 Mio. Dollar liegen.

Damit nicht mehr Geld ausgeben wird, braucht es eine Kontrolle. Finanzexperten der Firma Deloitte aus Zürich sollen deshalb die zehn Teams überwachen. Schon in diesem Jahr wird – zu Übungszwecken – damit begonnen. Strafen gibt es 2020 freilich noch keine. Wer sich aber ab 2021 nicht an die Budgetobergrenze hält, muss mit drakonischen Sanktionen rechnen. Die Rede ist von Lizenzentzug bis hin zum Verlust des WM-Titels. Ob die Budgetobergrenze bei 175 Mio. Dollar bleibt, ist noch offen. Die FIA behält sich das Recht vor, die Deckelung ab 2024 bei Bedarf neu zu definieren.

Um Punkt 2 auf der Agenda der Regelmacher zu erfüllen, wurde die Technik beschnitten und gewisse Teile standarisiert. Dabei ist die FIA einen neuen Weg gegangen. Während bisher jedes Detail nach Abmessung, Gewicht oder Spezifikation vorgeschrieben war, ist das neue Auto jetzt in 50 Legalitätsboxen und ein Koordinatensystem in X-Y-Z-Ebenen unterteilt. In einigen dieser Boxen herrscht Freiheit, in anderen gelten strenge Vorschriften. «Wir wollten damit Grauzonen eliminieren», erklärt Symonds.

Moscht aus Biomasse

So wirkt der neue F1-Bolide extrem aufgeräumt. Die seitlichen Leitbleche sind verschwunden. Der Frontflügel wächst wieder aus der Nase. Und der Unterboden mit einem grossen Diffusor und diversen Tunnels lässt den Groundeffect, der 1982 verboten wurde, wieder aufleben. Die FIA rechnet mit einem Abtriebsverlust von rund 20 Prozent. Das und ein um 25 Kilogramm höheres Gesamtgewicht senkt die Rundenzeiten – je nach Streckenlänge um bis zu vier Sekunden. Der Vorteil an den neuen Aero-Regeln: Da man die Luft besser nach oben ableitet, wird das Hinterherfahren einfacher. Der Verlust des Anpressdrucks soll sich Stand heute von 32 auf sechs Prozent reduzieren. «Wer mit dem neuen Auto drei Wagenlängen hinter dem Vordermann fährt, sollte bereits wieder saubere Luft haben», prognostiziert Symonds.

Bei den Antriebseinheiten setzt die Formel 1 weiter auf einen 1,6-Liter-Turbo mit zwei Elektromaschinen. Doch schon ab 2021 muss der Kraftstoff zu 20 Prozent aus Biomasse bestehen. Dieser Anteil soll in den folgenden Jahren erhöht werden. Ziel ist es: So bald wie möglich mit CO2-neutralem Kraftstoff zu fahren.

Des Kaisers neue Kleider

Auch sportlich wird sich die Formel 1 ab 2021 in einem neuen Kleid präsentieren. Aus einer Viertagesveranstaltung soll ein Dreitagesevent entstehen. Ein F1-Wochenende wird so erst am Freitagmorgen mit der technischen Abnahme beginnen. Diese Massnahme soll ebenfalls helfen, Kosten einzusparen. Gleichzeitig ist die Rede davon, die WM auf 25 Rennen pro Jahr auszubauen. An potenziellen Veranstaltern fehle es nicht, heisst es. Ob sich die Katze dadurch nicht selber in den Schwanz beisst, bleibt abzuwarten. Die Teams stöhnen schon jetzt, dass man mit 21 Rennen an die Belastungsgrenze stösst. Ganz durchdacht scheinen die neuen F1-Regeln also nicht zu sein. Doch es bleibt ja auch noch Zeit für etwas Feintuning. Entscheidend ist, dass die neuen Besitzer gemeinsam mit der FIA endlich Farbe bekennen. Nur so kann der Fortbestand der Formel 1 gesichert werden.

Christian Eichenberger

Die Baumeister: Die neuen Formel-1-Besitzer drücken der Königsklasse ab  2021 den Stempel auf. Seit Januar 2017 ist Liberty Media mit Firmenchef Chase Carey (rechts) im Besitz der Formel 1. Mit Ablauf des Concorde Agreements Ende 2020 können die Amerikaner ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen von einer neuen Königsklasse verwirklichen. Für die technischen Neuerungen sind Ross Brawn (links), Nikolas Tombazis (Mitte) und Pat Symonds (fehlt) verantwortlich. Die Umsetzung ist Sache der FIA.

Die Baumeister: Die neuen Formel-1-Besitzer drücken der Königsklasse ab 2021 den Stempel auf. Seit Januar 2017 ist Liberty Media mit Firmenchef Chase Carey (rechts) im Besitz der Formel 1. Mit Ablauf des Concorde Agreements Ende 2020 können die Amerikaner ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen von einer neuen Königsklasse verwirklichen. Für die technischen Neuerungen sind Ross Brawn (links), Nikolas Tombazis (Mitte) und Pat Symonds (fehlt) verantwortlich. Die Umsetzung ist Sache der FIA.

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