70 Jahre Hydropneumatik-Federung

Auf Wolke Citroën

Wer an Fahrkomfort denkt, nennt unweigerlich Mercedes oder Rolls-Royce. Diese schauten vor 70 Jahren jedoch ziemlich bedröppelt nach Frankreich, wo Citroën die Hydropneumatik-Federung erfand.

Veröffentlicht am 12.10.2024

Das aktuelle Fahrzeug-Portfolio von Citroen gilt jetzt nicht gerade als Synonym für vierrädrige Bequemlichkeit. Dabei war bereits der Citroën 2CV eine automobile Komfortzone. Doch die Franzosen hauten vor 70 Jahren so richtig einen raus: die Hydropneumatik. Statt klassisch mit einer Feder-Stossdämpfer-Kombination wird damit jedes Rad durch den Kolben eines Hydraulikzylinders mit einer Federkugel verbunden. Diese wiederum ist mit Stickstoff gefüllt und wird durch eine Membran von der Hydraulikflüssigkeit getrennt. Netter Showeffekt: Solange das Hydrauliksystem drucklos ist, steht kein Federweg zur Verfügung. Doch nach dem Motorstart wird der Druck aufgebaut und die gesamte Karosserie hebt sich auf seine Idealhöhe an. Oh là là!

Aladins fliegender Teppich

Das hydraulische Fahrwerkssystem, das 1954 präsentiert wurde, bot ein komfortables Fahrerlebnis, das seinesgleichen suchte. Aladins fliegender Teppich kam diesem Fahrgefühl vielleicht noch am nächsten. Das erste Serienfahrzeug, das in den Genuss des Teppich-Feelings kam, war der Citroën Traction Avant 15-Six-H – allerdings nur an der Hinterachse. Ein Jahr später schossen sich die Vorstadt-Pariser mit dem DS endgültig in den automobilen Himmel. Denn die Göttin auf vier Rädern, von der französischen „Déesse“ abgeleitet, brachte die Hydropneumatik an alle vier Räder und liess das Publikum vor Staunen verstummen. Besonders auf heftigen Bodenwellen zeigte das Fahrwerk seine enorme Stärke. Bereits am Präsentationstag des DS 19, dem 5. Oktober 1955, gingen über 12’000 Bestellungen bei Citroën ein. Insgesamt wurden über 1,4 Millionen DS produziert.

Rettung des Präsidenten de Gaulle 

Die DS hatte allerdings noch einen weiteren Moment des Ruhms. Bei einem Attentat auf Präsident Charles de Gaulle 1962, konnte dieser trotz eines zerschossenen Reifens flüchten.

Ob das ohne Hydropneumatik auch geklappt hätte? Na klar. Trotzdem wurde die DS zur heiligen Reliquie, wovon noch viele nachfolgende Citroëns profitierten. Wie zum Beispiel der Citroën SM. Dieser kombinierte die Hydropneumatik mit einem Maserati-Motor und wurde zur eleganten Präsidenten-Kutsche, wie es sich für die Grande Nation gehört. 

Wer kategorisch den Mainstream ablehnte, konnte den SM sogar mit einem Wankelmotor bestellen. Hauptattraktion blieb die Hydropneumatik; auch als vor 50 Jahren der CX als Nachfolger der DS auf den Markt kam. Citroën hatte dafür das Fahrwerk nochmals überarbeitet. So fuhr der CX in einer eigenen Komfort-Liga. Doch Citroën hatte nicht nur den Blick nach oben gerichtet. Der Citroën GS brachte 1970 das innovative Hydropneumatik-Fahrwerk in die untere Mittelklasse. 

Hydractive-Technologie

Weitere Fahrzeuge wurden zu angenehmen Sänften. 1982 folgte der BX, der sich mit insgesamt 2,3 Millionen Einheiten bestens verkaufte. Mit der überarbeiteten Version der Hydropneumatik entstand die Hydractive-Technologie, die 1989 im XM in Serie ging. So gelang der Spagat, das komfortable Fahrwerk mittels elektronischer Steuerung reaktionsschneller zu machen. Damit konnten Schwingungen noch gezielter gedämpft werden. Auch beim Citroen Xantia 1993 konnte man das Hydractive-Fahrwerk elektronisch anpassen. 

Schleichender Abschied vom fliegenden Teppich

In den Folgejahren versuchte Citroën das Erbe der Hydropneumatik in der Luxusklasse zu etablieren. Der 2005 vorgestellte C6 sollte als moderne Interpretation von DS und CX verstanden werden. Doch die Begeisterung der Kunden blieb aus. So blieb der C6 ein missverstandenes Luxus-Experiment. Es folgte der schleichende Abschied des «fliegenden Teppichs». Mit dem C5 verabschiedete sich Citroen 2017 ganz von der Technologie. 

Was waren die Vor- und Nachteile des Systems?

Die hydropneumatische Federung von Citroën war zwar ein wahres Wunderwerk der Technik, doch nicht jeder Fahrer fühlte sich wohl auf Wolken zu schweben. Gerade Junglenker empfanden zuweilen das rückmeldungsarme „Schwammige-Kissen-Syndrom“ als störend bis unsicher. Das wabbelige Fahrgefühl musste erstmal mehr verstanden werden. Eigentlich gab es keinen Grund zur Sorge: Die Strassenlage blieb fest, auch wenn die Karosserie wie am Oktoberfest schunkelte. 

Ein weiteres kurioses Highlight: Die Bremse! Statt des üblichen Pedalwegs, bei dem man stetig den Druck aufbaut, wurde bei den Citroën-Modellen nur kurz ein Ventil geöffnet. Besonders witzig war das bei der DS und SM: Statt eines Pedals drückte man einen Gummiknopf, den sogenannten Bremspilz. Auch das musste gelernt und geübt werden, denn drückte man zu fest, klebte man am Lenkrad. Wer heute die Möglichkeit hat, einen Citroen zu fahren, sollte darum tief ins Fahrwerk reinhorchen, um nicht tief ins Portemonnaie greifen zu müssen.

Mit der neuen Premiummarke DS Automobiles wollte man zwar wieder eine innovative Zukunft begründen. Die neue adaptive Federung im DS 7 setzte auf kamerabasierende Strassenscannung, um die Dämpfer reaktionsschnell anzupassen. Eine passable Lösung, die jedoch bei weitem nicht so innovativ war wie das Fahrwerk der insgesamt fast zehn Millionen Hydropneumatik-Fahrzeuge.

Text: GAT

Bilder: Citroën

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