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Citroën XM V6 - Die letzte Göttin

Citroën DS und CX hinterliessen dermassen grosse Fussstapfen, dass jeder Nachfolger blass aussehen musste. Mit dem XM gelang Citroën die Quadratur des Kreises – wohl zum letzten Mal.

Veröffentlicht am 27.08.2023

Citroënisten aller Generationen fürchteten sich regelmässig vor dem Ende eines geliebten Modells: Gibt es ein Leben nach dem Traction Avant oder nach dem Döschwo? Kann man die Göttin je toppen? Wir wissen es heute, denn immer wieder wurden neue Ikonen geboren. Citroën schuf mit GS und CX neue 1970er-Jahre-Highlight, die wiederum in den 1980ern von Geniestreichen wie BX oder XM beerbt wurden. Zugegebenermassen kamen auch Banalitäten à la Saxo, ZX, Xsara oder C5 auf die Strassen.

Den grossen und grossartigen Citroëns schlug die letzte Stunde am 13. Oktober 2008, als der Zusatz «DS» eingeführt wurde, der schliesslich 2014 zur Eigenmarke mutierte. Spätestens seit da ist Citroën nur noch Basis, DS ist jetzt Citroën. Unser XM darf zu seiner Zeit, die von Frühling 1989 bis Herbst 2000 dauerte, noch Citroën heissen und munter die obere Mittelklasse und sogar die Oberklasse aufmischen. Auch wenn er noch nicht den Sammlerstatus seiner Vorgänger geniesst, muss man ihm doch attestieren, dass er die Citroën-Flamme auf sehr hoher Stufe brennen lässt.

DS und CX als Vorbilder

Designer und Konstrukteure wissen, was der Citroën-Liebhaber sucht: viel Platz, viel Komfort, viel Design. Sie nahmen sich die wichtigsten Parameter zu Herzen, also einen überlangen Radstand von 2,85  Metern, ein Fondraum zum Schwelgen und dazu ein Interieur, das mit edlen und gemütlichen Materialien ausstaffiert ist. Dazu kommt die in Frankreich sehr populäre Heckklappe mit variabler Rücksitzbank, deren Praxisnutzen nicht wegzudiskutieren ist. Leider geben Fliessheck und Heckklappe dem Franzosen etwas Alltägliches, sie nehmen die Noblesse à la Mercedes S-Klasse, die man sich auch mit viel Phantasie nie als Fliessheck vorstellen könnte.


Die Spezial-Heckklappe mit zweiter Heckscheibe bringt typische Citroën-Extravaganz.

Daher versuchen die Designer, die Illusion eines Stufenhecks zu erzeugen, indem sie ein Bürzel schaffen und die Heckscheibe nicht direkt in die Rückwand geht. Zudem läuft der Pavillon dank schwarzer Säulen und «schwebendem», wagenfarbigem Dach ums ganze Auto. Im Innenraum befindet sich hinter den Köpfen der Fondpassagiere eine weitere Glasscheibe, die sie vor Luftzug schützt, wenn der Hotelpage die Koffer einlädt. Damit darf man sich sehen lassen. Allerdings ist ein Citroën niemals oberklassig im Sinne von elitär. Das waren auch die Vorgänger nie. Durchdacht, genial, nonkonformistisch, aber nie überheblich. Beim XM wurde wohlweislich vermieden, die Vorgänger zu zitieren oder einen Retrolook herauf zu beschwören.

Wohnzimmeratmosphäre

Schwarze Dachholme lassen das Dach des XM scheinbar schweben.

Der 4,71  Meter lange XM wirkt mit seiner kantigen Grundform und den vielen horizontalen Linien sehr italienisch. Bertone ist denn auch gemeinsam mit der Inhouse-Designabteilung für die eigenständige und unverkennbare Form verantwortlich. Der von Heuliez gestaltete Break ist leider weniger stimmig geraten. Die Passagiere auf allen Plätzen sind äusserst generös untergebracht. Kopf- und Beinraum gibt es in Hülle und Fülle, die Sitze sind bequem, die Kunststoffe wirken hochwertig, die Türen sind mit Stoff bezogen und mit Kunstholzeinlagen bestückt, die Ausstattung in unserem «Exklusive» ist üppig.


Knautschige und urgemütliche Sessel verströmen heimeliges Flair.

Trotzdem bleibt der XM ein Familienwagen. Die Fondsitzfläche lässt sich anheben, die Rückenlehne sich geteilt abklappen. So entsteht ein riesiger Kofferraum, der schon fast mit kombimässigen Dimensionen aufwartet. Es gibt wohl kaum ein Auto, das den Spagat zwischen Top-Limousine und Familienkutsche so perfekt hinbekommt.

Neuer V6 zum Schluss

Ein Citroën wurde nur ausnahmsweise von mehr als vier Zylindern vorangebracht wie etwa der Maserati-­getriebene SM. Selbst die luxuriöse DS 23 oder der CX GTi kamen mit vier Töpfen aus. Beim XM sind es der Zweiliter mit oder ohne Turbo sowie die 2,1 oder 2,5  Liter grossen Diesel, die das Gros der Bestellungen ausmachen. Aber wer in der höheren Liga mitspielen will, braucht einen Sechszylinder. Den gibt es in Frankreich natürlich, und so kommt Citroën in den Genuss, den PRV-V6 unter seine Hauben zu pflanzen.


Das Beste kommt zum Schluss. In diesem Fall der verbrauchsärmere, stärkere V6 zum Ende der Produktionszeit.

Wir erinnern uns: Peugeot, Renault und Volvo (PRV) taten sich zusammen, um gemeinsam einen V8 zu entwickeln. Die Ölkrise kappte zwei Zylinder, es wurde daraus der unkultivierte und durstige Europa-V6, der weder seine Anbieter – nebst PRV auch Alpine, Talbot, Citroën, Lancia, De Lorean oder Venturi – noch die immerhin 900'000  Kunden ganz glücklich machte. Der drei Liter grosse 90-Grad-V6 leistet im XM 167 oder 200 PS und treibt wie nicht anders zu erwarten die Vorderräder an und bleibt bis Frühling 1997 in Angebot. Dann kommt die Wachablösung in Form eines konzerneigenen 60-Grad-V6 mit erneut drei Litern Hubraum und 190 PS, wobei auf dem Schweizer Markt 194 PS angegeben werden. Er wird nun mit Zahnriemen statt Kette angetrieben, verbraucht weniger, läuft ruhiger und ist deutlich schneller. Ein handgeschalteter XM V6 rennt in 8,8  Sekunden auf 100 km/h und ist 225 km/h schnell.

Unschlagbare Argumente

Genau dieser Motor, allerdings mit Viergang-Automat, werkelt im XM des letzten Modelljahres 2000 von Alex Sala. Er ist schon seit Kindesbeinen Citroënist; der Vater fuhr eine ID 19. Salas Partnerin, eine Galeristin, schwärmt zudem von ihrem XM, den sie 14 Jahre lang chauffierte. XM-Spezialist Garage Ochsner in Elgg überlässt ihm nicht nur ein sehr schönes Exemplar in Topausstattung, sondern sorgt sich auch liebevoll um die exotischen Franzosen. «In welcher Limousine kann man schon eine Le-Corbusier-Liege komplett verstauen?», fragt Sala.


Sänftenartiger Komfort dank Hydropneumatik, die Spezialisten gut reparieren können.

Das sind natürlich unschlagbare Argumente. Dass der XM zudem einer der qualitativ hochwertigsten Citroën ist, spricht auch für den Kauf. «Bisher hatte ich nie Probleme. Selbst Rost ist kein Thema. Die Hydropneumatik hat der Spezialist gut im Griff, die Ersatzteillage ist prima, und im Winter ist der XM geradezu sensationell. Wer ein gepflegtes Auto ohne Servicestau kauft, wird viel Freude haben», erklärt Sala. Nach 333'405  Exemplaren lief im Jahr 2000 die letzte Limousine vom Band, beim von Heuliez gefertigten und in der Gesamtzahl enthaltenen Break war schon früher Schluss.

Der letzte grosse Citröen


Die Reize des XM liegen in seiner Zurückhaltung und den vielen kleinen Design-Details.

Vom CX wurden über 1,1  Millionen, von der Göttin fast 1,5  Millionen Exemplare gefertigt. Vielleicht war die Zeit der grossen Franzosen einfach vorbei, vielleicht lag es auch an einer verfehlten Modellpolitik. Die Nachfolger C5 von 2001 und selbst der exzentrische C6 von 2005, der den mittelmässigen C5 nach oben ergänzen sollte, konnten optisch und technisch nie mehr an die alte Tradition anknüpfen. Der zweite C6 wird nur noch in China angeboten, der DS 9 ist ebenfalls ein Chinese. Das macht den XM tatsächlich zum letzten grossen Citroën.

Technische Daten Citroën XM 3.0 V6-24 Aut. (1997)

60-Grad-V6, Benziner, 24 Ventile, 2946 cm3, B×H 87×82,6 mm, 143 kW/194 PS bei 4000/min, 64,6 PS/l, 267 Nm bei 4000/min, 4-Stufen-Automat, Vorderradantrieb, 8,2 l/100 km, 0-100 km/h 10,2 s, Spitze: 230 km/h, L/B/H: 4710/1795/1390 mm, Radstand: 2850 mm, Reifen v./h.: 255/65 VR15, Leergewicht: 1550 kg, Kofferraum: 540–1460 l, Tank: 80 l, Preis 1997: ab 51'300  Franken (Comfort Aut.), Preis 1983: ab 39'800  Franken, Preis aktuell: 10'000–15'000 Franken (Zustand 2).

Text: Stephan Fritschi
Fotos: Markus Kunz, auto-illustrierte

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