

Das L-Wort – Mercedes übt Bescheidenheit
Jahrelang wollte sich Mercedes im Luxus-Olymp niederlassen. Jetzt rollt man offenbar zurück auf den Premium-Parkplatz – und das wirkt nicht ganz so freiwillig.
In Stuttgart gibt es derzeit ein Wort, das man nur noch flüstert, wo man es früher laut posaunte: Luxus. Früher stand es in jeder Präsentation, auf jeder Folie und vermutlich auch auf jedem Kaffeebecher – oh, Verzeihung: Kaffeetasse – im Vorstand. Mercedes wollte nicht mehr nur Premium sein. Man sah sich eher zwischen Hermès und Cartier als zwischen BMW und Audi. Das Problem: Die Kundschaft wollte einfach gescheite Autos, keine Haute Couture auf vier Rädern.
Ola Källenius, Architekt dieser Glitzerstern-Offensive, steht nun öffentlich im Gegenwind: Margen im Sturzflug, Absatz hinter BMW, AMG noch weiter hinter M. Und als Kirsche auf der Sahne: eine S-Klasse, die weniger Schlagzeilen macht als ein TikTok-Video mit einer Influencianerin, die vor ihr tanzt. (Versteht das jemand, warum die in jedem Video eigentlich immer tanzen müssen?! Bin vermutlich zu alt, um das zu begreifen…)
Die Investoren sind ungnädig, der Betriebsrat spricht von einer «Kultur der Angst» und die Belegschaft fragt sich, ob man die derzeit kursierende Abfindungstüte nicht mal genauer anschauen sollte. Bettina Fetzer, die Marketing-Chefin der Luxusstrategie, geht – ihre Nachfolgerin Christina Schenck kommt aus dem Finanzressort. Dass Mercedes Luxus kann: unbestritten. Dass jeder diesen Luxus auch will: deutlich fraglicher. Der Schwenk am Marketinghebel lässt sich so beschreiben: von unlimitierter Kreditkarte zum Taschengeld mit Haushaltsbuch.
Das Gute daran
Was das bedeutet? Substanz statt Selbstdarstellung. Technische Kompetenz soll wieder in den Vordergrund rücken. Die neue Devise: weniger Influencer auf Yachten, mehr Ingenieure am CAD-Rechner. Bei der Präsentation des «Entry Luxury»-Mercedes CLA war der Raum statt mit Fachjournalisten vor allem mit TikTok-Sternchen gefüllt, die um das goldene Kalb tanzten. Vielleicht hat man es eingesehen, dass des Guten zu viel war.
Daher setze man auf das neue Programm «Next Level Performance», was für die Modelle wie auch für das Unternehmen selbst gelten soll. Kosten senken, Modellvielfalt reduzieren, effizientere Fertigungsschritte. Bis 2027 sollen 36 neue Modellvarianten dafür sorgen, dass Mercedes wieder als Synonym für Premium werden soll. Ebenfalls interessant dabei, dass mehr als die Hälfte der neuen Modelle von Verbrenner- als Elektromotoren angetrieben werden sollen.
Als aussenstehender Beobachter wünscht man sich, Mercedes würde sich wieder auf seine wahren Stärken besinnen. Die haben sie zweifellos – ein bisschen mehr und schwäbische Demut und Tüchtigkeit und man taucht bei BMW zumindest mal gross im Rückspiegel auf. Warten wir es mal ab. In Stuttgart darf man jetzt sogar wieder ohne schlechtes Gewissen «Premium» sagen.
Text: GAT
Bilder: Mercedes