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Doppelmoral am Steuer

Es scheint, als wüssten wir alle ziemlich genau, was gutes Fahrverhalten ist. Uns gelingt es leider nur zu selten, unsere eigenen Regeln zu befolgen. Eine Studie analysiert schlechten Angewohnheiten wie Alkohol, Rasen und Smartphone-Nutzung.

Veröffentlicht am 26.01.2025

Wir alle kennen sie: Diese perfekten Autofahrer, die nie auch nur einen Hauch von Regelbruch wagen, stets nüchtern und konzentriert am Steuer sitzen und ihre Smartphones wie heisse Kartoffeln ignorieren, während sie die erlaubte Höchstgeschwindigkeit um kein einziges km/h überschreiten – zumindest in ihrer Vorstellung. 
Doch eine von Motointegrator und DataPulse Research durchgeführte Analyse zeigt, dass die Realität auf Europas Strassen eine völlig andere ist. Und seien Sie ehrlich: Wir alle gehören auch dazu! Die Untersuchungen zeigen, dass viele europäische Autofahrer selbst riskantes Verhalten im Strassenverkehr praktizieren, aber von anderen erwarten, sich an die Verkehrsregeln zu halten. Die Analyse untersuchte sieben problematische Fahrgewohnheiten wie Alkohol- und Drogenkonsum am Steuer, Geschwindigkeitsüberschreitungen und das Nichttragen des Sicherheitsgurts. So wurde hergeleitet, dass viele Menschen bestimmte Verhaltensweisen verurteilen, sie aber dennoch selbst praktizieren.
 
Um diese Diskrepanz zu quantifizieren, berechnete man für jedes Land eine sogenannte „Heuchelei-Rate“. Diese setzt sich aus zwei Faktoren zusammen: dem Prozentanteil der Menschen, die ein Verhalten für inakzeptabel halten, kombiniert mit dem Anteil, der ebendieses Verhalten selbst an den Tag legt. Um die Schwere des Vergehens besser in einen Kontext zu setzen, wurde für jedes Verkehrsdelikt ein Gefährlichkeitsfaktor in die Wertung miteinbezogen.
 
Zusammenfassend bewies die Studie, dass Bosnien und Herzegowina, gefolgt von Griechenland, Luxemburg und Finnland (sorry, Vesa!) die heuchlerischsten Autofahrer hervorbringen. Die Piloten mit dem am wenigsten heuchlerischen Fahrverhalten sind in England, Deutschland und Polen zu finden. Jaja, alles Streber!

Schaut man sich die Details an, findet man überraschende Ergebnisse:

 
1. Racing is life
Der grösste Widerspruch zwischen Haltung und Handeln findet sich bei Geschwindigkeitsüberschreitungen. 13 Prozent der Befragten halten es für akzeptabel, zu schnell zu fahren, und rund die Hälfte gibt zu, zu schnell unterwegs zu sein. Der absolute König der Doppelmoral: Griechenland. Hier finden zwar nur sieben Prozent der Menschen zu schnelles Fahren okay – aber 57 Prozent tun es trotzdem. Zwar gilt der optische und akustische Geschwindigkeitswarner in Neufahrzeugen als Pflicht, doch die häufige Fehlfunktion nervt und lässt uns noch vor Fahrtantritt die Systeme deaktivieren. In Ruhe rasen bleibt somit Verkehrsdelikt Nummer 1.
 
2. Hörer am Ohr
Auch zum Telefonieren nehmen viele Autofahrer während der Fahrt noch den Hörer ans Ohr. Während nur drei Prozent der Europäer Verständnis dafür haben, fuhr in den vergangenen 30 Tagen rund ein Viertel von ihnen telefonierend durch die Gegend. Die Zahlen scheinen in Zeiten von CarPlay und Freisprecheinrichtungen sehr hoch. Das Telefon während der Fahrt genutzt zu haben, obwohl dies in allen Ländern als illegal gilt, ist das eine. Die Daten zeigen allerdings auch, dass trotz Verbote eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz für die Nutzung von Handys während der Fahrt besteht.
 
3. Bildschirmkontrolle
Problematischer ist das Überprüfen von Nachrichten und Social-Media-Kanälen während der Fahrt. Ja, ja, richtig, dass das Smartphone während der Fahrt in die Tasche gehört. Viel zu leicht wird dem Sirenengesang des Mobiltelefons nachgegeben. Obwohl nur etwa fünf Prozent der Menschen diese Blindfahrt akzeptieren, geben rund 27 Prozent der Fahrer zu, dies in den letzten 30 Tagen getan zu haben. Auch in Ländern mit strengeren Fahrvorschriften, wie England und Deutschland, checkt rund ein Fünftel der Fahrer ihre Online-Kanäle während der Fahrt.
 
4. Nichts kann mich halten
Ein weiteres häufiges Vergehen ist das Nichttragen des Sicherheitsgurts, obwohl dies die wichtigste Massnahme zur Unfallvermeidung ist. Moderne Autos lassen sich ja vor lauter Anschnallhinweisen kaum mehr beruhigen. Mit grossem Vorsprung tragen fast die Hälfte aller Piloten in Bosnien und Herzegowina keinen Sicherheitsgurt. Jeder zweite Autofahrer riskiert also im Falle eines Unfalls, sein Fahrzeug durch die Frontscheibe zu verlassen. Mit knapp 27 Prozent folgt Griechenland. Im europäischen Schnitt ist jedoch nur rund jeder Zehnte gurtlos unterwegs.
 
5. Mit schlechtem Vorbild voran
Sich selbst nicht anzuschnallen, mag ja man noch als bescheuert durchgehen lassen, seine Kinder jedoch nicht anständig zu sichern, ist einfach nur grob fahrlässig. Etwa ein Viertel der Autofahrer in den Niederlanden gab zu, in den letzten 30 Tagen ihre Kinder nicht vorschriftsmässig gesichert zu haben. Besonders pikant ist, dass davon nur rund zwölf Prozent auf den eigenen Gurt verzichtet haben. Also selbst schützen, ja, aber bei den lärmenden Blagen in Reihe zwei lässt man es darauf ankommen.
 
6. Eishockey und Kanufahren
„Alles okay“ und „kann noch fahren“: Alkoholkonsum am Steuer bleibt in Europa ein grosses Problem. Etwa anderthalb bis zwei Prozent der Autofahrer in Europa waren in den vergangenen 30 Tagen mit zu viel Promille unterwegs. In Luxemburg schleichen sich die meisten Trunkenbolde hinterm Steuer an. Rund ein Viertel gaben dieses Verhalten zu, dabei halten nur vier Prozent der Luxemburger dieses Verhalten für akzeptabel.
 
7. Durchgezogene Linie
Fahren unter dem Einfluss von Drogen ist laut der Analyse eher selten, wird jedoch als besonders gefährlich eingestuft. Nur drei Prozent der Europäer finden dieses Verhalten akzeptabel, aber in den letzten 30 Tagen haben etwa sieben Prozent zugegeben, unter Drogeneinfluss gefahren zu sein. Die höchste Rate an Drogenfahrten wurde in England verzeichnet, wo etwas mehr als zehn Prozent der Fahrer angaben, unter Drogeneinfluss gefahren zu sein. Nicht, dass Fahren unter Drogen nicht schon schwer genug wäre, jetzt stellen Sie sich das Ganze noch mit Linksverkehr vor...
 
Fazit 
Obwohl die Ergebnisse von selbstberichteten Daten abhängen und kulturelle Unterschiede bei der Ehrlichkeit eine Rolle spielen könnten, zeigen sie doch, dass viele Fahrer ihr riskantes Verhalten unterschätzen. Da die Angaben anonym abgegeben wurden, schliesst man darauf, dass die Antworten ehrlich sind.
In einigen Ländern besteht eine deutliche Kluft zwischen dem, was man anderen predigt, und dem, was man selbst im Alltag treibt – besonders wenn es um Alkohol, Smartphones und Geschwindigkeit geht. Unsere Erwartungen an andere Fahrer sind klar und oft streng – aber sobald wir selbst hinter dem Steuer sitzen, drücken wir bei uns gerne mal ein Auge zu. Betrachtet man die Ergebnisse unserer Studie, wird klar: Es ist einfacher, über andere zu urteilen, als den eigenen Fahrstil auf Hochglanz zu polieren.

Text: GAT
Fotos: CC, Motointegrator / DataPulse Research
Studie: Motointegrator / DataPulse Research

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