

Fräulein Rottenmeier an Bord
Früher war nicht alles besser. Aber hinterm Steuer war das Leben friedlicher. Vor allem wurde man in Ruhe gelassen. Heute ist das Fahren ein Kampf gegen die Technologie. Es piepst von allen Seiten, als hätte das Auto Tinnitus.
„Achtung: Gesicht nicht erkannt“ piepste es neulich bei einem Pressewagen während der Fahrt. Und jetzt? Warum muss mein Gesicht überhaupt erkannt werden?! Ah, richtig, wegen des Fahrer-Verständnis-Systems, das einen beobachtet, ob man noch fahrfähig ist. Wir verstehen den Grund für das Feature – Sekundenschlaf, etc. Aber dass es schon nach zwei Sekunden, in denen man versucht, das Gesichtserkennungsdings in einem Untermenü auszuschalten, anfängt hysterisch zu Piepsen, ist so sinnlos wie gefährlich. Die Lösung schafft das Problem: Wäre das Piepsen nicht, könnte man sich auf die Strasse konzentrieren.
Am Anfang war es nur der sture Spurhalteassistent, den man ausschalten musste. Wer braucht sowas? Wer nicht fähig ist, ein Auto selbständig in der Spur zu halten, sollte sich nicht hinters Steuer setzen. Und wer dann noch auf die Idee kommt, ständig gegen den Spurhalteassistent zu lenken, statt ihn zu deaktivieren, dem sollte der Führerschein abgenommen werden.
Selbstverständlich muss auch der inkompetente bis lebensgefährliche (und zwar bei allen Modellen aller Marken) Geschwindigkeitsassistent ausgeschaltet werden. Die Warntöne schon ab 1 km/h Übertretung nerven so fest, dass man am liebsten den Zug nehmen würde. Kein Mensch findet es entspannend, wenn er im Sekundentakt gemassregelt und korrigiert wird, wie Heidi von Frau Rottenmeier.
Ist der Geschwindigkeitsassistent aktiv, kann es vorkommen, dass das Auto aus heiterem Himmel eine Vollbremsung von 120 auf 30 km/h macht, weil unter der Autobahn eine Quartierstrasse mit Tempo 30 durchführt. Dann wird aktive Sicherheit zur passiven Todesfalle. Über die Geschichten von fehlgeleiteten Warnsystemen, die aktiv in den Verkehr eingegriffen haben und zu Unfällen führten, schweigen die Sicherheit fanatischen Behörden.
Es ist Sisyphusarbeit. Vor jeder Fahrt, auch nach kurzen Tankstopps, startet man von neuem die Abschaltorgie der angeblichen Assistenzsysteme, die das Fahrerleben nur erschweren. Jeder Assistent würde gefeuert werden, wenn er einem mehr Arbeit statt abnimmt.
Viele Autohersteller loben ihr KI basiertes System. Das Auto lerne schnell das Verhalten des Fahrers. Aha, interessant. Aber warum lernt die KI nicht, dass ich vor jeder Fahrt alle sinnlosen Assistenzsysteme abschalte. Wann lernt KI, dass ich den Spurhalteassistenten nicht brauche? Und wann lernen die Autohersteller und Euro NCAP, dass die Assistenzsysteme viel gefährlicher als sicher sind?
Was bitte schön kann sicher daran sein, dass man sekundenlang auf einem Bildschirm die Abschaltfunktionen suchen muss. Während der Fahrt, weil einem das Gepiepse auf den Sack geht. Man hat das Handy im Auto verboten, wegen Ablenkung. Und heute? Haben wir statt einem kleinen Display ein fast Auto breites mit bis zu 25 Informationen darauf. In welcher Welt bringt das mehr Sicherheit?
Früher war alles so viel einfacher. Da konnte man einfach ins Auto sitzen und losfahren. Man musste sich nicht mal angurten. Interessierte einfach niemanden – selber schuld bei einem Unfall. Heute wird man bevormundet wie ein kleines Kind, das nicht fähig ist, eigene Entscheidungen zu fällen und die Konsequenzen zu tragen. Doch wer trägt die Konsequenzen, wenn der Notbremsassistent auf der Autobahn eine Vollbremsung aus dem Nichts macht und ein Lastwagen hinten rein donnert? Euro NCAP? Wohl kaum.
Text: Jürg Zentner, Redaktor auto-illustrierte


