Jeep Gladiator: Das Gefühl der Prärie
Man mag es kaum glauben, aber dieser Gladiator verbrachte über 50 Jahre auf der gleichen Farm im US-Bundesstaat Missouri. Und beim ersten Schlüsseldreh ist dieses Gefühl endloser Prärien sofort wieder da.
Heuballen auf die Ladefläche, der Hund hinterher und es geht raus auf die Weide zu den Rindern. So könnte es sich ab Oktober 1962 zugetragen haben, nachdem die damalige Firma Kaiser-Jeep aus Toledo die neu entwickelten J-Series auf den Markt geworfen hatte. Es gab im Wesentlichen zwei Modelle: den geschlossenen, zwei- oder viertürigen Wagoneer, der damals noch nicht luxuriös daherkam, und den Pick-up Gladiator – das Arbeitstier.
Ein echtes Arbeitstier
Der Vorderwagen war bei beiden praktisch baugleich, wenn man von den stärker ausgekragten Radhäusern des Gladiators mal absieht. Auch die Technik war identisch. Zur Markteinführung trieb der Tornado-OHC-Sechszylinder wahlweise die hinteren oder optional alle vier Räder an. Nebst dem Dreigang-Getriebe mit Lenkradschaltung gab es erstmals ein Automatikgetriebe – für diese Art Fahrzeuge damals ein Novum. Der Pick-up, der in Amerika stets als Truck bezeichnet wurde, konnte als J 200 mit 120 Inch (3,05 Meter) oder als J 300 mit 126 Inch (3,20 Meter) langem Radstand geordert werden.
Früher Trendsetter
Kaiser-Jeep gehörte damit zu den frühesten Anbietern dieser später als Sports Utility Vehicles berühmt gewordenen Spezies und fand auf Anhieb einen riesigen Markt vor. Förster, Farmer, Jäger, Fischer und natürlich die Army waren die ersten Käufer. Boots- oder Pferdebesitzer, Offroader und Abenteurer aus den Städten und Vorstädten kamen später ebenfalls auf die J-Series, weil sie geräumiger und komfortabler war als die bisherige Allzweckwaffe Willys-Jeep. Ein in Zebraoptik lackierter Gladiator J 300 wurde durch die Tierarztserie Daktari schliesslich ab 1966 zum Fernsehstar, der den Tieren Afrikas Hilfe brachte. Gedreht wurde allerdings in einem Wildtierareal bei Los Angeles, der Gladiator musste sich nie auf den Kontinent bemühen.
Zu uns in die Schweiz hingegen schon. Wäre unser Fotomodell von 1966 eine hiesige Erstauslieferung, hätte sie damals der Schweizer Importeur Fratelli Ambrosoli in Zürich vertrieben. Die Gebrüder hatten allerdings weniger den Gladiator, dafür mehr den Wagoneer, später den luxuriösen Cherokee, für den anspruchsvollen Kunden vorgesehen. Unsere Landwirte fuhren hingegen weiterhin Traktor, die Handwerker VW Bulli. Ein teuer importierter Ami mit voluminösem Motor hätte das Betriebsergebnis wohl ziemlich verschlechtert.
V8 mit bis zu 250 PS
Nichtsdestotrotz konnte der Gladiator bei uns mit dem Sechszylinder-Hi-Torque-Motor mit 145 PS oder dem von AMC entliehenen Vigilante-V8 mit 250 PS geordert werden. Betont wurde in einem Inserat, dass zahlreiche Extras wie Brems- und Lenkhilfen, Sperrdifferenzial, hydraulischer Schneepflug, Seilwinde oder gar eine Klimaanlage bestellt werden konnten. Und der Ölwechsel musste nur alle 6500, eine Schmierung gar nur alle 50'000 Kilometer stattfinden.
Nutzwertorientierte Zusatzausstattung
Unser Jeep Gladiator von 1966 ist ein weiterentwickeltes Exemplar, das jetzt auf die Bezeichnung J 3000 hört – ein allradgetriebener Dreivierteltonnen-Townside. Letzteres bedeutet, dass die äusseren Blechfächen plan sind. Die Radhäuser stehen im Laderaum im Vergleich zum Thriftside mit eingerückten Seitenflächen, die vor und hinter den Rädern eine Trittstufe bilden. Nebst diesen beiden Aufbauten gab es auch eine Chassis-Kabine oder Doppelbereifung.
Der Erstkäufer bestellte bei Reuther’s Auto Sales in Creve Coeur, Missouri den starken 327-cu-in-V8 in Kombination mit Dreigang-Schalt- und Zweigang-Verteilergetriebe in schlichtem Weiss mit beiger Innenausstattung. Zur Zusatzausstattung gehören verschliessbare Vorderradnaben, 16-Zoll-Stahlfelgen mit polierten Radkappen, Servolenkung, Klimaanlage und Beckengurte. Die noch vorhandene originale Händlerrechnung vom 10. September 1965 zeigt die Werksausstattung des Fahrzeugs und einen Lieferpreis von 4171,33 $ – wobei ein 1963er-Ford-Kombi in Zahlung gegeben wurde.
In dubio pro patina
Die Beziehung war äusserst glücklich, denn der Gladiator blieb über ein halbes Jahrhundert in der gleichen Familie, wo er offensichtlich sehr gut gepflegt und gewartet wurde. Erst vor etwa drei Jahren wechselte er erstmals den Besitzer und steht heute bei Spezialist Gianreto Calonder in Bergdietikon zum Verkauf. Einige Teile wie die Windschutzscheibe, die Polsterung oder die hinteren Stossstangen wurden im Laufe der Zeit getauscht. Auch viele Teile der Kupplung oder der Auspuffanlage wurden ersetzt.
Das gilt auch für den Zylinderkopf, der jetzt bleifreies Benzin verträgt, sodass der Gladiator jetzt in einem wirklich tollen und selten schönen Gebrauchszustand vor uns steht. Der Kilometerstand zeigt zwar die Zahl 100'000, aber es könnten gut und gerne mehr sein. Bei guter Pflege sind die robusten Amerikaner äusserst langlebig. Das Zweispeichenlenkrad rahmt einen 110-mph-Tachometer ein, der von Anzeigen für Treibstoffstand und Kühlmitteltemperatur flankiert wird. Alle Schalter sind angeschrieben, etwas falsch machen kann man also nicht.
Technisch tiptop
Die Karosserie zeigt viele Spuren, die vom halben Jahrhundert harten Einsatzes zeugen. Diese Schwielen für den dienstbereiten Kumpel, der gerne noch einmal 50 Jahre mit einem neuen Besitzer verbringen möchte. Wer den voll restaurierten Salonlöwen sucht, ist hier sicher verkehrt. Der Gladiator braucht sich aus technischer Sicht aber vor keiner MFK zu fürchten. Einen Veteranenstatus bekommt er voraussichtlich jedoch nicht. Dazu wäre eine Neulackierung und viel Kosmetik mit neuen oder aufgearbeiteten Teilen notwendig, die allerdings wertvolle Historie zunichtemachen würden. «In dubio pro patina»: Dieser Jeep sollte so bleiben, wie er ist.
Träumen beim Fahren
Beim Fahren gibt es bei diesen Autos wenig zu beachten – alles ist so vertrauenserweckend und schlicht. Der Motor brabbelt unter der Haube, Ganghebel nach oben und Kupplung loslassen. Dann in den zweiten und in den dritten Gang – fertig. Viel schalten brauchen wir nicht, der Gladiator ist natürlich auf Durchzug und nicht auf hohe Geschwindigkeiten ausgelegt. Er ist nicht für die endlosen Highways, sondern für den harten Arbeitseinsatz gebaut.
Trotzdem macht er auch auf unseren befestigten Strassen Spass, nachdem man sich an die ultraleichtgängige, aber ziemlich indirekte Lenkung oder den fehlenden Seitenhalt der glatten Sitzbank gewöhnt hat. Und an die vier Trommelbremsen, die auf feine Streicheleinheiten nicht reagieren, sondern einen kräftigen Pedaltritt verlangen. Das Cockpit ist sehr übersichtlich und keinesfalls spartanisch. Es wirkt dank der hellen Farben sogar edel. Ein europäischer Lieferwagen jener Epoche war doch sehr viel nüchterner ausstaffiert und von einer Klimaanlage durften wir damals selbst in teureren Autos nur träumen.
Noch immer ein Arbeitstier
Riesig ist die Ladefläche, deren Heckklappe durch Ketten und stabile Verriegelungen gestützt wird. So bietet sich der Gladiator als auffälliger Transporter für schöne Dinge an – vielleicht für einen Antiquitätenhändler. Schwere Paletten oder Baumaterialien sollte man ihm nicht mehr zumuten, dafür wäre er zu schade. Oder doch nicht? Egal was hinten draufliegt, der Gladiator gibt auf jedem Kilometer das Gefühl von Weite, endlosen Prärien, Rinderherden und gemütlichem Lagerfeuer nach getaner Arbeit. Irgendwie zieht es ihn wieder raus – wie einst in Missouri.
Technische Daten Jeep Gladiator 1966
Motor: V8-Benziner
Hubraum: 5359 cm3
Bohrung x Hub: 97,0 x 83,5 mm
Leistung: 184 kW/250 PS bei 4700/min
Drehmoment: 461 Nm bei 2600/min
Getriebe: 3-Gang
Antrieb: Hinterrad (Allrad zuschaltbar)
Verbrauch: ca. 15–18 l/100 km
Beschleunigung 0–100 km/h: k. A.
Höchstgeschwindigkeit: ca. 120 km/h
Abmessungen L/B/H: 4972/1920/1626 mm
Radstand: 3200 mm
Reifen v./h.: 215/85 R 16
Leergewicht: 1800 kg
Tankinhalt: 76 l
Preis 1966: 4171 USD
Wert aktuell: 20'000 bis 30'000 Franken
Text: Stefan Fritschi
Fotos: Vesa Eskola/auto-illustrierte