Kia EV6 GT - Das E-Auto für Petrolheads
Der Kia EV6 GT ist tatsächlich das erste sportliche Elektroauto, das seinen Fahrer so richtig involviert. Dabei bleibt der Crossover auch als GT ein vollwertiger und erstklassiger Alltagsbegleiter.
Der Kia EV6 GT mimt optisch das harmlose Familienmobil. Doch hinter der Fassade versteckt sich ein waschechter Sportwagen, der nur darauf wartet, losgelassen zu werden. Damit gedulden wir uns noch einen Moment und klären zunächst, was beim GT alles verändert wurde. Bei mehr Leistung blieb es bei Weitem nicht. Der Inverter für den Hinterachs-Motor – er wandelt Gleich- in Wechselstrom um und regelt Motordrehmoment und -drehzahl – hat nun zwei statt eines Powermoduls. Zudem erreichen die Rotoren in den Elektromotoren bis zu 21'000/min statt 15'000/min wie im regulären EV6. All das lässt die Leistung und das Drehmoment ansteigen (585 PS, 740 Nm) und hebt die Höchstgeschwindigkeit auf 260 km/h.
Enormer technischer Aufwand
Die neongrünen Bremssättel weisen auf die Sportbremsanlage hin, die hinter den modellspezifischen 21-Zoll-Felgen sitzt.
An der Hinterachse sitzt ein elektronisch kontrolliertes Sperrdifferenzial, der vordere Motor kann sich bei Bedarf komplett abkoppeln. Die Kraft wird von Michelin-Pilot-Sport-4-S-Reifen, einer Art alltagstauglichem Semislick, auf den Asphalt übertragen. Das Adaptivfahrwerk legt die Karosserie um fünf Millimeter tiefer und wurde neu abgestimmt – vorne mit weicherer, hinten mit härterer Federrate. Eingebremst wird die Fuhre von einer Sportbremsanlage mit grösseren, innenbelüfteten Scheiben rundum. 380 Millimeter Durchmesser sind es vorne, 360 Millimeter an der Hinterachse.
Der zieht die Haut vom Gesicht
Der ganze Aufwand erinnert stark an klassisches Tuning. Auf dem Papier klingt das schon recht verheissungsvoll. Was dieser elektrische Familien-Crossover in der Realität dann für eine Show abzieht, trifft einen völlig unvorbereitet. Mitfahrer vorwarnen ist Pflicht, ehe man Vollstrom gibt. Ein Tritt aufs Fahrpedal und der Schädel scheint an der Kopfstütze festgetackert zu sein. Die Beschleunigung ist derart brutal, dass einem kurz schwummrig wird. Selbst bei Autobahntempo ist sie unerbittlich und die Vmax fix erreicht.
Kurven nimmt der Kia EV6 GT trotzt hohem Leergewicht mit Leichtigkeit. Bei Bedarf kommt auch mal das Heck rum.
Querdynamik beherrscht der Koreaner ebenfalls hervorragend. Man spürt, dass in Fahrwerk, Lenkung und Bremse viel Entwicklungsarbeit geflossen ist. Die Parameter greifen harmonisch ineinander, unterstützen im Verbund bei der flotten Kurvenhatz. Im Sportmodus ist das Fahrwerk sehr straff, aber gut ausbalanciert. Auch wellige Landstrassen pariert es gut und lässt die Karosserie nicht springen. Das Lenkgefühl ist angenehm fleischig.
Gute Reflexe sind im GT-Modus Pflicht
Der grüne GT-Knopf rechts unterhalb des Lenkrad-Pralltopfes aktiviert dem extrascharfen GT-Modus.
Wer im GT-Modus unterwegs ist, sollte gute Reflexe haben. Hier lässt das ESP die Leinen so locker wie möglich, das Heck wird in schnellen Kurven gerne mal leicht. Nicht gefährlich, eher spassig. Aber man muss darauf vorbereitet sein und die Heckschwenks parieren können. Man kann sich auch seinen eigenen GT-Modus konfigurieren und die elektronischen Helfer einschalten, was dem Fahrspass keinen Abbruch tut.
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Auf der anderen Seite lassen sich die Sicherheitsnetze auch komplett deaktivieren und die ganze Kraft in Richtung Hinterachse schicken. Jep, der GT hat einen Driftmodus. Der sollte aber ausdrücklich nur auf abgesperrter Strecke genutzt werden – «aus» bedeutet in diesem Fall wirklich «aus». Bei der damaligen Fahrpräsentation zum EV6 GT haben wir innert weniger Minuten einen Satz Gummi in Rauch verwandelt und dabei den Spass unseres Lebens gehabt.
Elektroauto für Petrolheads
Spass ist ein integraler Teil des EV6 GT. Er ist eines der wenigen Elektroautos, bei dem man sich als Fahrer wirklich ins Geschehen integriert fühlt und Emotionen verspürt. Die gelungene Fahrwerksabstimmung, die Sportschalensitze und das aggressive Sirren des Antriebs unter Last lassen das Auto mechanisch, nahbar und echt wirken. Man kann sich sogar seinen eigenen Antriebssound aus einem Mix von Klangart, Lautstärke und Tonhöhe komponieren. Wetten: Mit dem EV6 GT werden auch Petrolheads glücklich.
Auf die sanfte Tour
Und Familien, sobald man in den Normal-Modus schaltet. Dann steht nur ein Teil der Leistung zur Verfügung, das Ansprechverhalten der Motoren wird defensiver und man kann entspannt dahingondeln. Okay, bei Stadttempo spricht das Fahrwerk etwas spröde an und die an sich bequemen (und mechanischen!) Sportsitze dürften einen feiner unterteilten Verstellbereich bieten. Ansonsten ist der EV6 auch als GT ein guter Alltagsbegleiter. Er bietet massig Platz für Passagiere und Gepäck, die Bedienung ist simpel, die Ausstattung im GT grundsätzlich voll.
Die abfallende Laderaumhöhe schränkt den Nutzwert etwas ein. Für das Gepäck einer vierköpfigen Familie reicht es trotzdem.
Ein besonderes Lob gilt den Fahrassistenten. So wird im Digitalcockpit beim Blinken ein Kamerabild zur Überwachung des toten Winkels angezeigt. Das Head-up-Display animiert Fahrhilfen wie Navigationspfeile oder den Abstand zu anderen Verkehrsteilnehmern. Und im Infotainment lässt sich alles einstellen, was man sich im E-Auto so wünscht – maximale Batterieladung, Begrenzung der Ladeströme, Ladezeiten und so weiter. Einzige echte Einschränkung beim GT ist die Reichweite. Normal gefahren sind rund 350 Kilometer drin. Immerhin geht Nachladen dank 800-V-Technik unheimlich fix.
Im Vergleich ein Sonderangebot
800 V sind in dieser Klasse nahezu ein Alleinstellungsmerkmal. Das bieten sonst nur Boliden à la Porsche Taycan und Audi e-tron GT. Möchte man dort in ähnliche PS-Regionen vorstossen, kostet es rund das Doppelte des EV6 GT – und ist dann meist noch nicht bei dessen Ausstattung angelangt. Dasselbe gilt für Mercedes-AMG, dessen Poweräquivalent EQE 53 nur 400-V-Technik bietet.
Clever versteckt: Im Schwung der rechten hinteren Heckleuchte verbirgt sich die Ladeklappe.
Ausstattung, Vielseitigkeit, Power und Fahrspass machen den Kia EV6 GT zum echten Schnäppchen. Nun sind wir auf das Schwestermodell Hyundai Ioniq 5 N gespannt. Der soll in Sachen Performance noch eine ganze Schippe obendrauf legen.
Das Gesamtpaket aus Ausstattung, Nutzwert, Fahrleistungen und Fahrspass ist bei diesem Preis nahezu unschlagbar. Zudem ist er eines der wenigen Elektroautos, das echte Emotionen weckt. Zur Perfektion müsste er nur noch mehr Reichweite bieten.
Technische Daten Kia EV6 GT
- Basispreis/Testwagenpreis: 81'900 Franken/85'350 Franken
- Motor und Antrieb: Permanenterregte Synchronmotoren v+h,Eingang-Reduktionsgetriebe
- Leistung: 430 kW/585 PS
- Drehmoment: 740 Nm
- Antrieb: Allrad
- Akku: Lithium-Ionen, 77,4 kWh (netto)
- Ladeleistung (AC/DC): 11/240 kW (max.)
- Beschleunigung 0-100 km/h (Werk): 3,5 s
- Leistungsgewicht: 3,9 kg/PS
- Höchstgeschwindigkeit: 260 km/h (lim.)
- Fahrwerk: Mc-Pherson-Federbeine vorne, Mehrlenkerachse hinten
- Bremsen: Innenbelüftete Scheibenbremsen rundum, Durchmesser: v./h. 380/360 mm
- Bereifung: 255/40 R21
- Wendekreis: 11,9 m
- Länge/Breite/Höhe: 4695/1890/1550 mm
- Radstand: 2900 mm
- Leergewicht (Werk/Testwagen): 2260/2120 kg
- Kofferraumvolumen: 480–1260 l, Zuladung: 350 kg
- Anhängelast gebr./ungebr.: 1800/750 kg
- Dachlast: 80 kg
Messergebnisse auto-illustrierte
- Testverbrauch: 22,3 kWh/100 km (Werk: 20,6 kWh/100 km (WLTP))
- ai-Normrunde: 15,5 kWh/100 km
- CO2/Effizienzkategorie Werk: 0 g/km/B
- Maximale Reichweite Test: 383 km (Werk: 424 km (WLTP))
- Ladezeiten 11 kW/240 kW (bis auf 80 %): 440 min./80 min. (Werk)
- Innenraumgeräusch: Bei 50 km/h: 54,3 dB(A) / Bei 80 km/h: 60,2 dB(A) / Bei 120 km/h: 62,7 dB(A)
Text: Moritz Doka
Fotos: Markus Kunz, auto-illustrierte