Opel Astra PHEV - Kann er es wieder?
In seinen Jugendjahren nannte er sich Kadett, seit 30 Jahren heisst er Astra: Eine solch lange Tradition verpflichtet. Kann der jüngste Astra traditionelle Opel-Werte in die Neuzeit retten? Unser Test des Monats gibt Antworten.
Nachdem Opel nach Jahrzehnten relativer Selbstständigkeit unter GM-Fittichen unter das Dach der Peugeot SA, heute Stellantis, schlüpfte, war es vorbei mit eigenen Modellen. So steht denn auch der in Rüsselsheim gebaute neue Astra L, die Kadett mitgerechnet die elfte Astra-Generation, auf der EMP2-Konzernplattform wie seine Brüder Peugeot 308 (gebaut in Mülhausen) oder DS 4 (gebaut in Rüsselsheim) und diverse Toyotas. Das kann, muss aber nicht ein Nachteil sein, wie unser grosser Test klärt.
Sportlicher und kantiger als zuvor
Schwarzer Vizor an der Front, dunkles Dach, scharfe Leuchten: So dynamisch kann ein Astra
aussehen.
Optisch ist der Astra jedenfalls sofort als Rüsselsheimer zu erkennen. Insbesondere das neue, vom seligen Manta abgeleitete und als grosses dunkles Visier wirkende Familiengesicht ist dynamisch und hat einen hohen Wiedererkennungswert. Die Silhouette ist niedrig – 1,5 Zentimeter weniger als der Vorgänger – und zeigt einen künstlich vergrösserten Glasanteil im Oberbau, der durch ein schwarzes Dach und schwarze Säulen erreicht wird.
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Natürlich sind auch andere Farbkombinationen oder gar Chromelemente bestellbar. Die C-Säule erinnert an eine Haifischflosse und das Heck wird von den relativ kleinen, hockeyschlägerartigen Leuchten betont. Rüsselsheim macht die Mode der durchgängigen Leuchtbänder nicht mit.
Abmessungen kaum gewachsen
Vielleicht etwas gar dick aufgetragen sind die sehr tief ragenden Schürzen vorn und hinten sowie die dominanten Schweller, die doch sehr an die einstigen Irmscher-getunten Sondermodelle erinnern. Immerhin ist der Astra noch kein Crossover. Und auch Designparallelen zu den Konzernschwestermodellen von Peugeot, Citroën oder DS sind nicht erkennbar – und polarisieren oder provozieren will der Astra auch nicht.
Trotz gemeinsamer Plattform mit DS4 und Peugeot 308 ist der Opel Astra eigenständig.
Das muss man den Designern hoch anrechnen. Lobenswert ist die Tatsache, dass die Länge gegenüber dem Vorgänger ein kaum nennenswertes Wachstum von 1,5 Millimetern auf 4,37 Meter aufweist. Leider trägt die immerhin 1,86 Meter breite Karosserie in Parklücken und schmalen Bergsträsschen etwas dick auf. Der Golf ist sieben Zentimeter schmaler.
Innenraum mit Platz und Techno-Look
Das Platzangebot lässt für einen Kompaktwagen keine Wünsche offen. Auch im Fond sind Zu- und Ausstieg einfach, Kopf- und Beinraum sind auch für Grossgewachsene prima. Der Kofferraum kann durch Abklappen von 422 auf 1339 Liter erweitert werden, wobei die Ladefläche nach vorn minimal ansteigt, aber keine Stufe bildet. Leider ist der Wert für unseren Plug-in-Hybrid aufgrund der unter dem Kofferraum liegenden Batterie etwas schlechter. Er bietet nur 352 bis 1268 Liter.
Das Kofferraumvolumen wird durch die Batterie etwas eingeschränkt. Platz ist trotzdem genug.
Das Grundlayout des Cockpits ist zwar von den Konzernbrüdern übernommen, aber völlig anders ausgearbeitet. Es wirkt mit seinen aufrechten Flächen, dem kantigen, aufgesetzten und als durchgängige «Glaswand» ausgeführten Instrumentenschirm, der das Kombiinstrument und den Zentraltouchscreen umfasst, technoid und unaufdringlich. Es erinnert an die jüngsten Mercedes-Cockpits und ist ganz anders als die verspielten DS-Geschwister. Auch die Bedienung ist trotz fortgeschrittener Digitalisierung logischer und intuitiver als bei den Franzosen – und mit weit geringerem Ablenkungspotenzial als beim Erzkonkurrent VW Golf 8.
Bildschirmlandschaft mit allerlei Anzeigemöglichkeiten. Dazu schicke Gestaltung mit leider
etwas viel Hartplastik.
Die vielen praktischen Ablagen nehmen gern allerlei Kleinkram auf. Allerdings wünschte man sich beim Rüsselsheimer da und dort etwas weniger Hartplastik, selbst wenn das sehr gut verarbeitet ist. So wirkt etwa der mittige Einzelausströmer ziemlich billig und auch der in Hochglanzschwarz ausgeführte Luftaustritt auf der Fahrerseite ist etwas dunkel und lieblos gestaltet. Er soll sich in die Glasfläche der Bildschirme einfügen und nicht auffallen. Die Lenkradtasten sind ebenfalls in Glanzschwarz ausgeführt, was Fingerabdrücke hinterlässt. Allerdings ist die Tastatur sauber und logisch angeordnet.
Oder das Head-up-Display, das mit einem Versteller im Türpanel – darauf muss man erst einmal kommen – angepasst werden kann. Trotzdem: Viele Befehle sind direkt anwählbar über Tasten mit gut erkennbaren Symbolen oder recht schnell auf dem Touchscreen abrufbar. So kann auch der zeitweise nervige Spurhalteassistent schnell und einfach deaktiviert werden.
Günstiger Tarif
Was konnte der Kadett einst so gut? Genau! Viel Auto fürs Geld. Und da steht ihm der Astra L in nichts nach. Unser Testwagen in der zweithöchsten Ausstattungsstufe Swiss Plus kostet tatsächlich so, wie er dasteht, nur 43 050 Franken. Einzig die 18-Zoll-Räder sind mit 260 Franken Aufpreis belegt – die sehen auf den Fotos halt schon besser aus. In diesem Tarif ist dann schon ziemlich viel Luxus inklusive einiger Infotainment-, Sicherheits- und Komfort-Goodies oder den LED-Matrix-Superscheinwerfern. Der 130-PS-Benziner mit Automatik, aber ohne Hybridisierung ist bei gleicher Ausstattung nochmals 3200 Franken günstiger.
Der Plug-in-Hybrid-Antrieb kann sich je nach persönlichem Fahrprofil durchaus rechnen.
Das wirft die Frage auf, wer den teuren und 300 Kilogramm schwereren PHEV-Antrieb wirklich braucht, und das wiederum hängt stark vom Nutzerprofil ab. Unser Testobjekt kann mit – hoffentlich grünem – Strom vollgetankt etwa 40 bis 50 Kilometer rein elektrisch fahren, je nachdem wie viele elektrische Verbraucher eingeschaltet sind.
Der Gesamtverbrauch – Strom in Benzinäquivalent umgerechnet – im Testbetrieb betrug 6,7 l/100 km. Das ist zwar meilenweit weg von der unrealistischen WLTP-Werksangabe von 1,3 Litern, aber immerhin ein voller Liter weniger, als sich der mit 224 PS wesentlich stärkere, aber kaum schwerere Bruder Peugeot 308 genehmigte. Ein guter Wert zwar, den man aber mit dem 130-PS-Benziner auch hinbekommen würde – mit dem 130-PS-Diesel erst recht.
Insgesamt sehr harmonisch
Der Astra fühlt sich insgesamt recht handlich an, ist allerdings ohne Rückspiegel bereits 1,86 Meter breit, was auf engen Strässchen oder beim Parkieren nachteilig ist. Die Übersicht nach hinten und seitlich hinten ist trotz dicker Säulen und kleiner Scheiben halbwegs passabel, aber dafür hat man ja Assistenten, Piepser und 360-Grad-Kameras. Die leichtgängige und feinfühlige Lenkung vermittelt gute Rückmeldung von der Fahrbahn.
Der Geräuschpegel ist überraschend niedrig. Beim Astra gehört auch das hervorragend abgestimmte und – trotz 18-Zoll-Rädern – sehr komfortable Fahrwerk zum positiven Gesamteindruck. Es bleibt selbst in sehr schnell gefahrenen Kurven sehr cool und lässt nie zu viel Schräglage aufkommen. Meist verhält es sich neutral, bei höheren Tempi auch mal untersteuernd. Auch Sportfahrer werden damit glücklich.
Der Achtgang-Automat ist ein Wandlergetriebe, das sehr schnell und ruckfrei schaltet und die passende Schaltstufe immer gleich bereithält – fast jedenfalls, denn beim Bremsen kommt es vor, dass die Systeme nicht so genau wissen, wer jetzt dran ist. Soll rekuperiert oder runtergeschaltet oder gebremst oder alles zusammen gemacht werden? Das führt in seltenen Fällen zu einem Ruckeln im Langsamverkehr. Nebst den normalen Fahrstufen, die über einen kurzen Schaltstummel eingelegt werden, gibt es die B-Rekuperationstaste sowie die Fahrprogramme Sport, Hybrid, Elektrisch.
Bei unserem Beschleunigungstest wurde der Astra im besten Durchgang mit ausgezeichneten sieben Sekunden gestoppt, 0,6 Sekunden weniger als die Werksvorgabe. Die sehr standfesten Bremsen konnten auch bei extremer Belastung überzeugen und brachten den immerhin 1,7 Tonnen schweren Astra aus 100 km/h in nur 32,1 Metern zum Stillstand. Trotzdem bleibt aufgrund des hohen Gewichts ein etwas indirektes Beschleunigungsgefühl respektive der Eindruck, ein viel grösseres Auto zu bewegen. Ein 1.6 Turbo ohne PHEV-Ballast fehlt leider im Programm. Dafür steht ein GSe in den Startlöchern.
Fazit
Der Astra steht zwar auf einer für andere Marken verwendeten Plattform aus dem Konzernregal, bleibt sich aber ganz und gar ein Opel. Ob PHEV oder nicht hängt stark vom Nutzerprofil ab, aber abgesehen davon bietet der Astra viel Qualität, Platz, Komfort und Nutzwert fast ohne Styling-Spielereien. Also viel Auto zum fairen Preis: Da unterscheidet sich der Astra L nicht vom Kadett A.
Technische Daten
Opel Astra 1.6T PHEV Swiss Edition
Preis: ab 42'790 Franken
Testwagenpreis: 43'500 Franken
Motor und Antrieb:
R4-Turbobenziner-PHEV / Hubraum: 1598 cm3 / Bohrung x Hub: 77,0 x 85,8 mm / Leistung Verbrenner: 110 kW/150 PS bei 6000/min / Drehmoment Verbrenner: 360 Nm bei 1750/min / Leistung Elektromotor: 81,2 kW/110 PS / Drehmoment Elektromotor: 320 Nm / Systemleistung: 133 kW/181 PS / Systemdrehmoment: 360 Nm / Kapazität Leistungsbatterie: 12,4 kW/h / Getriebe: 8-Gang-Automat (Wandler) / Antrieb: Vorderrad
Verbrauch:
Test: 6,7 l/100 km / Werk (WLTP) 1,3 l/100 km / ai-Runde: 1,8 l/100 km / Min./Max.: 1,8/7,5 l/100 km / Emissionen (Werk): 23 g/km / Effizienklasse: A
Fahrleistungen (ai-Messwerte):
0–50 km/h: 2,7 s
0–80 km/h: 5,1 s
0–100 km/h: 7,0 s (Werk: 7,6 s)
0–120 km/h: 9,5 s
0–140 km/h: 12,6 s
0–160 km/h: 15,3 s
0–180 km/h: 20,8 s
0–200 km/h: 26,7 s
400 m steh. Start: 15,2 s (157,7 km/h)
1000 m steh. Start: 27,1 s (201,2 km/h)
100-0 km/h Min./Max.: 32,1/37,7 m
Höchstgeschwindigkeit (Werk): 225 km/h (Elektrisch: 135 km/h)
Elektrische Reichweite: ca. 40–50 km
Leistungsgewicht: 9,5 kg/PS
Fahrwerk:
Vorn Einzelradaufhängung, Pseudo-McPherson-Achse, Schraubenfedern mit integrierten hydraulischen Druckstossdämpfern, hinten halbunabhängige Radaufhängung, Mehrlenkerachse, hydraulische Druckstossdämpfer, vier Scheibenbremsen, vorn innenbelüftet, Zahnstangenlenkung, elektrische Servolenkung, Bereifung v./h. 225/40 R18, Wendekreis 10,7 m
Masse und Gewichte:
Leergewicht Testwagen: 1723 kg (Werk: 1678 kg)
Zuladung: 427 kg
Kofferraumvolumen: 352–1268 l
Tankinhalt: 42 l
Der Opel Astra liess sich leider nicht absolut sicher befestigen. Zur Sicherheit aller Beteiligten haben wir aus diesem Grund auf einen Prüfstandtest verzichtet.
Text: Stefan Fritschi
Fotos: Vesa Eskola