

Wenn Polizeifotos zu Kunst werden
Eigentlich waren die Bilder von Arnold Odermatt nie für die Öffentlichkeit bestimmt. Der Nidwaldner Polizist fotografierte Unfälle, Schauplätze – kurz: den polizeilichen Alltag. Heute gelten seine Aufnahmen als Kunstwerke, die in Museen auf der ganzen Welt gezeigt werden. Aktuell etwa in der Galerie Springer in Berlin.
Als Arnold Odermatt 1925 in Oberdorf im Kanton Nidwalden geboren wurde, war die Welt noch eine andere. Es war die Zeit der «Wachtmeister Studer»-Romane, in der Odermatt aufwuchs. Nach seiner Lehre als Bäcker/Konditor musste er aus gesundheitlichen Gründen den Beruf wechseln – und kam 1948 zur Kantonspolizei Nidwalden.

Über vier Jahrzehnte stand Arnold Odermatt im Dienst der Nidwaldner Polizei. Während dieser Zeit fotografierte er mit seiner Rolleiflex Schauplätze, Unfälle und Tatorte, um die schriftlichen Polizeiprotokolle mit Bildern zu ergänzen. In einer alten Toilette des Wachtpostens in Stans richtete er sich eine provisorische Dunkelkammer ein – und wurde damit ganz nebenbei zum ersten Polizeifotografen der Schweiz. Gedacht waren diese Fotos ursprünglich nur als Beweis für Gerichte oder Versicherungen, in seltenen Fällen auch für die Lokalzeitung.
Autodidakt

Schon seit seiner Jugend interessierte sich Arnold Odermatt für die Fotografie und brachte sich alles selbst bei. Sein Vorbild war der Schweizer Magnum-Fotograf Werner Bischof, dessen weltberühmte Aufnahmen als «unverfälschte Dokumente der zeitlichen Realität» bezeichnet wurden.

Genau das zeigte auch Arnold Odermatt – einfach nicht in fernen Ländern wie Bischof, sondern im Kanton Nidwalden. Obwohl seine Bilder nie für die Öffentlichkeit bestimmt waren, entwickelte Odermatt eine eigene Bildsprache: aussergewöhnliche Perspektiven, messerscharfe Genauigkeit, nüchterne Skurrilität – und mitunter eine feine Prise Humor.

Späte Karriere
1990 ging Arnold Odermatt mit den Ehren eines Oberleutnants, Leiters der Verkehrspolizei und stellvertretenden Kommandanten der Nidwaldner Polizei in Pension. Die eigentliche Anerkennung erhielt er jedoch erst danach. Statt in den Ruhestand zu treten, startete er durch – als international gefeierter Künstler. Und das durch Zufall.

Sein Sohn Urs Odermatt entdeckte Anfang der 1990er-Jahre beim Recherchieren für seinen Film «Wachtmeister Zumbühl» das umfangreiche Negativarchiv seines Vaters. Rasch wurde ihm klar: Das waren keine gewöhnlichen Fotos, sondern kleine Kunstwerke – viele davon nie abgezogen.

Urs Odermatt tauchte tief in das Archiv ein und war so beeindruckt von der Qualität der Arbeiten, dass er später Herausgeber des Gesamtwerks sowie zahlreicher Bücher seines Vaters wurde. Der erste Band «Meine Welt» erschien 1993 im Benteli Verlag, weitere vier Publikationen folgten im Steidl Verlag: «Karambolage» (2003), «Im Dienst» (2008), «In zivil» (2014) und «Feierabend» (2016).
Museen und aktuelle Ausstellung
Eine der grössten Ehrungen wurde Arnold Odermatt im Jahr 2001 zuteil: Harald Szeemann, Kurator der 49. Biennale von Venedig, wählte 32 Werke aus Odermatts Serie «Karambolage» aus. Es folgten internationale Einzel- und Gruppenausstellungen – von Paris bis New York.

Heute sind Arnold Odermatts Fotografien Teil zahlreicher Sammlungen und hängen in Museen rund um den Globus. Er selbst konnte den Erfolg noch viele Jahre geniessen: Arnold Odermatt starb am 21. Januar 2021 in Stans im Alter von 95 Jahren. Seine Werke aber leben weiter – und zeigen uns eine Welt, die eine andere war.

Zum 100. Geburtstag ehrt die Berliner Galerie Springer den Künstler mit einer grossen Jubiläumsausstellung (bis 31. Januar 2026).
Text: Jürg Zentner
Bilder: Arnold Odermatt (Copyright by Urs Odermatt)


