Faszination

Wir konfigurieren einen Bentley

Bei Mulliner werden einem Bentleys nach Mass auf den Leib geschneidert. Wir besuchen den ältesten Coachbuilder der Welt in Crewe und spielen für einen Tag Millionär.

Veröffentlicht am 21.01.2023

Woran denken Sie beim Stichwort Neuwagenkauf? Stundenlang durch den Onlinekonfigurator klicken und sich fragen, ob man die Ledersitze auch wirklich braucht? An provisionsgetriebene Verkaufsberater? Oder vielleicht doch eher an Vorführmodelle mit verlockendem Rabatt? Alles möglich.

Aber garantiert nicht bei Bentley. Hier kommt der Berater zu einem nach Hause oder man unternimmt selbst eine Reise direkt in die Fabrik. Denn in der Welt der Luxusautomobile konfiguriert man nicht, man komponiert. Und was «ab Stange» nicht möglich ist, verwirklicht Bentleys Sonderabteilung Mulliner. Die setzt noch nicht einmal der eigenen Fantasie Grenzen. Sie wollen wissen, wie sich diese Freiheit so anfühlt? Lassen Sie es mich für Sie herausfinden. Denn ich habe einen Termin in Crewe – und komponiere einen Bentley.

Von Bienen und hängenden Gärten

Die britische Luxusmarke ist in den letzten 20 Jahren enorm gewachsen. Den Startschuss gab die Übernahme durch den VW-Konzern. Mit der Einführung des Erfolgsmodells Continental GT im Jahr 2003 sprang die Produktion von 700 auf 7000 Autos jährlich. Heute werden am Hauptsitz in Crewe rund 15 000 Fahrzeuge pro Jahr produziert. Damit ist das Werk am Anschlag und wird deshalb ständig erweitert, zurzeit um Bürogebäude und eine neue Lackiererei.

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Neben sanierten, unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden wachsen hier auf über 500 000 Quadratmetern Fläche modernste Hallen in die Höhe. Produziert wird in Crewe CO2-neutral nach PAS-2060-Standard. Ein Teil der Energie kommt dabei von der werkseigenen Solaranlage. Bepflanzte Aussenwände und eine Bienenzucht tragen ebenfalls ihren Teil zum grünen Anstrich bei.

Echte Handarbeit

Wie ein richtiger Kunde bekomme ich eine Werksbesichtigung, bevor es ans Ausstatten geht. Man will schliesslich wissen, woher sein Auto kommt. Johnathan Smedley, Product Communications Manager bei Bentley, führt zuerst ins Motorenwerk. Hier werden W12, V8 und der V6 samt Hybridsystem zusammengebaut. Zylinder werden vermessen, Kolben gecheckt, alles auf Dichtigkeit überprüft. Die meisten Aggregate werden «kalt» getestet, nur einige auch «heiss» auf dem Prüfstand. Und wenn Bentley ab 2030 keine Verbrenner mehr anbietet? Dann wird diese Halle umstrukturiert, denn die E-Maschinen werden nicht mehr inhouse gefertigt.

Bentley Factory Tour

Bentley Factory Tour

Bentley Factory Tour

Bentley Factory Tour

Bentley Factory Tour

Bentley Factory Tour

Bentley Factory Tour

Bentley Factory Tour

Bentley Factory Tour

Bentley Factory Tour

Bentley Factory Tour

Bentley Factory Tour

Bentley Factory Tour

Bentley Factory Tour

Bentley Factory Tour

Bentley Factory Tour

Szenenwechsel, Montagehalle. Wie eine unendlich lange Raupe schweben hier Karossen durch die Luft. Zunächst werden Chassis und Antriebsstrang vereint, «Hochzeit» genannt. Dann gleiten die halbfertigen Bentleys im Kriechtempo durch die Luft. Von Hand werden sie mit Innenausstattungen, Türen und Leuchten zu Autos. Gefühlt die Hälfte der Halle machen Bentaygas aus. Alle zehn Minuten läuft einer vom Band, bis zu 30 Exemplare des Luxus-SUVs werden täglich gebaut. Eine beeindruckende Zahl, bedenkt man, dass in einem einzigen etwa 130 Stunden Arbeit stecken.

Holz, oder doch lieber Stein?

Wo die hauptsächlich anfallen, zeigen eindrucksvoll die beiden nächsten Stationen. In einer Halle, in der es riecht wie in einer Sägerei, liegen Unmengen an Holzpaketen. Eukalyptus, Walnuss, Esche, geschnitten quer durch den Stamm, längs oder rund entlang der Jahresringe. 24 Holzblätter, jedes nur 0,6 Millimeter dünn, braucht es für den Innenraum eines Autos.

Die Blätter werden so zusammengefügt, dass die Maserung ein gleichmässiges Muster ergibt, erklärt Harry Painter. Mit Spezialwerkzeug kann der Spezialist auch bedampftes Holz biegen und feine Muster gestalten. Selbst grossflächige 3D-Strukturen aus einem Stück Holz gefräst sind möglich. Wem Holz zu altbacken wirkt, kann auch Piano-lack, Karbon, bearbeitetes Metall, Tweed oder sogar Stein-oberflächen als Verkleidung für die Zierteile wählen.

Bis zu 14 Stierhäute pro Bentley

Zum Schluss der Tour werde ich ins Reich des Leders geführt. Und da bleibt einem der Mund offen stehen. Ohne Ende Tierhäute sind aufgeschichtet in allen erdenklichen Farben. Jede einzelne Tierhaut wird auf Einstichstellen, Risse oder Narben überprüft und schliesslich per Laser zurechtgeschnitten. Verwendet wird nur das Leder von Stieren aus Nordeuropa – keine Dehnungsstreifen, wenig Mückenstiche. Zwischen zehn und 14 Häute brauche es für ein Auto, erklärt Johnathan. Kunstvoll wird das Leder von Hand vernäht.

Etwa von Maureen Lesniak. Seit 15 Jahren arbeitet sie bei Bentley, setzt mit ihren feinen Kreuzstichen das i-Tüpfelchen auf Lenkräder, Sitze und Türtafeln. Sie führt vor, welche Lederteile wie vernäht werden müssen. Und dann drückt sie mir Nadel und Faden in die Hand, ich darf selbst ran. Das Setzen der Stiche erfordert höchste Konzentration. Für einen vollständigen Innenraum bräuchte eine Person etwa eine Woche, erzählt Maureen. Ich bräuchte wahrscheinlich ein Jahr und bin tief beeindruckt von Maureens Präzision und Hingabe.

Digitale Träume

Schliesslich ist es so weit, Bentleys Allerheiligstes empfängt. Mulliner, die Abteilung, die Träume wahr macht, ist der älteste noch existierende Coachbuilder der Welt. Der Name datiert zurück bis 1760, baute früher Kutschen, heute Kleinstserien und Einzelstücke. In einem erstaunlich kleinen Raum begrüsst mich Hugo Chizlett, Bespoke Designer bei Mulliner.

Hierher kommen Kunden aus aller Welt, um mit ihm ihre Träume zu teilen. Und er macht sie mithilfe eines Computerprogramms wahr, von dem jeder kleine Junge träumt. Virtuell können am Auto jedes noch so kleine Teil eingefärbt, Nähte gesetzt, Verkleidungen angepasst, Karosserieteile hinzugefügt, Dekorteile angebracht werden. Hugo bedient das Programm mit der Grazie und Selbstverständlichkeit eines Stardirigenten.

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Bentley Mulliner Konfiguration

Man könne auch überborden und müsse bei manchen Kundenwünschen schon mal zurückhaltend mit seinen Reaktionen sein. Ein japanischer Kunde etwa orderte als Geburtstagsgeschenk für seine Frau einen Continental in Hello-Kitty-Spec, jener weiss-schwarz-pinken Comic-Katze. Und in die Arabischen Emirate ging ein Fahrzeug mit farblich gespiegeltem Innenraum; links Gelb-Grün, rechts Grün-Gelb. Auf meine Fassungslosigkeit hin gibt sich Hugo typisch britisch: «This was certainly unique.»

Ich bin da zurückhaltender. Kein protziges Bentayga-SUV, kein Chauffeurs-Flying-Spur, sondern ein Continental mit Basismotor, sprich 550 PS starkem Biturbo-V8. Reicht ja, und beim Sound sticht er den dicken W12 um Längen. Zunächst schwanke ich aber zwischen knallrotem Cabrio mit Karbon-Anbauteilen samt rot-schwarzem Innenraum und einem grauen Coupé. (Bentley Flying Spur "The Surgeon": Luxus-Exzess.)

Den Nerz nach innen tragen

Ich entscheide mich für Letzteres samt glanzschwarzen Akzenten und den kleinen 21-Zoll-Felgen. Lieber den Nerz nach innen tragen und die Mulliner-Möglichkeiten im Cockpit ausschöpfen. Ich gönne mir neben sattelbraunem Leder Zierleisten aus kupferfarbenem Schieferstein. Dazu Komfortsitze mit Heizung, Lüftung und Massage, Naim-Soundsystem, zusätzliche Fahrassistenten und das drehbare Infotainmentdisplay. Mehr wäre überflüssig. Macht am Ende trotzdem rund 276 000 Franken – die in natura umwerfend aussehen.

Und dann steht er da

Wie in natura mögen Sie sich jetzt fragen? Nun, Bentley hat genau solch ein Fahrzeug im Fuhrpark. Ob exquisiter Geschmack beider- oder ein abgekartetes Spiel meinerseits dahinterstecken, lassen wir mal offen. Jedenfalls empfängt mich vor der Mulliner-Halle «mein» titangrauer Continental GT V8 mit Innenraum in Sattelbraun und Schieferstein.

Ich nehme den kiloschweren Schlüssel entgegen und steige ein. Unter bassigem Auspuffwummern drehe ich eine Runde und lasse den Tag noch einmal Revue passieren. Unglaublich, was die über 4000 Mitarbeiter hier leisten, welche Hingabe, Präzision und Aufwand in den Autos steckt. Wer einen Bentley kauft, sollte diese Erfahrung unbedingt machen, um die Arbeit der Menschen dahinter vollends wertzuschätzen. Ich jedenfalls werde mich noch lange an diesen Tag erinnern. Nur in Gedanken, den Conti lasse ich lieber in Crewe. Rechtslenkung wäre zu Hause doch etwas umständlich.

Text: Moritz Doka
Fotos: Moritz Doka/Bentley

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