Reportage

19. Penrite Alpenbrevet 2021: Ein Aufsatz

Bereits dreimal habe ich einen Anlauf genommen, an Georg Dönni’s «Penrite Alpenbrevet» teilzunehmen. Zweimal zu spät, ein drittes Mal ausverkauft, diesmal hats geklappt. Den Erzählungen zu Folge soll jedes der bisherigen 18 durchgeführten Alpenbrevets legendär gewesen sein, auch wenn der Auftrag an die Fahrer jeweils ein anderer ist.

Veröffentlicht am 28.07.2021

«Wo startet ihr?», wurde ich im Vorfeld des Öftern gefragt. Gemäss Einladung mit Anfahrtsbeschrieb sollte der Start an keinem geringeren Ort als auf dem heiligen Boden der Rütli-Wiese stattfinden. Und wohl kein anderer hätte so hartnäckig daraufhin gearbeitet wie Georg Dönni. Zwei Jahre lang habe er gebaggert, bis alle Bewilligungen vorlagen.

«Unmöglich, vergiss es!», zweifelten die Skeptiker. Aber ihre Stimmen verstummten und das Erstaunen war gross, als erste Bilder am Freitag, 23. Juli zwischen 13 und 14 Uhr über diverse Socialmedia-Kanäle Verbreitung fanden. Tatsächlich wälzte sich eine Kolonne von 42 Young- und Oldtimern über den Singletrack-Waldweg von Seelisberg Richtung Rütli.

Bereits vor dem Start galt es, fahrerisches Können an den Tag zu legen, um die schotterbelegten, steil abfallenden Spitzkehren zur Geburtsstätte der Eidgenossenschaft zu meistern. Meine Sorgen galt aber weniger meinem kriegsbemalten Porsche 944, als den trommelgebremsten Vorkriegern. Aber die Freude ob dem einmaligen Ausgangspunkt überwiegte: «Ich schwöre es, wir starten vom Rütli», mein kurzer Kommentar mit Bild an die Adresse der Zweifler.

Start auf heiligem Boden mit spartanischem Reglement

Nach einem gourmetmässigen «Spatz aus der Camelle», wurden die Roules bekannt gegeben. Unterhaltsam, gewohnt spartanisch mit zitiertem Reglement, welches mir und einigen weiteren Teilnehmern bis heute nicht bekannt ist, briefte Georg Dönni die aufmerksame Zuhörerschaft.

Von irgendwelchen «Sting-in-the-Tails», Baden im Hotelpool und Vorsicht vor freilaufenden Muttertierkühen, aber mit der Hauptaussage: Wie ein Gentleman bis spätestens um 21.00 Uhr zum Nachtessen einzutreffen und bitte keine Autobahnen auf Verbindungsetappen zu nutzen!

Gleich darauf ging es los, vorbei am mit Bremsproblemen gestrandeten Jensen Interceptor, hüstelnden und sichtbar verärgerten Wandersleuten mit Zwergpudeln, freundlichen Mountainbikern zurück auf die asphaltierte Strecke via Altweg nach Kerns, von dort über den Brünig, den Grimsel, den Furka, den Gotthard, gentlemen-like natürlich die Tremola fahrend um dann die Leventina hinunter nach Cadenazzo zu gelangen, wo erstmals das (sorry Georg) spartanisch in Handschrift gehaltene, schwer lesbare Roadbook zum Tragen kam.

Fröhliche Kurbelei in den Oldtimern auf den Pässen

Zum Glück kannten wir die Strecke von Gamborogno über Vira nach Indemini bestens. Ein kurzer Halt auf dem «Passo Alpe di Neggia» für den Foto-Beweis und schon trieben uns die folgenden ankommenden Teilnehmer zur Hast, um den Downhill nach Indemini, um via grüner Grenze nach Italien die letzten 44 Kilometer zum Etappenziel nach Lugano unter die Räder zu nehmen.

Pünktlich um 21 Uhr, nach sechs Stunden Nonstop-Fahrt, erwartete man uns zum üppigen «Abendsnack» am Swimming-Pool im Novotel in Lugano. Ums Schwimmen war niemandem zu Mute, vielmehr nach einem kühlen Bier. Oder mehreren. Die erfahrenen Alpenbrevetianer nutzten die kurze Nachtruhe schlafend bis zum Fahrerbriefing um 03.30 Uhr. Einige Wenige bestellten just zur Polizeistunde noch ein paar Bier auf Vorrat, sodass sich das Schlafen auf ein kurzes Hinlegen reduzierte. Betreffende Personen waren bei Tagwacht trotz Dunkelheit an deren Augenringe auszumachen…

Exakt um 04.00 Uhr brummten die Motoren in der Tiefgarage, es durfte gestartet werden. Erster Pass war der Monte Ceneri, welcher der dichten Besiedlung wegen fast durchgehend von Strassenlaternen beleuchtet, und um diese Zeit von Cadenazzo bis Bellinzona ungewohnt staufrei gefahren werden konnte.

Auch modernste LED-Scheinwerfer hätten bei dieser Sicht nicht geholfen

Die Fahrt über den San Bernardino auf der alten Strasse ist eine reine Freude! Kurz oberhalb San Bernardino waren die Sichtverhältnisse etwa gleich, wie in den Wintermonaten im Unterland. Die Sichtweite im Nebel lag unter zwanzig Metern. Selbst ich wusste streckenweise nicht, in welcher Kurve ich mich befand, obschon ich während zwanzig Jahren dort oben mit meinem Jagdhund der Hasenjagd frönte, und den Pass wie meinen Hosensack kenne.

Bei der ersten Dämmerung preschten wir den Splügenberg hinauf, entlang dem alten Römerweg, über das «Q7-Tobel», wo sich einst mein Audi Q7 überschlug und runterstürzte, am Schweizer Zoll vorbei um nach dem menschenleeren Italienischen Zoll passabwärts Richtung Monte Spluga zu fliegen. Und wieder dachte ich an die Bremsen, aber dieses Mal an die meinen, als wir uns mit einem ferienreisenden jungen Aargauer ein Rennen um die gefühlt tausend Serpentinen und durch die knapp autobreiten Tunnels der «Cardinello-Schlucht» runter nach Isola lieferten.

Welch lebensrettende Wohltat, um 6:30 Uhr mit Simone, Robin und Georg Dönni und den anderen fahlen Gesichtern in Chiavenna einen «Doppio» zu schlürfen. Mit kaffee-wachem Geiste ging es runter zum Lago di Como, durch das erwachende Cravedona dem See entlang nach Aregno. Mit wenig Ahnung, wo das Roadbook für die zweistündige «Speziale» genau starten würde (Zitat aus dem Roadbook: Folgende rudimentäre Notizen zum Ettappen-Einstieg…) aber mit umso mehr Glück, genau dort auf Georg mit seinem Jaguar-Reptil zu stossen, klemmten wir uns an sein Heck.

In San Fidele ein Beweisfoto machend, war er auch schon wieder weg, der Dönni. Ein zweites Foto galt es am «Passo/Rifugio Buffalora» zu machen, um unmittelbar danach links um die Kloake eines Bergsees abzuzweigen. Diesen Abzweiger hat vor allem die Audi-Fraktion verpasst! Sie fuhren fälschlicherweise gerade aus, direkt in eine tief unten endende Rückegasse, welche nur für das Ernten von Kastanien befahren wird, und zwischen ebensolchen endet.

Ein quattro kommt zwar überall hin, aber nicht immer zurück

Holzer mussten später dann auch mit schwerem Gefährt den bündnerbenummerten Audi vor dem Absturz sichern und bergen, während wir den äusserst anspruchsvollen, beschlaglöcherten Alpweg Richtung Zivilisation rumpelten.

Mein Flatnose 944 schnaufte ebenso erleichtert auf, als wir nach weiteren 12 Kilometern wieder Asphalt unter den Sohlen hatten. Seine bald 400'000 Kilometer auf der Uhr, kesselt und schnurrt er zufrieden mit seiner Crew Richtung Lugano ins Hotel, wo wir hungrig und gebeutelt um 10.05 Uhr das reichhaltige Frühstücksbuffet stürmten.

Der Porsche 944 schlug sich mit seinen 400'000km wacker

Das grosse Finale war die Verteilung der Trophäen in Gold, Silber und Bronze. Erschöpft aber zufrieden erhielten wir das «just-in-time» vor Ort zusammengeleimte goldene Brevet vom Veranstalter. Dafür, dass ich nur Stunden vorher als letzter die Pool-Bar verliess, war ich heimlich ganz schön stolz auf mich.

Von den 42 gestarteten schafften es leider nicht alle ins Ziel. Defekt, aufgegeben, abgestürzt, verschollen… Man weiss nichts genaueres und Gentlemen schweigen… – Das Alpenbrevet ist wirklich so legendär, dass ich wieder mitmache: «Ich schwöre es!»

Text: Markus Mehr
Bilder: Markus Mehr, Georg Dönni, Alpenbrevet

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