

Aus Grün wird plötzlich Grau
Wenn Elektroautos die Menschenrechte überfahren: Amnesty International stellt Hersteller von Elektrofahrzeugen an den Pranger. Kaum einer durchleuchtet seine Lieferketten ausreichend, was vor allem bei der Batterie problematisch ist.
Die Elektromobilität ist gut und Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor sind ganz böse. Politik und Industrie malen uns dieses Bild einer sauberen, emissionsfreien Zukunft. Das Allheilmittel im Kampf gegen den Klimawandel, da ist man sich einig, sind Steckerautos. Doch ein Bericht von Amnesty International zeigt, dass diese Vision von Nachhaltigkeit oft auf Kosten von Mensch und Umwelt verwirklicht wird. Denn die Menschenrechtssituation in den Lieferketten der führenden Elektroautohersteller wirft teils dunkle Schatten auf das grüne Image der Branche. Im Bericht «Recharge for Rights: Ranking the Human Rights Due Diligence Reporting of Leading Electric Vehicle Makers» der Non-Profit-Organisation werden 13 Hersteller von Elektrofahrzeugen bewertet, um aufzuzeigen, wie wirkungsvoll ihre Richtlinien und Praktiken zur Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht sind. Sagen wir so: Es gibt noch Luft nach «grüner».
Wenig Licht im Dunkel
Bei seiner Bewertung der Hersteller von Elektrofahrzeugen orientierte sich Amnesty International an Richtlinien und Praktiken der Unternehmen sowie den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Die Ergebnisse wurden in einer Punkteskala von 0 bis 90 zusammengefasst, um die Leistungen der Hersteller vergleichbar abzubilden. Positiv: Seit 2017, dem Jahr der letzten Erhebung, haben E-Auto-Hersteller Fortschritte bei der Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten in ihren Metalllieferketten gemacht, zum Beispiel durch Risikobewertungen und Kooperationen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. Dennoch erreichte keiner der 13 Hersteller Spitzenwerte und keiner kann nachweisen, seine Lieferketten umfassend menschenrechtlich geprüft zu haben. Die Ansätze der Unternehmen variieren stark, einige hinken deutlich hinterher.
Mercedes-Benz erzielte mit 51 Punkten die höchste Bewertung, gefolgt von Tesla (49 Punkte) und Stellantis (42 Punkte). Am Tabellenende rangierten BYD mit nur elf Punkten, Mitsubishi (13 Punkte) und Hyundai (21 Punkte). Gerade diese drei Unternehmen bekleckerten sich nicht wirklich mit Ruhm. Viele Hersteller bieten kaum Transparenz über ihre Lieferketten, doch BYD, Hyundai und Mitsubishi geben nicht einmal detaillierte Informationen über Rohstoffquellen oder Minenstandorte preis. BYD, mittlerweile der grösste Hersteller von Steckerfahrzeugzeugen der Welt, nannte weder das eine noch das andere und reagierte – wie auch die beiden anderen Unternehmen – nicht auf die Ergebnisse von Amnesty International respektive seine Anfrage für eine Stellungnahme. Alle bewerteten Hersteller wurden vor Veröffentlichung des Berichts kontaktiert, um ihnen eine entsprechende Möglichkeit zu geben.
Diverse Problemzonen
Der Abbau von Batteriemineralen wie Kobalt, Kupfer und Nickel ist laut Amnesty International eng mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen verbunden. Dazu zählen Umweltschäden, rechtswidrige Zwangsräumungen, gefährliche Arbeitsbedingungen und die Missachtung der Rechte indigener Gemeinschaften. Amnesty International dokumentiert diese Missstände seit über einem Jahrzehnt, insbesondere im Kongo und auf den Philippinen. Trotz der bekannten Probleme unterziehen viele Automobilhersteller ihre Batterielieferketten noch immer keiner ausreichenden Kontrolle. Transparenz und Überwachung bleiben unzureichend, und viele Unternehmen priorisieren ihre wirtschaftlichen Interessen über den Schutz der Menschenrechte.
Bereits 2019 hatte Amnesty die Branche aufgefordert, ihre Batterieherstellung bis 2024 menschenrechtskonform zu gestalten. Doch die Fortschritte bleiben überschaubar. «Die Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Rohstoffgewinnung für die Energiewende sind alarmierend und weitverbreitet», erklärt Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International. Callamard beanstandet: «Die Selbstverpflichtungen vieler Hersteller sind vage und bieten kaum Nachweise für sinnvolle Massnahmen. Es bleibt noch ein langer Weg, bis die Industrie internationale Standards erfüllt.» Amnesty International fordert die Autoindustrie eindringlich auf, ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten ernst zu nehmen und internationale Standards umzusetzen. «Es ist Zeit, sicherzustellen, dass Elektrofahrzeuge nicht das Erbe von Menschenrechtsverletzungen hinterlassen», betont Callamard.
Hoffnungsschimmer?
Ein Lichtblick könnte die Einführung eines «Batteriepasses» in der EU sein, der ab 2027 für alle EV-Batterien über zwei kWh verpflichtend wird. Mithilfe von Blockchain-Technologie soll die Herkunft der Batterie zurückverfolgt werden können. Ebenso sollen die Batteriezusammensetzung, die Art und der Anteil verbauter Risikostoffe, der Anteil recycelbarer Stoffe und die soziale Nachhaltigkeit beleuchtet werden. Unternehmen wie Volvo haben angekündigt, diesen Pass schon vorher einzuführen, um die neuen Anforderungen zu erfüllen. Doch bis dahin bleibt die Branche von Transparenz so weit entfernt, wie von ihren angepeilten EV-Verkaufszahlen.
Laut Amnesty International muss die Branche nicht nur mit Hochdruck daran arbeiten, ihre Lieferketten menschenrechtskonform zu gestalten, sondern auch sicherstellen, dass die Betroffenen tatsächlich Hilfe erfahren. Denn am Ende wird Elektromobilität nur dann ein grüner Fortschritt sein, wenn sie sich nicht auf den Schultern anderer ausruht.
Text: GAT
Fotos: CC, Adobe Photostock