GMC Hummer EV Edition 1 - Fahrbericht
Wer an den Hummer denkt, dem kommen Desert Strom, Arnold Schwarzenegger und olivgrüne Panzerspähwagen in den Sinn. Wir fahren den rein elektrischen Nachfolger.
Size matters – mehr denn je zählt dieser abgehalfterte Kalenderspruch in den USA. Hier gibt es nur selten Grenzen und selbst die vermeintlich grüne Elektromobilität kreiert regelmässig neue Superlative. Wer meint, er hätte als Elektroauto bereits alles gesehen, sollte sich schleunigst neu kalibrieren, denn so einen Koloss wie den GMC Hummer EV hat es bisher noch nicht gegeben. Der Elektro-Pick-Up ist 5,50 Meter lang und mehr als vier Tonnen schwer - ein gigantisches Ungetüm zwischen militärischem Alt-Humvee und einer elektrifizierten Zukunft.
Eine kleine Hummer-Familie?
Der Elektro-Hummer hat seinen Ursprung im nahezu unzerstörbaren Armeefahrzeug der Amerikaner und wurde auf der variablen Ultium-Plattform völlig neu entwickelt. Obwohl die US-Armee den neuen GMC Hummer für etwaige zukünftige Einsätze bereits unter die Lupe nimmt – mit dem Desert-Storm-Relikt hat der neue Hummer nicht den Hauch gemein. Vielmehr soll der Nachfolger die dröge GM-Marke GMC auf dem Heimatmarkt wieder mit neuem Leben füllen. Was wäre da einfacher als mit einem neuen Hummer – vollelektrisch –, der zu einer kleinen Familie ausgebaut werden soll.
Den Anfang macht der Hummer als Pick Up – viel mehr Auto als die in den USA so heiss geliebten Full-Size-Modelle wie ein Ford F-150, Chevrolet Silverado oder Dodge Ram. Der 5,50 Meter lange Hummer sieht aus, als würde er fünf Tonnen wiegen – und tatsächlich ist er mit 4,3 Tonnen kaum leichter. Seine Kraft ist gewaltig, denn 740 kW / 1000 PS / 1.620 Nm sind eine schier unglaubliche Leistung und trotzdem ist der Hummer ein wahrer Tänzer. An der gewaltigen Mittelkonsole am Controller gespielt und das Herz des Elektrokolosses schlägt im Dreivierteltakt. Der kann durch seine vier einzeln angesteuerten Räder wie eine Krabbe auch schräg in eine Richtung zuckeln – das ist einfach abgefahren und im Gelände eine echte Schau.
Eine Tonne Batterie
Die Seele des EV-Hummer ist ein 910 Kilogramm schweres Akkupaket im Unterboden, das nicht nur die Elektromotoren mit der nötigen Energie versorgt, sondern auch einzigartige Stabilität in die Karosseriestruktur bringt. Während das 1000 PS starke Topmodell über drei Elektromotoren (einer vorn / zwei hinten) verfügt, sind die nachfolgenden schwächeren Hummer-Varianten mit einem Motor vorn und einem an der Hinterachse unterwegs.
Das doppelstöckige Akkupaket setzt in der Klasse der Elektroautos Massstäbe, denn 208 kWh hat es bei einem Grossserienelektroauto bisher noch nicht gegeben. Das stattliche Batteriepaket reicht für über 520 Kilometer, bis es an die nächste Ladesäule geht. Hier zeigt sich der Nachfahre des Army-Humvee überaus wandlungsfähig, denn das normale 400-Volt-Bordnetz kann sich beim Nachtanken auf 800 Volt verdoppeln und die Ladezeit somit deutlich reduzieren. In zehn Minuten gibt es mit einer Ladegeschwindigkeit von bis zu 350 kW Energie für die nächsten 160 Kilometer.
Perfekt für hartes Gelände
Seine erste Testfahrt muss der Elektro-Koloss auf der Marterstrecke des hauseigenen Mildford-Testgeländes nahe Detroit hinter sich bringen. Hitze und staubige Pisten sind hier das kleinste Problem, doch der Hummer krabbelt ohne jegliche Probleme steilste Anstiege hinauf und wühlt sich durchs unwegsame Geläuf. Auch wenn sich die Fronthaube steil bergan in den Himmel reckt, behält der Fahrer alles im Blick, denn eine Kameraansicht auf dem Grossbildschirm macht den Unterboden förmlich sichtbar und so gibt es keine bösen Überraschungen, als der Hummer die Kuppe hinter sich gebracht hat.
Was am meisten beeindruckt, ist jedoch nicht die Lässigkeit, mit der der elektrische Mega-Pick-Up sich problemlos durch tiefe Spurrillen, Sand und Geröll wühlt. Trotz des Gewichts von mehr als vier Tonnen und einer Fahrzeuglänge von 5,50 Metern ist der Koloss wendig, wie man es nicht erwartet hätte. Durch die intelligente Allradlenkung reduziert sich der Wendekreis von 13,5 auf 11,3 Meter. Und auch wenn der Hummer elektrisch unterwegs ist – die Vorderachse lässt sich elektronisch sperren und hinten arbeiten beim Topmodell ohnehin zwei separate Elektromotoren, die einzeln angesteuert werden können. Perfekt für hartes Gelände.
Erstaunlich filigran
Die Lenkung ist trotz der gewaltigen Offroadpneus leichtgängig und allemal präzise. Bergan lassen sich die drei Elektromotoren mit ihren gigantischen 1000 PS mit dem Gasfuss gefühlvoll steuern – hier zeigen sich die Vorteile gegenüber den deutlich träger arbeitenden Verbrennertriebwerken, die mit erhöhtem Standgas erst bei Laune gehalten werden müssen, damit das Drehmoment nicht abstirbt. So geht es auch Wunsch auch durch viel mehr als seichte Wasserdurchfahrten, denn die Wattiefe liegt bei 81 Zentimetern und Dank seiner Bodenfreiheit von 40 Zentimetern krabbelt der Amerikaner über die meisten Probleme ohne jede Anstrengung hinweg.
Über den Bildschirm oder einen Schalter auf dem breiten Mitteltunnel lassen sich die verschiedenen Fahrmodi ansteuern. Hilfreicher denn je ist das Schaltpedal links an Lenkrad, mit dem auch in den One-Pedal-Modus gewechselt werden kann. Dann lässt sich das stromernde Ungetüm besonders filigran bewegen, bergauf und bergab, ohne Bremspedaleinsatz.
Auch für Europa?
Der Innenraum des Targas lässt einige Wünsche offen, denn der ist angesichts eines Basispreises von 86'000 US-Dollar sehr mässig. Immerhin gibt es vorn wie hinten jede Menge Platz, die Sitzgelegenheiten sind breit und könnten mehr Kontur vermitteln. Die Plastikwüste am Armaturenbrett ist dagegen reine Geschmackssache. Schön und wirklich wertig sieht anders aus; doch irgendwie präsentiert sich der Hummer der Neuzeit eben auch genau so, wie man es von ihm erwartet hätte.
Gerade das 13,4 grosse Centerdisplay bietet die wichtigsten Informationen, wenn man auf langsamer Schleichfahrt im harten Geläuf unterwegs ist. Dann hält sich auch der Verbrauch in Grenzen, den man durch den Einsatz von Bremse und Rekuperationsstufe im Alltag nennenswert beeinflussen kann. Und wenn man doch einmal schnell fliehen muss: aus dem Stand spurtet der Elektrogigant in knapp über drei Sekunden auf Tempo 100. Mal schauen, wie lange es dauert, bis der Koloss nach Europa kommt, denn auch hier können es die Hummer-Fans kaum erwarten, ihn an der Ladesäule einzustöpeln.
Stefan Grundhoff; press-inform