Lotus-Extra

Lotus Europa - das perfekte Rezept?

Aus Resten etwas Besonderes zu zaubern ist nicht nur in der Küche schwer.Der Lotus Europa scheint das perfekte Rezept zu haben.

Veröffentlicht am 20.06.2022

Der Lotus Europa ist nicht nur optisch speziell. Auch sein Werdegang ist ebendas. Wie sich um kaum eine Marke so vielen Mythen und Legenden ranken wie um Lotus, so ist auch die Entstehung des flachen Mittelmotor-Sportlers Quelle unzähliger Anekdoten, deren Wahrheitsgehalt nur schwer überprüft werden kann. Doch alle haben sie eines gemeinsam: Sie sind romantisch und passen wunderbar ins Bild von Chapman.

Als sicher gilt, dass Chapman nach dem Erfolg des Elan ein weiteres Modell produzieren wollte. Es sollte die gleiche Agilität haben, die gleiche fahrdynamische Finesse, dabei aber deutlich erschwinglicher sein. Das stellte ihn vor zwei Probleme. Erstens war die Entwicklung eines neuen Chassis zeitaufwändig und teuer und zweitens war ein konkurrenzfähiger und leichter Motor ebenso kostspielig. Der findige Ingenieur war deshalb kaum betrübt, als er die Ausschreibung von Ford zur Konstruktion eines siegfähigen Mittelmotor-Prototypens für Le Mans verlor, denn genau dieses Chassis, von Ron Hickman erdacht, war schliesslich fertig entwickelt und Chapman hatte sich extra den Passus im Vertrag hinterlegen lassen, dass er das Konzept im Falle einer Niederlage für eigene Zwecke verwenden dürfe.

Nun hatte er also schon einmal das Fundament für den Lotus Europa geschaffen. Doch was würde ihn antreiben? Zu Ford hatte man durch die Formel 1-Verbindung beste Beziehungen, doch ein passender Leichtmetall-Motor fand sich nicht im Portfolio. Chapman wurde bei Renault fündig. Die Franzosen hatten gerade für den Renault 16 eine neue Maschine entwickelt, den Cléon Type A, ein robustes und simples Vierzylinder-Aggregat, das vollständig aus leichtem Aluminium bestand. Mit seinen 78PS aus 1‘470 Kubik war er zwar kein Sportmotor, aber auf Grund der geplanten Stückzahlen des Renault 16 vor allem eines: günstig. Besser noch, Chapman wurde der Legende nach 300 Motoren und Getrieben habhaft, die Renault aus dem Erprobungsfundus übrighatte und verschrotten wollte. Er soll nur den Transport in die neue Fabrik nach Hethel bezahlt haben und auch die Stückzahl der ersten Serie des Lotus Europa von 296 Exemplaren erklärt sich nun von selbst.

Der S1 genannte Typ, also die Ur-Version vor den Varianten S1A und S1B, ist in ihren unter 300 Stück allerdings noch einmal deutlich besonderer als die restlichen Lotus Europa. Sie entsprechen dem Ideal eine Chapman-Renners am ehesten. Alles wurde auf maximale Fahrdynamik optimiert, Komfort und Praktikabilität würden hintenangestellt. So verfügen die S1 Europas über eine auf den Rahmen geklebte Kunststoff-Karosserie für maximale Steifigkeit. Die Fenster waren nicht zu öffnen, das Armaturenbrett war aus Aluminiumblech gefertigt, es gab keine Türverkleidungen, ja noch nicht einmal verstellbare Sitze. Für Chapman übrigens kein Problem, die Sitzposition war auf seine Körpermasse entwickelt worden. Das Ergebnis war ein nur 612 Kilogramm schwerer Sportwagen, der auf dem reinrassigen Layout eines Le Mans-Prototypen aufbaute, dennoch aber leistbar war.

Dem Erfolg stand allerdings die extrem puristische Auslegung entgegen. Schon mit S1A und S1B fanden Komfortverbesserungen statt, die Fenster liessen sich öffnen, es kam ein Holz-Armaturenbrett zum Einsatz und die Belüftung wurde angepasst. Mit der Serie 2 wurde auf Anraten diverser Versicherungsunternehmen auf das Verkleben der Karosserie am Chassis verzichtet, schon relativ kleine Beschädigungen erwiesen sich bislang als irreparabel. Fortan wurde die Glasfaser-Karosserie mit dem Stahlrahmen-Chassis verschraubt. In späteren Modellen wich der Renault-Motor dann dem bekannten Ford Kent Twin Cam aus dem Lotus Elan mit 105PS und dem Twin Cam „Big Valve“ in den Special-Modellen mit 126PS. Und auch wenn diese späten Modelle etwas an Gewicht zulegten, so blieb der Europa ein Ausbund an Dynamik. Vor allem aber war er das perfekte Fahrspass-Rezept mit nur wenigen Zutaten.

 

In der ai 7/22 gibt es ein grosses Lotus-Extra, sehr schöne Geschichten, unbedingt lesenswert. Die ai ist auch im Abo erhältlich. Text: FM, Photos: RM Sotheby's (ein 73er «Special»)'

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