

Mazda 6e – Der Doppelgänger
Unter seiner eleganten Designerhaut aus Japan arbeitet chinesische Technik – wer es nicht weiss, wird es kaum bemerken. Wir durften den Mazda 6e auf einer ausführlichen Probefahrt erleben.
Eine Batterie, ein paar Kabel, ein Elektromotor. Elektroautos sind simpel – so würde man zumindest meinen. Und dennoch stottert die Entwicklung bei manch einem namhaften Hersteller derzeit, sodass kein Weg an einer Kooperation mit chinesischen Marktführern vorbeiführt. Das Rezept für den vollelektrischen Mazda 6e sieht auf den ersten Blick nach einem soliden Business-Case aus. Auf der bereits bewährten Plattform des Deepal SL03 von Changan (keine Sorge, auch uns war dieser Name zunächst kein Begriff) baut man eine schicke Karosserie im markeneigenen Kodo-Look. Obendrauf kommen ein hochwertiges Interieur und ein attraktiver Preis.
Um anzukommen, muss Elektromobilität erschwinglich sein. Diesem Grundsatz folgt man zumindest bei Mazda. Keine teure 800-Volt-Architektur, keine Dual-Motoren und keine riesigen Akkus. Die 80 kWh genügen für 552 Kilometer Reichweite nach WLTP, und mit 180 kW/245 PS aus dem Single-Motor an der Hinterachse ist der Wagen ausreichend motorisiert. Endlich jemand, der verstanden hat, dass man mit einem 1000-PS-Elektroauto kein Klima rettet.
Design und Innenraum
Optisch ist der 6e auf Anhieb als Mazda zu erkennen. Die tief sitzende Karosserie und die abfallende Dachlinie vermitteln Sportlichkeit und Dynamik – unterstrichen durch einen aus dem Kofferraumdeckel ausfahrenden Spoiler. Der wahre Genuss fürs Auge verbirgt sich jedoch im Innenraum: Der 6e bietet eines der stilvollsten Interieurs, die wir aktuell auf dem Markt gesehen haben – vorausgesetzt, man entscheidet sich für die Farbkombination des Testwagens. Selten haben wir eine so gelungene Allianz edler Materialien wie Holz, Metall und Alcantara erlebt – in den Kontrastfarben Orange-Braun und Schwarz. Kurz gesagt: Die Möblierung des 6e lässt so manchen Premiumwagen erblassen.
Volldigital – mit Schwächen
Etwas weniger «Premium» zeigt sich die Bedienung. Diese läuft ausschliesslich über den grossen (und gut ablesbaren) Touchscreen in der Mitte des Armaturenbretts. Leider hält auch bei Mazda der Trend Einzug: weg mit den Knöpfen, her mit Swipen, Tippen und Wischen. Wie bei allen Touchscreen-Gadgets hängt der Bedienkomfort stark davon ab, was die Programmierer während der Entwicklung des Systems geraucht – oder eben nicht geraucht – haben.
Im Fall von Mazda waren es offenbar keine allzu starken Substanzen, denn das Infotainment ist durchaus brauchbar. Hier und da merkt man den chinesischen Ursprung des Systems, etwa an ungewohnten Piktogrammen und unlogischen Menüstrukturen. Der Vorteil: Dank Over-the-Air-Updates werden bekannte Schwächen zügig behoben und neue Funktionen hinzugefügt. Was allerdings kein software-Update beheben kann: das Fehlen eines simplen Joysticks an der Fahrertür, mit dem man die Aussenspiegel verstellen könnte. Diese Funktion gibt es im 6e nur über den Touchscreen.
Fahreindruck
Beim Fahren gibt es keine Überraschungen. Gestartet wird automatisch: Einsteigen, Wahlhebel auf «D» – los geht’s. Die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 7,8 Sekunden ist nicht spektakulär, aber absolut ausreichend. Bei 175 km/h ist Schluss. Einen One-Pedal-Mode bietet der 6e nicht, dafür kann er bei Bedarf mit entkoppeltem Antrieb segeln. Das Fahrwerk zeigt sich komfortabel und zugleich angenehm sportlich. Auch die Assistenzsysteme erfüllen zuverlässig ihren Zweck.
Für nur 43 600 Franken bekommt der 6e-Käufer mehr Auto als bei vielen Mitbewerbern. Unsere luxuriöse «Takuma Plus»-Ausstattung kostet rund 2000 Franken mehr und ist diesen Aufpreis definitiv wert. Mazda beweist: Klimaschutz muss nicht von Hightech-Tricksereien begleitet sein – sondern kann auch solide, durchdacht und fair bepreist daherkommen.
Text: Serge Schilov
Bilder: Mazda