McLaren GT - der moderne Gran Turismo
Mit dem McLaren GT über die Berge macht so richtig Spass. Doch kann er auch Gran Turismo, also: Langstrecke?
Der McLaren GT wurde schon 2019 vorgestellt. Doch kürzlich hatten wir das Vergnügen, den Engländer so ein bisschen durch die französischen Alpen südlich von Genf zu bewegen (grossartig: Col de Semnoz!). Und dazu auch noch jede Menge Autobahnkilometer runterzureissen. Das kann er dann halt schon ausgezeichnet - was man bei diesem Preis auch erwarten darf.
Hintergrund: Mit McLaren GT wollen die Engländer einen neuen Ansatz in das (eher dünne) Segment der Gran-Turismo-Fahrzeuge bringen. Früher, da war die Idee etwa eines Ferrari 250 GT, dass man mit ihm unter der Woche zur Arbeit fahren konnte, oder eine lange Reise unternehmen - um dann am Wochenende auf der Rennstrecke auch gleich noch ein paar Pokale abzuholen. Heute macht das niemand mehr - aber eine grosse Tour unternimmt man doch immer noch gern, oder?
Verkaufszahlen: McLaren nennt keine gesonderten Zahlen für die einzelnen Fahrzeuge (ausser natürlich für die LT, die streng limitiert sind). Das vergangene Corona-Jahr war auch für die Engländer schwierig, dazu kam auch noch die Unsicherheit des Brexit, doch anscheinend ist man jetzt zuversichtlich. Seit dem Bestehen von McLaren Automotive (2010) wurden aber schon mehr als 20’000 Fahrzeuge verkauft - das ist in diesem Segment für einen Newcomer sehr beachtlich.
Segment: Gran Turismo ist kein Segment, auch ein Golf GTI nennt sich ja so. Bei dem Sportwagen im gleichen Preisrahmen denkt man vielleicht noch an einen Porsche 911 GT3, an einen AMG GT, vielleicht noch an einen BMW M8. Doch der McLaren GT ist das einzige Mittelmotor-Coupé in diesem Feld, steht also allein.
ANTRIEB:
Motor: Im McLaren GT arbeitet der gleiche 4-Liter-V8-Biturbo wie in so vielen anderen McLaren auch (zu Beginn: 3,8 Liter Hubraum). Die Spreizung der Leistung unter all diesen Modellen ist enorm, sie reicht von 540 bis 800 PS. Im McLaren GT sind es 620 PS, die selbstverständlich nur auf die Hinterachse wirken.
Leistungsentfaltung: 630 Nm maximales Drehmoment, davon stehen 95 Prozent zwischen 3000 und 7250/min zur Verfügung, das ist eine sehr gute Ansage. Nein, untermotorisiert ist man damit wahrlich nicht, in keiner Situation.
Laufkultur: Der Bi-Turbo ist sicher eines der feinsten Maschinchen auf dem Markt - wer da ein Turboloch findet, der macht etwas falsch. Der Achtzylinder dreht hoch wie eine Turbine, sehr linear. Wie bei allen McLaren dürfte die Geräuschentwicklung noch etwas heftiger sein. Andererseits: Gran Turismo, lange Reisen - da schätzt man ja auch die Zurückhaltung.
Beschleunigung/Höchstgeschwindigkeit: Der GT eilt in 3,2 Sekunden auf 100 km/h - und soll maximal 326 km/h schnell rennen. Das reicht eigentlich ganz gut - man wird es kaum je ausleben können.
Getriebe: Geschaltet wird über das famose 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe, das zu den besten auf dem Markt gehört. Die Übergänge sind perfekt, die Getriebeabstufung ist es auch. Dort am Berg wird man die Spitzkehre gerne im Ersten umrunden, denn der Knall beim Beschleunigen macht süchtig.
Getriebeabstufung: Da gibt es gar nichts zu bemängeln, die Mischung von reichlich Kraft oben raus und viel Drehmoment sorgt dafür, dass man gar nicht im falschen Gang fahren kann. Am besten geht das selbstverständlich, wenn man über die Paddels manuell eingreift. In der Stellung «Comfort» schaltet der McLaren GT sehr früh, auf «Sport» dann sehr spät - irgendwo dazwischen liegt die goldene Mischung.
Verbrauch: Nach WLTP sollen es 11,9 Liter auf 100 Kilometern sein. Das erscheint realistisch, insbesondere dann, wenn man sich an die Vorgaben der Gesetzgeber hält. Dort am Berg war es etwas anders - auf dem Gipfel oben zeigte der McLaren GT eine Reichweite von noch 50 Kilometern an, der Schnitt lag bei über 30 Litern. Was sich dann auf der Bergabfahrt erfreulicherweise wieder verbesserte.
FAHRVERHALTEN:
Dynamik/Handling: Er ist schon ein ziemlicher Spassvogel, der McLaren GT. Urige Kraft trifft auf ein sehr gut ausbalanciertes Fahrwerk und eine ausgezeichnete Lenkung. Gut, Mittelmotor, das hat dann auch seine Tücken. Aber dem Piloten gehen Talent und Mut meist schon lange aus, bevor der Engländer auch nur in die Nähe seiner Grenzen kommt.
Komfort: Da kann man wählen, verschiedene Fahr-Modi. Uns hat «Comfort» am besten gefallen, da ist der Engländer wirklich komfortabel, ohne deswegen zum Weichei zu verkommen. «Sport» und noch sportlicher sind dann auf schlechten Strassen eher unangenehm. Auf der Autobahn ist der McLaren GT grossartig, gleitet auf bei hohen Geschwindigkeiten einher wie eine Luxus-Limousine.
Traktion: Er hat diesen unglaublichen Grip (was auch den Reifen zu verdanken ist, massgeschneiderte Pirelli PZero). Er hat diese wunderfeine Balance (das ESP greift eigentlich nur ein, wenn es einen Fahrfehler korrigieren muss, viel zu früh viel zu heftig auf den Pinsel am Kurvenausgang etwa). Er lässt sich auch ohne elektronische Helferlein lange, lange völlig problemlos kontrollieren (trotz Mittelmotor…). Man versucht irgendwie gar nicht, die letzte Rille auszuloten, sondern sucht mehr so: den Flow, die ganz flüssige Bewegung und die Schönheit ebendieser. Und ist vielleicht sogar schneller in dieser Demut.
Lenkung: Er geht mit wunderbarer Leichtigkeit und herrlicher Präzision um die Kurven. Man denkt, wohin man will - und der Wagen setzt das perfekt um.
Wendigkeit: Am Schluss ist der McLaren GT dann eben doch ein grosses Fahrzeug, 4,68 Meter lang, der Radstand beträgt beachtliche 2,68 Meter, die Breite 2,10 Meter. Das spürt man auf engen französischen Bergstrasse, ganz besonders bei Gegenverkehr.
Geradeauslauf: Wie schon erwähnt: auf der Autobahn ist der McLaren GT auch bei Tempi weit über 200 km/h ein kleines Wunder, rollt extrem souverän und spurtreu einher.
Bremsen: Unser Testwagen hatte keine Keramik-Bremsen (die kosten ja reichlich Aufpreis) - und wir waren trotzdem höchst zufrieden, keinerlei Schwächen zeigte der Engländer. Was aber auch wundern würde. Die Bremse ist auch bestens dosierbar - und krallt sich mächtig in den Asphalt, wenn sie denn muss.
KAROSSERIE:
Abmessungen: Ein doch stattliches Fahrzeug, wie erwähnt 4,68 Meter lang, 2,10 Meter breit (mit den Seitenspiegeln) und etwas über 1,20 Meter hoch. Unbedingt zu loben ist in diesem Zusammenhang das Leergewicht von 1530 Kilo. Da kann eigentlich kein Konkurrent mithalten. Andererseits: Gibt es überhaupt Konkurrenten?
Raumangebot: Naja, was will man von einem Zweistzer erwarten? Siehe auch: Kofferraum. Also gleich nächster Abschnitt.
Kofferraum: 420 Liter Kofferraum. In einer allerdings etwas eigenartigen Form, lang und flach, denn darunter verbirgt sich ja der 4-Liter-Achtzylinder-Doppelturbo und das Doppelkupplungsgetriebe. Da könnte man sich jetzt Gedanken machen über den Sinn, denn mächtige Koffer finden da keinen Platz. Doch man muss halt strategisch packen, denn vorne gibt es ja auch noch einmal 150 Liter Volumen. Also kleinere Taschen, dafür mehr davon.
Variabilität/Funktionalität: Nein.
BEDIENUNG:
Cockpit: Abgesehen von der edlen Ausstattung (die sich mit genügend Spaziergeld sowohl noch aufwerten wie auch heftig individualisieren lässt) bleibt alles gleich im Innenraum wie bei allen anderen McLaren. Das Lenkrad ist frei von Knöpfen (danke!), der Bildschirm steht im Hochformat und mächtig im Raum.
Bedienkomfort: Die Bedienung ist ein Kinderspiel, auch deshalb, weil fünf Mal schnellere Prozessoren als bisher zum Einsatz kommen. Das Navi setzt den Wagen aber trotzdem immer noch ziemlich häufig neben die Strasse. Und gewisse Funktionen findet man erst tief in den Untermenüs.
Heizung/Lüftung: Ja.
Sitze: Das Gestühl ist ausgezeichnet. Eng – und trotzdem bequem, auch auf längeren Strecken. Vielleicht wäre etwas mehr Auflage vorne noch ein Pluspunkt für den Langstreckenkomfort. Aber bei McLaren kann man ja auch die Sitze ganz individuell wählen.
Materialanmutung/Qualitätseindruck: Ausgezeichnet.
Licht: Brauchten wir nicht.
KOSTEN:
Basispreis: Liegt bei etwa 220’000 Franken. Nein, Schnäppchen sind die McLaren nicht.
Sonderausstattungen: Oh ja - und nicht bloss alles, was das Herz begehren könnte, sondern auch noch so manches, von dem man gar nicht wusste, dass es existiert. Und wenn man dann noch mehr will, eine spezielle Lackierung zum Beispiel, kann man sich jederzeit vertrauensvoll an McLaren Special Operations wenden.
FAZIT: Jetzt einmal abgesehen vom höchst erfreulichen Fahrerlebnis, das der McLaren GT bieten kann, gibt es noch einen weiteren sehr guten Kaufgrund: er ist ein sehr, sehr schönes Automobil. In einer dunklen Lackierung, mit der die grossen Glasflächen besser betont werden, hat er tatsächlich etwas von einem Diamanten. Mit 4,7 Metern Länge wirkt er sehr gestreckt, sehr elegant, sehr harmonisch – man kann ihn auch einfach nur minutenlang anschauen.