Upgrading durch Downsizing?

Mercedes-AMG – Quo vadis?

Für was steht AMG? Ist es eine Abkürzung für “Autos Mit Geschwindigkeit”, “Achtung Mega Geil” oder “Albaner Mit Geld”? Eigentlich stehen die drei Buchstaben für Aufrecht, Melcher, Grossaspach und damit für deutsche Ingenieurskunst. Bis jetzt. Immer mehr wird der Mercedes Performance-Brand zum Abziehbild für Ausstattungspakete. Schlimmer noch: Downsizing ist das neue Upgrading.

Veröffentlicht am 18.12.2024

Eigentlich wurde AMG gegründet, weil sich der junge Motorenentwickler Hans-Werner Aufrecht in der Serienabteilung von Daimler-Benz langweilte. Er fand im Arbeitskollegen Erhard Melcher einen leidenschaftlichen Tüftler, der ebenfalls der Meinung war, dass die Technologie eines “normalen” Mercedes-Benz höhere Leistungsgrenzen erreichen könnte, ohne ihn grundlegend verändern zu müssen. 

In ihrer Freizeit frisierten die beiden Ingenieure den Mercedes-Benz 300 SE des deutschen Rennfahrers Manfred Schiek, der damit sechs von acht Rundstrecken-Rennen gewann und Deutscher Rundstrecken-Meister wurde. Vom Erfolg beflügelt überredete Aufrecht Melcher, den sicheren Job bei Daimler-Benz zu kündigen und sich mit ihm selbständig zu machen. So gründeten die beiden jungen Männer 1967 das Ingenieurbüro Aufrecht-Melcher-Grossaspach, kurz AMG. Erster Arbeitsort war die Doppelgarage im Wohnhaus von Erhard Melcher. 

Die rote Sau aus der alten Mühle

Aufrecht und Melcher mieten sich schon bald in einer alten Mühle in Burgstall ein, wo sie an ihrem ersten Meilenstein, dem AMG Mercedes 300 SEL 6.8, zwischen Pingpongtisch, Nockenwellen und schlechter Heizung arbeiten.  

1971 ging die “Rote Sau” beim 24-Stunden Rennen von Spa an den Start. Die Konkurrenz belächelte die schwere Luxuslimousine, die inmitten der schlanken und ranken Rennwagen jenen Eindruck machte, der dem Wagen den Übernamen gab. Wer zuletzt lacht: Die Rote Sau fuhr mit dem 6,8-Liter-V8-Motor und 400 PS allen davon und holte sich den Klassensieg: Voilà, eine Legende war geboren! 

In den 1970er Jahren versprach AMG aus jedem Mercedes-Benz Modell ein Unikat zu machen. So startete das kleine Unternehmen mit Individualisierungen und wuchs mit jedem Kunden, die von immer weiter her kamen, um aus ihrem Mercedes einen AMG Mercedes zu machen. Was mit Handarbeit begann, ist bis heute Handarbeit geblieben. 

Zum mittelständischen Unternehmen gewachsen, brauchten sie 1976 einen neuen Produktionsort. Man fand eine neue Werkstätte inklusive Büroräume in Affalterbach. Hier begann eine der grössten Erfolgsgeschichte in der neuen Automobilgeschichte. 

The Hammer

Der erste technische Coup gelang AMG 1984: Erhard Melcher entwickelte einen völlig eigenständigen Zylinderkopf mit Vierventiltechnik. Mit dieser Innovation spielten sich die Ingenieure in die oberste Tuner-Liga. Das war erst der Anfang. 1986 implantierte AMG den 5,0-Liter-V8 in ein Coupé der E-Klasse, das als “The Hammer” weltberühmt wurde. 

Aufstieg in den 90ern

In den 1990er Jahren begann AMG mit Mercedes-Benz zu kooperieren, und mit dem C 36 AMG legte man den Grundstein für die Übernahme durch die damalige Daimler AG im Jahr 1998. Auch im Motorsport schrieb AMG weiterhin Geschichte, insbesondere in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM). Fahrer wie der dreifache Champion Klaus Ludwig, Bernd Schneider, der fünf DTM-Titel holte, und auch Rennsiegerin Ellen Lohr trugen zur wachsenden Bekanntheit der Marke bei.

AMG Teil von Mercedes-Benz

Im Jahr 2005 übernahm Mercedes die restlichen Anteile an AMG und machte es zu einer 100-prozentigen Tochtergesellschaft. Mit Motoren wie dem legendären 5,5-Liter V8 (M113) setzte AMG Massstäbe. Dieser Motor, mit Leistungen von bis zu 507 PS, fand in fast allen Mercedes-Modellen Platz – vom E 55 AMG bis zum SLK 55 AMG. Ob mit oder ohne Kompressor: Wo AMG draufstand, war auch Qualm an der Achse.

2010 präsentierte AMG auf der IAA seine erste vollständige Eigenentwicklung, den Flügeltürer Mercedes-Benz SLS AMG. Er war eines der letzten Modelle mit Kompressor-Motoren, die allesamt heillose Trinker waren und der doppelt aufgeladene 5,5-Liter-Biturbo (M157) übernahm das Kommando. Mit bis zu 585 PS in seiner stärksten Version war dieser Motor der neue Massstab für AMG-Modelle.

Mit dem C 63 AMG kam schliesslich die neuste Entwicklungsstufe, ein brandneuer 4,0-Liter-Biturbo V8, zum Einsatz. Erstmals über 500 PS an die Hinterräder einer Mittelklasse-Limousine schockte die Konkurrenz. Auch AMGs zweite Eigenentwicklung, der AMG GT, wird von diesem befeuert. Dieser V8, bekannt unter den Bezeichnungen M177 und M178, ist inzwischen das Herzstück vieler AMG-Modelle.

Höhe der Zeit?

Doch AMG möchte geht mit der Zeit gehen: Die jüngsten Modelle, wie der C 63 S E Performance und der GLC 63 S E Performance, setzen auf einen 2,0-Liter-Turbo-Vierzylinder kombiniert mit einer E-Maschine. Mit exorbitanten Systemleistungen von bis zu 680 PS mag die Technologie vielleicht beachtlich sein, doch die Reaktionen von Fans und Kunden bleiben mehr als verhalten. Auch die rein elektrischen Reichweiten von 14 Kilometern, das Gesamtgewicht oder auch der Preis sorgen für ungläubiges Kopfschütteln.

Der Charme verblasst?

Trotz der beeindruckenden technischen Daten und Leistungen der Hybrid-Modelle ist die Begeisterung vieler AMG-Fans gedämpft. Die Einführung des Vierzylinder-Hybridantriebs hat die Frage aufgeworfen, ob AMG seinen charakteristischen Reiz verliert. Lange Zeit stand die Marke für mächtige V8-Motoren mit unverwechselbarem Sound und purer Leistung. Für viele Fans scheint es, als ob mit dem Wechsel zu Downsizing und Hybridtechnik etwas von der ursprünglichen Faszination verloren geht – der rohe, kraftvolle Fahrspass, den die Marke einst definierte.

Die Meinung von AMG

Auch wenn die neuen Hybridmodelle schneller und effizienter sind, fehlt ihnen für manche Enthusiasten die Seele, welche die klassischen V8-Motoren noch boten. Spannend auch Aussagen von AMG-CEO Michael Schiebe, dass «einige Kunden Zeit brauchen, um sich mit der neuen Technologie wirklich anzufreunden.» Er betonte ausserdem, wie wichtig es sei, offen für Innovationen zu bleiben. AMG plane zudem auch, das wenig beliebte Vierzylinder-Setup beizubehalten, welches er als «sehr fortschrittlich» bezeichnet. Trotz einiger Spekulationen werde es beim C 63 keine Rückkehr zum V8-Motor geben. Michael Schiebe meint sogar, dass AMG-Kunden aus Menschen bestehen, die moderne Technologie vor einem emotionalen V8-Blubbern priorisieren würden. Wenn die neuesten Entwicklungen also gar keinen Verbrennungsmotor haben, werden die Kunden bereitwillig auf Elektroautos umsteigen.

So ganz können (und wollen) wir das AMG aber dennoch nicht abnehmen. Beispiel, der kommende Mercedes-AMG CLE63, der aktuell auf dem Nürburgring seine letzten Testrunden dreht. Auch dieser soll mit dem kleinen Vierzylinder-Turbo und elektrischer Hinterachse auf den Markt kommen. Gerüchten zufolge stoppte man das Projekt sogar sehr spät in seiner Entwicklungsphase, da man die schwache Nachfrage nach dem aktuellen C63 nicht wiederholen möchte.

Richtig schlimm könnte sich dieses Thema noch auf dem Gebiet der Elektromobilität auswirken. Beispiel: Der Mercedes-EQ EQE SUV 350 und sein affalterbach’sches Pendant, der Mercedes-AMG EQE SUV 43. An beiden werkelt vorne der EM0030, ein PSM-Motor mit 134 kW/190 PS, und an beiden Hinterachsen der EM0027, ebenfalls ein PSM mit 248 kW/333 PS. Doch einmal gibt Mercedes beim 350er EQE-Modell 215kW/292 PS frei und der AMG-Version werden 350kW/476 PS programmiert. Ansonsten unterscheidet diese Modelle, ja was eigentlich genau? Aussenhülle gleich, innen gleich. Bis auf eine digitale IWC-Uhr im Infotainment und kleinen Satelliten am Lenkrad, kommen beim AMG-Modell noch etwas Ausstattung, sowie ein paar AMG-Aufkleber dazu. Stimmt, der Preis ist auch unterschiedlich. Für die softwarebasierte Leistungsfreigabe für den AMG braucht es rund 30'000 Franken zusätzlich.

Mit diesem Problem steht das Performance-Unternehmen gewiss nicht alleine da. Doch die Zukunft wird zeigen, wie man sich gegen den allgemeinen Vorwurf wehrt, dass AMG aktuell zu einer reinen Ausstattungslinie verkomme. Zu hoffen wäre es, sind wir doch alle mit ihren Traumautos gross geworden und wünschen uns sehnlichst eine Fortführung dieser Erfolgsgeschichte. Vielleicht mit einem richtigen Affalterkracher zum 60. Geburtstag in zwei Jahren?

Text: GAT

Bilder: Mercedes-AMG

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