Andreas Wüest AG

Nebelgeräusche – Der Ford RS200

In den 1980er-Jahren entstand ein heisses Rallyegerät für die Gruppe B. Aber das wurde gestoppt bevor der RS200 richtig auf Touren kam. Übrig geblieben sind Erinnerungen an eine wilde Zeit sowie einen sehr aussergewöhnlichen Sportwagen.

Veröffentlicht am 03.03.2022

Gerne erinnert man sich bei Ford an die ultraschnellen GT40 in Le Mans oder die driftenden Escorts. Und beim Wort «Cosworth» glänzen erst recht die Augen. Ach, waren das noch Zeiten! Überall im Motorsport mischte Ford kräftig mit – ganz oft mit durchschlagendem Erfolg. Wird hingegen der RS200 angesprochen, hält sich die Begeisterung in Grenzen. Aber der Reihe nach. Heckantrieb war, mal abgesehen vom frontgetriebenen Mini, im Rallyegeschehen Standard. Und die Heck- und Mittelmotorfraktion um Alpine A110, Porsche 911 oder Lancia Stratos wechselt sich an der Spitze mit den konventionell angetriebenen Ford Escort, Opel Ascona oder Fiat 131 ab. Dann kommen zwei Dinge ins Spiel: 1980 der (Quattro-)Allradantrieb und 1982 die Gruppe B. Sie ermöglicht es, nahezu unbegrenzt leistungsfähige Prototypen mit einer Mindeststückzahl von 200 Homologationsexemplaren auf die Pisten loszulassen – keine so gute Idee. 

Fein gemacht: Die von Ghia-Chefdesigner Filippo Sapino entworfene Karosserie wirkt eigenständig, ist aber durch die Sierra-Heckleuchten zumindest von hinten als Ford erkennbar. Es gibt definitiv hässlichere Gruppe-B-Autos … 


Der Escort war am Ende

Ford hat nach den zwei Escort-Generationen 1980 auf Vorderradantrieb umgesattelt. Daher bietet sich der Escort III nicht mehr als Rallyebasis an. Projekt RS1700T mit Hinterradantrieb wird nach 18 gebauten Prototypen begraben. Da kommt die Gruppe B wie gerufen, und Ford entwickelt ab 1983 den RS200. Der Name steht für «Rallye Sport» und die für die Homologation notwendige Stückzahl. Den Motor aus dem RS1700T hat man ja bereits. Er wird längs vor der Hinterachse in ein neu entworfenes Chassis gepflanzt. Das Gesamtkonzept nutzt alle durch das Reglement gegebenen Möglichkeiten. Türen, Windschutzscheibe, Heckleuchten und Teile der Dachpartie stammen zwar vom Ford Sierra und viele Innenraumteile kommen dem Ford-Fahrer ebenfalls bekannt vor. Aber der Rest hat mit den anderen Ford-Modellen nichts gemeinsam. 

Die eigenwillige, exakt vier Meter lange Karosserie mit Froschaugen, periskopartigem Lufteinlass auf dem Dach und gigantischem Heckspoiler entsteht bei Ghia in Turin unter der Feder von Filippo Sapino. Der sehr lange Radstand, die kleinen Überhänge und die geringe Höhe von nur 1,32 Metern geben dem RS200 ein extrem dynamisches Aussehen. Insgesamt wirkt alles sehr sauber gelöst. Irgendwelche Ecken, die die Designer vergessen haben, finden sich keine. Einige Rallyefahrzeuge jener Epoche wirken da deutlich unfertiger. Unter der selbsttragenden Karosseriezelle und den Anbauteilen aus glasfaserverstärktem Kunststoff sitzt eine Konstruktion aus Leichtmetallsandwichplatten, die mit Karbon verstärkt sind. Zudem gibt es einen vorderen und hinteren Hilfsrahmen sowie einen Überrollkäfig aus Stahlrohren. 

Schraubstock: Ist man einmal in den Schalensitzen drin, kommt man kaum mehr raus – vielleicht will man auch gar nicht….


Stilmix im Interieur

Der Innenraum wirkt recht wohnlich und gut durchdacht. Allerdings gibt es für die Augen eine gewisse Diskrepanz zwischen dem fast serienmässigen, recht kastigen Sierra-Armaturenbrett und den extremen, in Rot gehaltenen Schalensitzen oder dem Sportlenkrad. Rennatmosphäre entsteht durch die extrem niedrige Sitzposition und den schraubstockartigen Halt der Rennsessel. Das Cockpit und die Mittelkonsole sind mit vier respektive drei Rundinstrumenten bestückt, die wiederum eindeutig aus der Sportabteilung stammen. 

Der von Cosworth entwickelte Triebsatz ist ein vom BDA-Motor (belt driven A-Series) abgeleiteter 1,8-Liter-Motor mit vier Ventilen, zwei obenliegenden Nockenwellen, Trockensumpfschmierung und Garrett-Turbo. Er leistet 250 PS und liegt inklusive Turbofaktor von 1,4 noch unter den maximalen drei Liter Hubraum zu liegen. Es gibt drei Sperrdifferenziale von Ferguson – eines mittig je eines an der Vorder- und Hinterachse –, die sich in der Rennausführung und optional auch beim Strassenfahrzeug über einen kleinen roten Handgriff auf 50 : 50 sperren lassen. Die Standardverteilung der Leistung ist 37 Prozent vorne und 63 Prozent nach hinten. Das Fünfgang-Getriebe sitzt vor dem Motor und lässt sich einfach bedienen, die Gewichtsverteilung ist hervorragend. Rundum gibt es Dreiecksquerlenker mit doppelten Dämpfern und höhenverstellbaren Schraubenfedern sowie innenbelüftete Scheibenbremsen. Die sechs Prototypen und alle weiteren Exemplare des RS200 werden bei Reliant – bekannt für seine Dreiräder sowie den Sportwagen Scimitar – in der immer noch existierenden Fabrik in Shenstone nördlich von Birmingham gebaut. Insgesamt sind es allerdings keine 200, sondern nur 140 bis 146 Autos. Trotzdem wird der RS200 am 1. Februar 1986 für die Gruppe B homologiert. 

Frech: Rundscheinwerfer geben dem RS200 ein freundlich-verschmitztes Gesicht und hätten an einem Serienauto cool ausgesehen.

 

Die Basis ist entwicklungsfähig

Die Hardware ist also absolut renntauglich. Erst recht, da nur ein Leergewicht von 1180 Kilogramm – beim Rennwagen sind es weniger – bewegt werden muss. So weit, so gut? Nicht wirklich, denn die 250 PS sind zwar für die Homologationsautos ein ausgezeichneter Wert, aber für den Rennbetrieb zu wenig. Daher leistet die Rennversion knapp 380 PS, in der letzten Saison werden es sogar 420 Pferde.

In der Rallye-WM hat der RS200 hingegen nie die Gelegenheit, sich richtig zu entwickeln und in Szene zu setzen. Das höchste der Gefühle ist der dritte Platz bei der Schweden-Rallye 1986. Leider gibt es aus der Gruppe B immer mehr Negativschlagzeilen. Marc Surer hängt den Helm 1986 an den Nagel, nachdem er in der Hessen-Rallye auf dem Schottenring bei Rudingshain mit seinem RS200 bei hohem Tempo in Querlage gerät und das Heck zwei Bäume rammt. Er wird schwer verletzt, sein Beifahrer Michel Wyder ist leider tot. An der Rallye Portugal kommt der Portugiese Joaquím Santos mit seinem RS200 von der Strecke ab. Drei Zuschauer sind tot, 31 verletzt. Da bei der Rallye Korsika desselben Jahres Henri Toivonen und sein Beifahrer Sergio Cresto verunglücken und in den Flammen ihres Lancia Delta S4 sterben, entscheidet die FIA zum Ende der Saison 1986, die Gruppe-B-Fahrzeuge in der Rallye-WM zu verbieten. 

Dabei hat der RS200 so viel Potenzial. Da rein rechnerisch 2140 cm3 möglich wären, fehlte es ihm im Vergleich zu den Wettbewerbern aber an Hubraum und Motorleistung. Ein von Brian Hart entwickelter Evolutionsmotor mit 2137 cm3 Hubraum leistet zwischen 450 und 650 PS und bringt ein deutlich höheres Drehmoment als der bisherige Cosworth-Motor. Dazu kommen zahlreiche Modifikationen bei Fahrwerk und Bremsen, um der Mehrleistung gerecht zu werden. Aber der Evo-RS200 kommt zu spät und wird nie eingesetzt, zumindest nicht bei Rallyes. Nur bei der Rallycross-Europameisterschaft trumpfen die 24 Exemplare des Evo bis 1992 nochmals richtig auf. Doch diese Wettbewerbe haben nie den Nimbus einer echten Rallye-WM erreicht.

Der RS200 ist sauber gestylt. Irgendwelche Ecken, die die Designer vergessen haben, findet man nirgends.

 

1200 Meilen auf dem Tacho

36 Jahre später steht ein besonders schönes Exemplar auf den Hügeln des malerischen Seetals in den Kantonen Aargau und Luzern bereit. Es gehört Händler Andreas Wüest aus Hallwil und wurde nach seiner Fertigstellung zwei Jahre lang von Ford als Promofahrzeug benutzt, bevor es an einen Käufer in die USA ging. Es hat aktuell rund 1200 Meilen auf dem Tacho und ist zudem mit der begehrten optionalen Differenzialsperre ausgerüstet. 

So wundert es nicht, dass der Einstieg beschwerlich ist und Personen über 1,90 Meter es gar nicht erst versuchen sollten. Einmal in Fahrt, ist der RS200 allerdings sehr zivilisiert. Da das Fahrzeug so selten und so teuer ist, geben wir ihm nur ganz dezent die Sporen. Die direkte Lenkung, die kurvengierige Strassenlage und der Cosworth-Punch im Rücken lassen jedoch sofort Rallyegefühle aufkommen. Natürlich darf man bei einem handgebauten Kleinserienstück nicht die Spaltmasse überprüfen und auch der Finish ist in vielen Bereichen gerade mal okay. 

Schraubstock: Ist man einmal in den Schalensitzen drin, kommt man kaum mehr raus – vielleicht will man auch gar nicht...

Der RS200 ist ein Stück Renngeschichte und bietet das einmalige Gefühl, zu verstehen, was mit diesem Auto alles möglich ist und wieviel Spass man mit ihm auf kurvigen Strassen oder Schotter haben kann. Übertreiben muss man es nicht, aber das Limit ist sehr weit «draussen». Da liegen also doch Kurventempi drin, die so schnell kein anderer Sportwagen mitmacht. Was wäre aus dem RS200 geworden, hätte es die FIA damals geschafft, diese Autos – und die Zuschauer – so in den Griff zu bekommen, dass sie noch viele Jahre Rallyegeschichte hätten schreiben dürfen? Hätte der RS200 da nicht ein Wörtchen mitzureden gehabt? Die Antwort bleibt wohl für immer vom Nebel der Geschichte verhüllt.

Text: Stefan Fritschi
Fotos: Dario Fontana

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