

Renault Clio – König Clio, der VI.
Renaults neuer Clio wächst über sich hinaus: grösser, reifer und mit Hybridpower. Der Kleinwagen besitzt den Charme einer Alltagsikone, die sich mehr als nur die Verkaufszahlenkrone aufsetzen könnte.
Eigentlich hätte man es ja nicht nötig gehabt: Der Renault Clio gehörte 2024 immer noch zu Europas Bestsellern. Doch statt sich auf die faule Haut zurückzulegen, haut Renault mit der sechsten Generation gleich einen hinterher. Der Clio ist für die Marke schlicht unverzichtbar – Herz, Aushängeschild und ein Stück französische Alltagskultur. Schon seit 1990 gilt der Clio als Massstab unter den Kleinwagen. Rund 17 Millionen Exemplare in über 120 Ländern sprechen für sich – kein anderes Auto aus dem Land von Champagner und Camembert hat eine solche Karriere hingelegt. Vom süssen Basismodell über den radikalen Clio V6 bis zum komfortverwöhnten Initiale Paris hat er immer wieder Facetten gezeigt, die man einem französischen Golf gar nicht zugetraut hätte.
Wenig süss, mehr ernst
Und jetzt rollt die sechste Generation auf die Bühne, so frisch wie ambitioniert und Renault macht aus dem ewigen Bestseller einen Kleinwagen, der eigentlich fast schon keiner mehr sein will. Mit 4,12 Metern Länge, sieben Zentimetern mehr als bisher, breiterem Stand und coupéhafter Linie schnuppert der neue Clio Kompakt-Luft. Vorn sorgt die markante LED-Signatur mit den Scheinwerfern für einen entschlossenen Look, wobei im Präsentationssaal zu Paris oft die Namen 1er BMW und Kia Ceed zu hören waren. Am knackig kurzen Heck sehen wir uns aufgrund seiner sportlichen Lampen an einen Ferrari SF90 erinnert. Clio ganz der Alte? Mais non – eher die erwachsene Version eines Klassenprimus, der jetzt kräftiger auftreten will.
Innen überrascht die sechste Generation mit feiner Ausstattung, die man in dieser Liga nicht zwingend erwartet. Viel Soft-Touch-Materialien, Ambientebeleuchtung in der Türstruktur, Alcantara im Esprit Alpine und ein völlig neu gestaltetes Cockpit mit dem OpenR-Doppel-Display. Ja, Google bringt das natürlich frei Haus: Maps, Assistant und Apps laufen direkt im Auto. Dazu bietet der Clio jede Menge praktische Ablagen, USB-C-Anschlüsse und kabelloses Laden. Hinten wird es halt eng. Beim Einsteigen Kopf einziehen, im Sitzen langsam wieder ausfahren und mit der vorderen Sitzperson über einen Kompromiss zur Beinfreiheit aushandeln. Dass der Clio jetzt als Raumwunder im Fond gilt, überrascht jetzt niemanden oder? Dafür schluckt der Kofferraum bis zu 391 Liter – für ein Stadtauto recht ordentlich. Unser Fazit hierzu: Für Familien mit Kinderwagen als Erstwagen nur bedingt geeignet, als Zweitwagen unbedingt geeignet.
Renault setzt aufs Pferd
Für Familienbudget ausgelegt wurden die Antriebe, die mit Effizienz statt Leistung glänzen. Die überarbeitete Motorenpalette kommt mit Horse-Power. Horse, so nennt sich die Motorenallianz von Renault, Geely und Aramco. Einstiegsvariante ist der neue 1,2-Liter-Dreizylinder-Turbobenziner mit 115 PS – solide, sparsam, aber sicher kein Stoff für Adrenalinschübe. Doch etwas wärmer ums Herz wird einem mit dem E-Tech Full Hybrid. Seine 160 PS aus einem 1,8-Liter-Vierzylinder werden zusätzlich von zwei Elektromotoren flankiert. Das System schafft den Sprint auf 100 in 8,3 Sekunden (das ist für Kleinwagenverhältnisse irgendwie noch so okay), bleibt aber bei Normverbrauch von 3,9 Litern (das ist aber zeimlich okay!). In der Stadt fährt er Renault typisch viel (Renault nennt bis zu 80 Prozent) elektrisch – fast wie ein E-Auto, nur eben ohne den Kabelsalat.
Das wird was!
Eigentlich kann man nicht gegen den Clio nörgeln. Neben dem Stand für Hefeweizen (schon morgens, igitt) war der «Kleine» der grösste Publikumsmagnet auf Rädern an der IAA in München. Doch wenn wir ein Haar in der schmackhaften Suppe finden wollen, dann wahrscheinlich, dass die neue Technik das Fahrzeug sicher schwer werden lässt. Nicht, dass die 160 fleissigen Rössli dann zu phlegmatischen Ponys werden. Ein bisschen möchten wir Renault hier aber auch in Schutz nehmen, da die hohen Anforderungen an Sicherheitsstandards alle Fahrzeuge pummelig werden lässt. Ebenso steigen könnte auch der Preis. Der Hybrid ist technisch komplex, was potenziell mit höheren Entwicklungskosten einhergeht, die man sich aber wie erwähnt oben teilt. Auch das neue Cockpit, so digital es auch glänzen mag, kann für Puristen eine Spielkonsole zu viel sein. Und während der Clio optisch beeindruckt, verliert er ein Stück seiner früheren Leichtigkeit. Er ist weniger der freche Franzose von nebenan, mehr der ambitionierte Kompaktwagen im Kleinwagenkostüm.
Trotzdem: Mit mehr Grösse, mehr Technik und mehr Effizienz bleibt der Clio das, was er immer war – das Rückgrat von Renault. Nur diesmal mit einem klaren Anspruch, nicht nur Bestseller zu sein, sondern auch Klassenreferenz.
Text: GAT
Bilder: Renault