Mercedes-AMG GT 63 Klausenpass

In Memoriam Rudolf Caracciola

1934 bretterte Rudolf Caracciola im Mercedes Silberpfeil in 15 Minuten und 22 Sekunden die ungeteerte und ungesicherte Klausenpassstrasse hoch – ein Rekord für die Ewigkeit. In Gedenken an den König des Klausenpass, der hier 1924 zum ersten Mal startete, fünfmal siegte und vor 65 Jahren im Tessin starb, lassen wir Caracciola mit dem Mercedes-AMG GT 63 nochmals hochleben.

Veröffentlicht am 30.08.2024

Zwischen 1922 und 1934 stand Ende August ein Rennen ganz fett im Kalender: Der Grosse Bergpreis der Schweiz, ein Internationaler Grand-Prix mit so viel Renommée, wie es heute vielleicht noch der GP von Monaco ist.

Das gefährlichste Rennen der Welt 

21,5 Kilometer, 136 Kurven, 1237 Höhenmeter: Das waren die Kennzahlen des wohl gefährlichsten Rennen der Welt. Der Grosse Bergpreis der Schweiz war ein internationales Grossereignis. Zehntausende wollten jeweils selbst miterleben, wie die Rennfahrer mit bis zu 200 km/h fauchend und brüllend über die ungeteerte und ungesicherte Passstrasse preschten. Und das ohne Bremskraft- oder Lenkunterstützung, geschweige denn Helm oder Sicherheitsgurte. Alles zusammen erst noch auf einer Schotterpiste mit tödlichen Abgründen auf der einen Seite und Felsen auf der anderen.

Früher waren Rennfahrer wie Gladiatoren – jedes Rennen ein Seiltanz zwischen Leben und Tod. Doch selbst unter den Mutigsten stach einer besonders hervor: Rudolf Caracciola. Während andere auf die Bremse traten, gab Caracciola Gas – erst recht bei Regen.

Caracciola zum ersten Mal auf dem Klausenpass 

1924 schickte Mercedes-Benz den jungen Werksfahrer zu seinem ersten Auslandseinsatz auf den Klausenpass. Ein voller Erfolg: Caratsch, wie ihn seine Freunde nannten, fuhr die schnellste Zeit auf einem Sportwagen und belegte den dritten Gesamtplatz. Das Publikum war begeistert und feierte den Jungstar frenetisch. Es sollte “seine” Strecke werden. Keiner beherrschte das Bergrennen so gut wie Rudolf Caracciola. Insgesamt fünf Mal gewann der Deutsche den Grand-Prix im Kanton Glarus, was ihn zum “König des Klausenpass” machte.

Wendepunkt seiner Karriere 

Vor 90 Jahren stellte Rudolf Caracciola den Strecken-Rekord beim “Grossen Bergpreis der Schweiz” am Klausenpass auf. Weil 1934 auch das letzte Rennen am Klausen stattfand, ist es eine Bestzeit für die Ewigkeit. Es war auch für Caratsch ein Wendepunkt. So startete er hier erstmals in jenem Fahrzeug, das ihn zur Legende machen sollte: dem Mercedes-Benz W 25, der als Silberpfeil Rennsportgeschichte schrieb. In nur 15:22,20 Minuten bretterte Caracciola die mörderische Strecke rauf. Wahnsinn! Damals, wie heute. 

Vielleicht lag es nicht an Caracciolas Mut allein, sondern vielmehr an seiner Todessehnsucht. Im Februar 1934 kam seine Frau Charly im Skiurlaub in Arosa ums Leben. Caracciola verlor mit dem Tod von Charly nicht nur seine grosse Liebe, sondern auch seinen Lebensmut und zog sich zurück. Rudolf Caracciola war ein halbes Jahr vor seiner Rekordfahrt am Tiefpunkt seines Lebens angekommen. Doch wie in jeder Heldenstory sollte dies erst der Anfang von etwas ganz Grossem sein. 

Das grosse Comeback

Zum Comeback musste der gebrochene Mann erst überredet werden. Sein guter Freund und Rennfahrer Louis Chiron organisierte für ihn im Frühling 1934 erste Trainingsfahrten. Siehe da: Caracciola fuhr Bestzeiten, obwohl er noch in Krücken (Folgen eines schweren Unfalls ein Jahr zuvor) zum Rennwagen humpelte. Das Comeback am Klausenpass bedeutete auch für Caratsch einen Neuanfang – die Ära der Silberpfeile begann. Kurze Zusammenfassung: Von 204 absolvierten Rennen gewann Caracciola 144.

Der Ur-Ur-Ur-Enkel des Silberpfeils

Der Mercedes-AMG GT 63 ist sowas wie der Ur-Ur-Ur-Enkel (vielleicht haben wir noch ein paar Ur’s vergessen) der legendären Mercedes-Benz Silberpfeile. Er ist der jüngste, aber auch zivilisierte Spross einer langen Mercedes-Benz Motorsport-Tradition, die mit Rudolf Caracciola und den Silberpfeilen ihren ersten Höhepunkt fand. Was passt also besser, als damit dem König des Klausenpass zu huldigen?

Der direkte Vergleich 

In Linthal, wo der Teerbelag aufhört und das Kopfsteinpflaster der Passstrasse anfängt, starteten einst die Rennfahrer zur Selbstmord-Mission. Genau wie wir, hundert Jahre später  im Mercedes-AMG GT 63, der die 585 PS Leistung dank Race-Start Launch-Control gut verteilt auf den Boden bringt, um dann in die erste Kurve zu fliegen.

Hoppla Schorsch! Die Beschleunigung ist atemberaubend: In nur 3,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h werden wir wie eine Gewehrkugel nach vorne geschossen. Das ganze klappt rückwärts ebenfalls zuverlässig und ohne Geschiebe. Spielt man ein bisschen mit den Fahrmodi, hilft das Hinterteil beim Lenken. Für mehr fehlt uns der Mut, angesichts der steilen Felsen, die keinen Spass verstehen. 

Kurven und Kühe 

Schon nach den ersten Kehren über dem Urnerboden kriegen wir Muffensausen, weil es immer steiler runter geht, die Strassen enger werden, die Kurven unübersichtlicher und das Pressefahrzeug über zweihunderttausend Franken kostet. Aber vor allem wegen der Kühe. Die liegen hier einfach auf der Strasse rum! Die Kuhfladen-Teppiche und viele Schilder künden die tierischen Begegnungen zwar an und zwingen jeden drei Gänge runterzuschalten, wer nicht die ganze Sauce übers Auto verteilt haben will. Das war beim Klausenpassrennen bestimmt nicht so. 

Schwerstarbeit am Steuer 

Während der spektakuläre AMG GT 63 unter unserer Direktive keine Sekunde aus der Ruhe zu bringen ist, war das Fahren eines Rennwagens vor hundert Jahren noch die Arbeit eines Raubtier-Dompteurs. Runterschalten, Raufschalten: Was im blauen Flitzer ein Fingerschnipp am Paddel ist, war mit dem unsynchronisierten Getriebe des W25 Schwerstarbeit. 354 PS leistete der Silberpfeil W 25; allerdings wog das 8-Zylinder-Monster nur 750 Kilogramm. Der Mercedes-AMG GT 63 ist deutlich schwerer (2150 kg) als der Silberpfeil von Rudolf Caracciola. Aber mit Sicherheit ist der blaue Pfeil einfacher im Handling. Einfach unglaublich, was die Rennfahrer damals in ihren Blechbüchsen leisteten. 

Passione Caracciola 

In Gedenken an den König vom Klausenpass fand in den letzten Jahren regelmässig die “Passione Caracciola” statt, eine Hommage-Rallye, die zur Pilgerfahrt vieler Mercedes-Benz Oldtimer-Fans geworden ist. 

In Gedenken an den König vom Klausenpass

Wie wir, an diesem wundervollen August-Morgen – in Gedenken an den König des Klausenpass, dem einzigartigen Rudolf Caracciola, der hier vor hundert Jahre zum ersten Mal startete und vor 90 Jahren den Rekord für die Ewigkeit fuhr und dessen Lebensgeschichte so spannend ist, dass wir uns fragen, warum es über ihn noch keine Netflix-Doku gibt. 

Einen ausführlichen Bericht gibt es in der ai/10.

Text: Jürg Zentner 

Bilder: Christian Lienhard (lienhardbildwerke.ch)

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