Classic

1976 Porsche 911 Turbo - Witwenmacher?

Turbolader sind etwas Feines und heute kaum mehr aus dem, sowieso schon im starken Gegenwind stehenden Verbrennungsmotor, wegzudenken. Die Aufladung mittels Abgasenergie optimiert den Verbrauch und bringt willkommenes Drehmoment in die Leistungsentfaltung des Verbrenners. Nicht so beim ersten 911er Turbo aus dem Hause Porsche, der hatte mehr so ein Überraschungsdrehmoment.

Veröffentlicht am 18.01.2023

Im Heck des Porsche 911 930 wohnt die Mutter aller Turbolöcher. Der Dreiliter-Boxer genehmigt sich gerne mal einen Extraschluck oktanhaltiger Spirituosen, nur um dann mal heftig auszurasten und dem kompakten Zuffenhausener unerwartet vehement in den verbreiterten Allerwertesten zu treten. Der erste Strassenturbo von Porsche war und ist immer noch ein beeindruckendes Spielzeug mit spürbarem Ursprung im Rennsport. Die 260 PS haben mit den 1140kg Leergewicht leichtes Spiel und sind nichts für ungestüme Gemüter. 

Der grosse Heckspoiler ohne Ladeluftkühlerkasten und die breiten Radhäuser verraten den Ur-Turbo. 

 

Erstkontakt

Die allererste Fahrt im Ur-Turbo brennt sich tief ins Gehirn. In der Warmfahrphase säuselt der Lader akustisch präsent vor sich hin und das lange schon, bevor sich die Nadel der Ladedruckanzeige in die Spasszone hochzieht. Wunderschönes Geräusch. Und man denkt sich, der ist doch gar nicht so wild?

Kurven und deren Ausgänge sollten besser nicht unter Volllast genommen werden. Sonst machts Aua. 

Die Getriebeübersetzung ist sehr lange ausgelegt, das geht also alles noch recht gemütlich vonstatten. Witwenmacher? Meh, da schwingt wohl eine Menge Mythos mit dem Auto mit, so schlimm ist das ja alles gar nicht. Soweit der erste Eindruck, bis dann eben die Maschine warm und damit die Freigabe für atmosphärischen Überdruck erteilt ist. Mir sollte das Labern noch vergehen. Stichwort:

"Überraschungsdrehmoment"

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Die Vitalparameter des Turboboxers und des Führerscheins werden hier analog angezeigt. 

Im Drehzahlkeller ist keiner zu Hause. Im ersten Stock, bei 3000 Umdrehungen, passiert immer noch nichts, was das Schnitzel vom Teller zieht, aber die Nadel in der Ladedruckanzeige steigt stetig. Und dann im zweiten Stock, ab ca. 4000 Umdrehungen, und mit dem Drehzahlmesser zwischen den Zähnen, geht das Auto vorwärts, als würde von hinten ein A380 anschieben. Auch akustisch. Heilliger Sankt Petroleum, willkommen im Dach. Geschoss!

Auch bei diesem 46 Jahre alten Exemplar ist die Ergonomie der Fahrerkanzel unverkennbar Porsche.

Der hastige Blick auf den Tacho offenbart schockierende Zahlen und der Führerschein scheint massiv in seiner warmen Kemenate im Portemonnaie bedroht. Der erste Atemzug nach dem ausgedrehten zweiten Gang ist tatsächlich auch etwas schwerer gefallen, vermutlich weil die Ladedruckerei im Heck den Sauerstoff im Umkreis von 10 Metern weggesogen hat. Deswegen auch der leicht erhöhte Puls, welcher in den Ohren pulsiert.  

Todesfalle? Jein.  

Dank moderner Reifentechnik mag der Witwenmacher in seiner Gewaltbereitschaft für heutige Massstäbe vielleicht etwas entschärft sein. Aber auf nasser Strasse sollte man die Ladedruckzone definitiv meiden, ausser man möchte davon überrascht werden, wie das Heck ziemlich flott zum Überholen ansetzt und von diesem Vorhaben auch nur schwer abzubringen ist. Das Gaspedal in Verbindung mit minimalem Lenkwinkel als erstklassige Todesfalle. Sehr schön. 

Kann nicht kochen: Die Mutter aller Turbolöcher. 

Der luftgekühlte Dreiliterturbo ist in jener Hinsicht gefährlich, dass er im zivilen Alltag ein durchaus handliches, responsives und sehr einfach zu fahrendes Automobil ist. Das schafft Vertrauen, Vertrauen jedoch in eben jene Mutter aller Turbolöcher, welche ein furienhaftes Temperament hat und bei Bedarf dem 930er den einen oder anderen herzhaften Tritt in den Hintern verpasst. Also, aufpassen und die Pressatmung im zweiten Gang bitte nicht vergessen.

Text & Bilder: Markus Kunz

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