Aussage gegen Aussage beim Posen
Die Polizei geht mit Posern nicht zimperlich um. Empfindet sie es als zu laut, braucht es keine Lärmmessung. Unvoreingenommene Zeugen können helfen.
Mike hatte es an jenem Abend nicht leicht, als er mit seinem Kollegen zu seiner Ex-Freundin fuhr. Er traf just ein, all sie die Kartonkisten mit seiner Modellautosammlung aus ihrer ehemals gemeinsamen Wohnung auf das Trottoir stellte. Aber es kam noch düsterer: Als er losfuhr, hielt ihn eine Polizeipatrouille an. Der Grund: Mike soll zu stark beschleunigt und dabei zu viel Lärm verursacht haben, also klassisches «Posen».
Die Polizei geht mit «Posern» bekanntlich nicht zimperlich um. Es reicht, wenn die Polizei das starke Beschleunigen, Drehzahlorgien oder den quietschenden Querfahrer als zu laut empfindet. Eine technische Lärmmessung braucht es nicht. Mit einer Busse ist es nicht getan, sondern es erfolgt die Anzeige an die Staatsanwaltschaft. Neben der Busse sind die Verfahrensgebühren meist oft noch höher, und der klangstarke Tritt aufs Gaspedal kostet schnell ein paar Hundert Franken. Dies blühte auch Mike.
Landläufig gilt, dass man bei Aussage gegen Aussage ungeschoren davonkommt. Bei Mike stand zwar seine Aussage gegen die der Polizei, weil er bestritt, sogenannten «vermeidbaren Lärm» verursacht zu haben. Die Polizei hat aber von Gesetzes wegen den Auftrag und damit den Bonus, die Fakten sachlich und neutral festzuhalten. Sie darf kein persönliches Interesse verfolgen. Oft fühlt man sich während einer Kontrolle persönlich zwar als vorverurteilt, aber das ist sozusagen «part of the road-deal». Im Gegensatz zur Polizei hat der (oder die) Betroffene meist ein Eigeninteresse, seine (oder ihre) Fahrkünste möglichst günstig darzustellen. Man spricht dann von Schutzbehauptungen.
Polizei am längeren Hebel
Dies führt dazu, dass es viel braucht, um das Gegenteil der «Aussagen» der Polizei zu beweisen – trotz geltender Unschuldsvermutung. Sie gilt als aufgehoben, wenn es genügend Beweise gegen den Verdächtigen gibt. Und die Feststellungen der Polizei vor Ort gelten in der Regel als starke Beweise, da sie gesetzlich der Objektivität verpflichtet sind. Die Aussage der Polizei gilt somit mehr als die Aussage des Beschuldigten.
Mike wehrte sich mit seinem Anwalt gegen seine Verurteilung, welche natürlich bestens in das Bild des erzürnten Ex gepasst hätte. Er beantragte bei der Staatsanwaltschaft die Befragung seines Kollegen, des Polizeibeamten sowie seiner Ex-Freundin. Ersterer wurde nicht als Zeuge zugelassen. Da sie ja Kollegen sind, ging die Staatsanwaltschaft zu Recht davon aus, dass er ihn ja wohl nicht verpfiffen hätte. Der Beweiswert der Aussagen von Kollegen ist daher meist zu gering, um die Darstellung der Polizei zu kippen.
Glücklicherweise liess die Ex-Freundin aber Mike nicht im Leerlauf drehen. Sie bestätigte gegenüber der Staatsanwaltschaft, dass ihr Ex ohne Lärmexzess losgefahren sei. Vielmehr habe ein vor ihm fahrendes Auto hochtourig die Kurve geschnitten. Da der Polizeibeamte zudem auf seiner Patrouille durch das Quartier von seiner Position aus nicht erkennen konnte, ob noch ein anderes Fahrzeug voranfuhr und er nur einen aufheulenden Motor hörte, wurde das Verfahren gegen Mike schliesslich eingestellt – unter Erstattung der Anwaltskosten. Wäre seine Ex noch seine Freundin gewesen, wäre wohl die Staatsanwaltschaft nicht auf die «Schutzbehauptungen» von Mike eingegangen, wonach ein zweites Fahrzeug vor ihm «gepost» hat. Weil seine Ex-Freundin unvoreingenommen war, wurde sie aber zur Kronzeugin.
Zeugen nicht beeinflussen
Wichtig ist, dass Zeugen nicht beeinflusst werden. Es ist nicht ratsam, die Zeugen über den Vorfall zu informieren. Denn, wenn diese schon wissen, was sie sagen sollten, kommt dies oft raus: Eine der ersten Fragen der Staatsanwaltschaft lautet, ob der Zeuge mit dem (der) Beschuldigten wegen der Zeugenbefragung Kontakt hatte. Wenn ja, kommt der Beweiswert der Zeugenaussagen schon mal einem Plattfuss gleich. Das nennt man Gefälligkeitsaussagen.
Handelt es sich übrigens um eine Aussage-gegen-Aussage-Situation zweier Privatpersonen, ohne dass die Polizei dabei war, braucht es weitere Beweise für eine Verurteilung. Dann genügt die Beobachtung einer Privatperson nicht. Allerdings kann das Aussage- und übrige Verhalten eines Beschuldigten entscheidend sein, weshalb sich der Beizug einer Anwältin oder eines Anwalts vor der ersten Aussage lohnt. Schliesslich kann bei illegalem Tuning mit nicht abgenommenen Komponenten oder je nach Fahrmanöver auch ein Ausweisentzug drohen sowie die Beschlagnahme des Autos erfolgen.
Mike hingegen konnte das Kapitel mit seiner Ex sozusagen ohne Motorschaden abhaken.
Text: Robin Road
Fotos: Vesa Eskola
Robin Road hilft
Dr. Rainer Riek — alias Robin Road — schreibt in jeder ai-Ausgabe oder auf unserer Homepage
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