Mit dem Porsche Taycan durch Norwegen
In der aktuellen Ausgabe der ai findet sich der Abschlussbericht zum Langstreckentest des Porsche Taycan 4S. Diese Geschichte handelt von Erfahrungen im Strom-Paradies Norwegen.
Wer wie ich nicht wirklich viel E-Auto Erfahrung hat, der kennt zumindest die Eckpfeiler elektrischer Mobilität. E-Autos sind super einfach zu fahren, sind sehr leise (so lange sie noch nicht per Gesetz so blöd tröten müssen), sind meistens sehr schnell und man weiss nie wirklich genau, wann sie alle sind – also meistens zu früh. Reichweitenangst ist das wunderbare Wort, was der deutsche Sprachgebrauch dafür ähnlich superschnell erfunden hat.
Steuervorteile - aber nicht mehr lang
Das war auch so ungefähr meine Grundkenntnis, als ich vor ein paar Wochen in Hamburg einen nagelneuen Porsche Taycan Sport Turismo übernahm, um mit ihm ins Mekka der E-Autofahrer zu fahren – Norwegen. Wem der ganze Elektroautotrend noch ein bisschen fremd ist, der mag nicht wissen, dass Norwegen weltweit das führende Land der E-Mobilität ist. Seit 2019 werden dort mehr E-Autos und E-Hybride als Verbrenner verkauft. Der Fahrzeugbestand von knapp 900'000 Fahrzeugen umfasst bereits jetzt zu über 50% reine E-Fahrzeuge. Das hat eine ganze Reihe von Gründen. Allem voran hat Europas nördlichstes Land viel früher als der Rest des Kontinents erkannt, dass in emissionsfreier Fortbewegung die Zukunft liegt, zum anderen ist es dem Land Dank seiner vergleichsweise geringen Bevölkerungsdichte (weniger als 15 Einwohner pro km², vgl. Schweiz 216 E/km²) möglich, beinahe den gesamten Energiebedarf aus nachhaltigen Quellen zu decken, darunter 61 Windparks und nicht weniger als 1600 Wasserkraftwerke.
Ein weiterer Grund ist der Preisvorteil, der sich durch den fast kompletten Wegfall der Luxussteuer ergibt. So kostet ein benzinbetriebener Porsche 718 Cayman durch die hohe Steuer im Land der Trolle umgerechnet 92'500 Schweizer Franken, während der günstigste Porsche Taycan (steuerfrei) schon für 79'000 Franken zu haben ist – dafür gibt es bei der Verbrennerkonkurrenz zum Beispiel nur einen Audi S3 Sportback. Die derzeitige völlige Steuerfreiheit wird allerdings zum 1. Januar 2023 aufgehoben werden. Die grosse Beliebtheit elektrisch betriebener PKW hat im Nachgang natürlich dazu geführt, dass Norwegen mit seinen rund 19'000 Ladepunkten (entspricht rund 370 Ladepunkten pro 100'000 Einwohner) im Verhältnis zur Landesgrösse weit vor fast allen europäischen Ländern liegt. Zum Vergleich: in der fast zweimal so dicht besiedelten Schweiz gibt es derzeit knapp 5'000 Ladepunkte, während es in Deutschland öffentliche 74'000 Anschlüsse aller Arten sind.
Erste Erfahrungen
Wichtiger noch als die Netzdichte ist in Norwegen die Qualität des Netzes, denn von den gut 19'000 Ladestationen sind über ein Drittel (8.808) Schnelllader, die mit mehr als 50 kW laden. Mit «maximaler Ladeleistung», so Porsche, liesse sich unser Taycan in ganzen 22.5 Minuten von 5 auf 80% Kapazität laden.
Für mich alles erst einmal nur graue Theorie, als ich an jenem Freitagmorgen im kirschroten Taycan sitze. Bei unserem Testwagen handelt es sich in der Tat nicht um eine der leistungsfähigeren Versionen mit Allradantrieb, sondern die «Einstiegsversion» mit Heckantrieb und «nur» bis zu 350 kW (für die älteren unter meinen Lesern sind das bis zu 469 PS, doch sollten wir uns daran gewöhnen, Elektroautos nicht mehr die Leistung von Pferden zuzusprechen). Das Porsche Datenblatt spricht von «kombiniert» 490 km Reichweite, welche wie auch die Verbrauchsdaten von Verbrennern nur sehr begrenzt ernst genommen werden dürfen.
Mein erster Weg führt mich lediglich von Hamburg nach Kiel, denn E-Auto oder nicht, der beste Weg nach Norwegen ist noch immer die ColorLine Fähre von Kiel nach Oslo. Angekommen in der norwegischen Hauptstadt fehlen mir von den ursprünglich angezeigten 400 km Reichweite erstmal nur 80 km. Trotzdem suche ich kurz nach dem Hotel Check-In im Navi nach Ladestationen, weil ich nicht warten will, bis es dringlich wird, um meine ersten Erfahrungen zu machen.
«Sie haben Ihr Ziel erreicht»
Ich bin ganz bewusst mit sehr wenig Vor-Recherche hierhergekommen, so wie ich es mit einem Verbrenner auch gemacht hätte, einfach weil ich sehen will, wie verbraucherfreundlich die ganze Chose ist. Mein Navi zeigt mir einen Schnelllader von «Recharge» an, einem grossen Anbieter, der nur vier Kilometer von meinem Hotel entfernt ist. Von den vier Stationen sind drei frei, in einem weissen Tesla sitzt ein Norweger und liest die Zeitung. Ich zeige mich erstmal unbeholfen, mein Taycan hat zwei Ladeklappen, links für Wechselstrom, rechts für Gleichstrom. Daran lässt sich für Taycan-Fachleute auch erkennen, dass unser Testwagen die gut 5'700 Euro teure 93 kW Performance-Batterie hat. Prinzipiell ist zu sagen, dass mit Wechselstrom mit weniger Leistung (zum Beispiel auch zu Hause) geladen wird, während auf der Gleichstromseite die Post abgeht. Kabel, Stecker, alles ist schwer und sieht aus wie «serious business».
Doch Recharge will meine Porsche-Karte nicht anerkennen. Wie ich später rausfinde, ist Recharge ein Anbieter, der nicht im Porsche-Verbund enthalten ist. Ich will dennoch nicht ohne Ladung davonfahren, und folge den Angaben an der Säule für Bezahlung mit der Kreditkarte. Jeder «Zapfhahn» selbst hat einen QR-Code, einfach einscannen, Kreditkartendetails angeben und los geht’s. Einfach, aber auch die teuerste Möglichkeit. Auch die nächsten vier Versuche sind nicht erfolgreich. Lader 1 (Ionity) befindet sich in Oslo an einer Stelle, die ich so wie das Navi beschreibt, nicht mehr anfahren kann – die Einbahnstrasse kommt mir entgegen, das Navi will sich nicht umstellen. Der nächste Lader – den gibt’s gar nicht. Ich fahre haargenau an das Ziel («Sie haben Ihr Ziel erreicht»), geparkte Autos, kein Lader weit und breit. Kurios. Der nächste Versuch (Eviny) ist in einem Parkhaus. Das wäre sicher gegangen, aber auch noch Parkgebühren zahlen will ich nicht. Am Ende habe ich genug, suche mir das nächstgelegene Porsche-Center (das leider in einem Wohngebiet am Arm der Welt liegt), und lasse da in unter einer Stunde die Batterie randvoll laufen.
Infrastruktur nutzen
Inzwischen habe ich mit Porsche Norwegen Kontakt aufgenommen, wo uns die absolut exzellente PR-Sprecherin Maren Helgestuen verspricht, uns am Porsche Center Oslo eine Karte zu hinterlegen. Am Ende sind es drei, zwei völlig gleich aussehende Porsche-Karten («die sollten alle funktionieren») und dann ein kleiner Schlüsselanghänger von Elbil Norge, der norwegischen E-Autovereinigung. «Die kriegt man dazu, für ein Jahr, wenn man ein neues E-Auto kauft», sagt uns die freundliche Center-Verantwortliche Madeleine Lundberg. «Wo geht die Abrechnung denn hin?», frage ich. «Das weiss ich auch nicht, aber nicht zu uns», sagt sie lachend.
Am nächsten Morgen geht es aus der Stadt heraus. Mit gut 300 km verbleibender Reichweite sieht die Sache doch gut aus. Zum Abend suchen wir uns eine Ionity-Station anhand des Porsche PCM Systems. Die wunderschön gelegene Anlage in Røldal (353 Einwohner) gibt uns einen ersten Einblick, wie Laden in Norwegen funktioniert. Sechs Highspeed-Stationen mit 150 kW nebeneinander, alle sechs frei. Wir stecken den Taycan an und vertreiben uns gut 15 Minuten mit Toilettengang, Fotos, und Getränkeeinkauf an der daneben befindlichen Tankstelle. Häufig sind in Norwegen Ladestationen neben Tankstellen aufgebaut, um gemeinsame Serviceinfrastruktur nutzen zu können.
Wer kann, der kann
Mit 424 km vollem Tank fahren wir den Rest der 400 km-Tagesetappe bis Jondal zum Hotel Hardanger House. Spätestens jetzt hat sich bei uns eine Gelassenheit breitgemacht, die uns denken lässt, das kriegen wir doch alles hin. Hardanger House hat direkt vor der Tür vier Lader für die Hotelgäste, aber «nur» mit 22 kW. Was mich vom Laden abhält, ist die Tatsache, dass diese Pylonen keine eigenen Kabel haben, ich also eines der drei im Taycan mitgeführten Kabel unter unserem Gepäck herauskramen müsste, und regnen tut es auch, und ach was, das kriegen wir morgen unterwegs locker hin. Und genau das war es, was wir wissen wollten. Dieses Laissez-Faire, dass wir doch hier nicht liegenbleiben werden, ergibt sich vor allem durch eine erfreuliche Kombination dreier wichtiger Faktoren: ein sehr dichtes Lader-Netzwerk, hohe Ladegeschwindigkeiten und eine brauchbare Batteriekapazität des Autos. Denn das ganze Ladeerlebnis wäre nicht das Gleiche, wenn am Ende ein «voller Tank» 185 km wären. Für uns standen nach voller Ladung immer mehr als 420 km auf der Uhr, im «Range»-Modus sogar 450-460. Apropos «Range»: die Langstreckenreichweite des Taycan lässt sich im Range-Modus um etwa zehn Prozent verlängern. Dann wird nur im zweiten von zwei Gängen gefahren, was weniger gute Beschleunigung bedeutet, und die Höchstgeschwindigkeit wird bei 150 km/h abgeriegelt, was einen in Norwegen ohnehin ins Gefängnis bringt.
In den folgenden Tagen besuchen wir Eviny-Lader (funktioniert mit den Porsche Norwegen-Karten) und solche von Ionity, aber anspruchsvoll wie wir sind, nur solche mit 150 kW-Kapazität. Das lässt sich im Porsche Navi vorwählen, und wer kann, der kann. Wenn an einer Säule zwei Autos gleichzeitig geladen werden, verringert sich die Ladekapazität von 150 kW auf 75 kW, was immer noch eine volle Dröhnung unter einer Stunde bedeutet.
Willkommen in der Realität
Auch die nächsten Tage erweisen sich so einfach wie der erste. Selbst kleinere Orte haben 50 kW-Lader, im Umfeld unserer Hotels finden wir aber immer Schnelllader mit 150 kW. Als Fotograf Marius und ich gegen Ende der Reise gut eine Stunde vor Oslo einen letzten Ladestop einlegen, ist es für norwegische Verhältnis relativ warm (knapp 20 Grad). Wir suchen die Toiletten auf, und holen uns einen Kaffee und sitzen im Café neben der Tankstelle und dem kleinen Spar-Supermarkt (so macht man das) an einem kleinen Tisch, und ich frage mich, ob wir Verbrennerfahrer das in der Vergangenheit eigentlich immer falsch gemacht haben. «Anhalten, sechs Minuten tanken, drei Minuten zahlen, schnelle Pinkelpause, zurück ins Auto», sage ich zu Marius, der lacht. Hier sitzen wir nun 20 Minuten, erfreuen uns an der Natur, und daran, dass unser E-Auto mithilft, diese so gut es geht, zu erhalten. Und erholsamer ist es auch.
Als ich am Ende unseres kleinen Parforceritts Norwegen mit der Fähre nach Norddänemark verlasse, bin ich faul geworden. Ich habe «nur noch» 70% in der Batterie, das reicht nicht bis nach Deutschland, aber was solls, wird sich schon ausgehen. Da habe ich die Rechnung ohne das dänische Netz gemacht. Das Navi gibt mir auf meiner Strecke nur einen Schnelllader vor, in Skanderborg an der Autobahn E45. Und es schreibt, von 2 Ladern seien 0 verfügbar. Von zwei? Was soll das denn? Als ich dort mit 90 km Reichweite ankomme, sehe ich eine Ladestation mit sechs Ladern, von denen vier nicht funktionieren. Willkommen in der Realität. Vor den zwei funktionierenden reiht sich eine Schlange von zehn Autos. Jedes eine halbe Stunde, zwei Autos pro Säule pro Stunde, macht mal locker zweieinhalb Stunden Warten aus. Vor dem Laden. Nach einer Woche Ladeluxus mag ich aber nicht. Doch mein Navi ist bockig. Ich schalte meine Zielführung aus und suche nach Schnellladern «irgendwo». In Fredericia etwas ab von meiner Route, ist einer, 76 km entfernt. Ich sage, das muss gehen, mein Taycan weiss das nicht, aber als ich das ins Navi eingebe, ist die Erregung spürbar. Rote Warnlampen, Reichweite zu gering. Ich schleiche hin, 0 von 6 verfügbar, sagt das System. Als ich da bin und doch noch 30 km Reichweite übrig sind, fährt gerade jemand weg. Angeschlossen, das übliche Ritual, diesmal McDonalds. Das PCM System ist wirklich klasse, aber so gut wie ich ist es diesmal nicht.
Preisfrage
Auf unserer gut 2'000 km langen Testfahrt hat unser Taycan nur 20 bis 22 kWh pro 100 km verbraucht. Bei Kosten von rund 0.50 – 0.70 Schweizer Franken pro kWh kamen wir auf 10 bis 14 Franken pro 100 km. Dafür bekommt man in Norwegen wie in der Schweiz gerade einmal fünf Liter Benzin.
Text: Axel E Catton, Photos: Marius Viken. In der aktuellen Print-Ausgabe der auto-illustrierte findet sich noch deutlich mehr zum Porsche Taycan und unseren Erfahrungen über fast 20'000 Kilometer.