Cannonball: Rennen, Rebellion und Rekord
Cannonball ist mehr als ein Kultfilm – das Rennen von New York nach Los Angeles quer durch die USA gibt es wirklich. Der Cannonball Run steht für Rebellion, Tempo und menschliche Höchstleistungen.
Die Intro-Szene des Klassikers «Auf dem Highway ist die Hölle los» ist Autofans bestens bekannt: Eine Helikopteraufnahme zeigt einen schwarzen Lamborghini Countach, wie er mit deutlich mehr als den erlaubten 55 Meilen über die Strasse fegt. Als der Lambo doch noch gestoppt werden kann, bietet sich beim Öffnen der Scherentüren ein unerwarteter Anblick: Drinnen sitzen zwei Frauen (Tara Buckman, Adrienne Barbeau) in superknappen Overalls. 1981 war das sexy und nicht sexistisch.
Was viele nicht wissen: Den Cannonball Run gibt es wirklich. Es handelt sich um ein Rennen quer durch die USA. Der traditionelle Start liegt in der Red Ball Garage in New York City. Ziel ist das Hotel Portofino Inn in Redondo Beach bei Los Angeles.
Die Entfernung zwischen den Orten beträgt 2906 Meilen (4677 Kilometer). Der aktuelle Rekord liegt bei 25 Stunden 39 Minuten. Das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 112 Meilen pro Stunde (180 km/h). Dürfen die das? Natürlich nicht. Und genau darum geht es.
Der Cannonball Run ist ein Symbol für Freiheit, Geschwindigkeit und Rebellion – ein wilder Sprint durch Amerika, der von Küste zu Küste die Grenzen von Mensch und Maschine testet. Der Ursprung der «Cannonball Baker Sea-to-Shining-Sea Memorial Trophy Dash» wurde 1971 gelegt, durch eine – nicht ganz nüchterne – Idee des Autojournalisten Brock Yates und Steve Smith, dem Herausgeber von Car&Driver. Inspiriert von Erwin „Cannonball“ Baker, einem US-Pionier der Langstreckenfahrten, zielte dieses Rennen darauf ab, den Fortschritt der Automobiltechnik zu feiern. Aber vor allem ging es darum, den restriktiven Tempolimits der damaligen Zeit den Mittelfinger zu zeigen.
Die Anfänge
Das erste Cannonball-Rennen fand im November 1971 statt. Acht Fahrzeuge nahmen die Herausforderung an, möglichst schnell von Manhattan nach Los Angeles zu fahren – ohne Regeln. Der Ferrari 365 GTB/4 Daytona von Brock Yates und Rennfahrer Dan Gurney gewann mit einer Zeit von 35 Stunden und 54 Minuten. Übrigens: Dan Gurney war nicht nur ein erfolgreicher Rennfahrer, sondern auch ein innovativer Ingenieur und Teamchef. Nach ihm wurde der Gurney-Flap, eine aerodynamische Innovation, benannt. Das Gewinner-Team fuhr eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 130 km/h und hatte nur neun Tankstopps.
Damit bewies das Ferrari-Team, dass Effizienz den Sieg bringen kann. Andere Teilnehmer hatten weniger Glück: Der britische MG GT schied wenig überraschend schon nach 1000 Kilometer aus, während das Wohnmobil mit über zwei Tagen Fahrzeit nicht konkurrenzfähig war. Der humorvolle Bericht über das Rennen erschien 1972 in der Märzausgabe von Car&Driver und machte die Cannonball-Idee berühmt.
Cannonball 2.0: Moderne Rekorde
Nach mehreren Rennen in den 1970er Jahren, bei denen die Zeiten immer weiter verbessert wurden, endete die klassische Ära der Cannonball-Rennen 1979 mit einem Rekord von 32 Stunden und 51 Minuten – aufgestellt von einem Jaguar XJS. Vor allem das Tempolimit von 88 km/h markierte das Ende dieser wilden Zeit. Doch der Geist von Cannonball lebt weiter.
2006 begann eine neue Ära moderner Cannonball-Rennen, immer öfter auch mit Promis an Bord und gerne in Begleitung von Fernsehteams. Leistungsstarke Fahrzeuge, optimierte Routen und Technologien wie GPS ermöglichen beeindruckende Zeiten, weit unter der 30 Stunden-Marke. 2019 stellte ein Mercedes-AMG E63 (Angry Ursula) mit 27 Stunden und 25 Minuten einen neuen Meilenstein auf. 2021, während der verkehrsarmen Corona-Zeit, wurde ein neuer Rekord gefahren. Er liegt bei 25 Stunden 39 Minuten. Das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 112 Meilen pro Stunde (180 km/h). Die beiden Fahrer, Arne Toman und Doug Tabbutt, tarnten ihren Audi S6 als Ford, um den Eindruck zu erwecken, es handle sich um ein Polizeifahrzeug.
Für den umweltbewussten Outlaw
In der modernen Ära des Cannonball trat 2023 auch der deutsche Zukunftsforscher Lars Thomsen an, um den Rekord für Elektroautos zu brechen. Mit seinem gemieteten Tesla Model 3, unterstützt von Autopilot und Supercharger-Netz, bewältigte Thomsen die 2906 Meilen in 48 Stunden und 10 Minuten. Seine Strategie: viele kurze Ladepausen, bei denen die Batterie nur teilweise geladen wurde, um Zeit zu sparen. Thomsen wechselte sich mit seiner Familie am Steuer ab und bewies, dass Elektromobilität auch auf der Langstrecke alltagstauglich ist. „Diese Fahrt zeigt, dass E-Autos für solche Herausforderungen bereit sind“, erklärte er bei der Ankunft in Los Angeles. Der Spassfaktor, mit Tesla’s Autopilot stupide vor sich hin zu stromern, sei mal dahingestellt… Ausserdem brauchte der Tesla etwa gleich lange wie das Wohnmobil 1971.
Nimm zwei
Alles begann auf zwei Rädern. Der Namensgeber Erwin „Cannonball“ Baker bewältigte 1914 die Strecke von Küste zu Küste auf einer Indian in elf Tagen. Baker prägte den Mythos des unaufhaltsamen Fahrers. Sein Schnitt von fast 100 km/h auf staubigen Landstrassen war eine Pionierleistung, am Rande des Möglichen mit der damaligen Technik.
Seit 2010 gibt es das Motorcycle Cannonball, eine Langstreckenfahrt für historische Motorräder, die vor 1930 gebaut wurden. Die Teilnehmer fahren über 4800 Kilometer von Küste zu Küste, meist ohne moderne Technik oder Begleitfahrzeuge. Es geht dabei weniger um die Geschwindigkeit als um Ausdauer, Entschlossenheit und Zuverlässigkeit der Oldtimer-Maschinen.
Neben den historischen Fahrten gab es auch moderne Rekordversuche mit Hochleistungsmotorrädern. 2019 setzte Alex Jones mit einer BMW S1000RR einen neuen Massstab: Er schaffte die Strecke in 33 Stunden und 10 Minuten. Auch bei den Zweirädern purzelte der Rekord während der Pandemie 2020. Eine von Werk aus nicht schwachbrüstige Suzuki Hayabusa wurde noch etwas «optimiert» und war mit einer Reisedauer von unter 30 Stunden und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 140 km/h sehr zeitig im Ziel.
Der Outlaw-Spirit lebt weiter
Cannonball-Rennen – egal ob mit Autos, Stromern oder Motorrädern – stehen für den unstillbaren Drang, neue Grenzen zu setzen. Sie sind ein Mix aus Abenteuer, Rebellion und technischer Perfektion.
Die Cannonball-Rennen, einst eine Protestaktion gegen Tempolimits und Polizeikontrollen, haben aber etwas von ihrer ursprünglichen Gefährlichkeit verloren. Mit technischen Gimmicks wie Radarwarner und Laserscanner ist man heute wirkungsvoll gegen die Obrigkeit aufgerüstet. Das minimiert das Risiko von hohen Bussgeldern oder gar Gefängnis. Das ist ein krasser Gegensatz zu den «Helden» von damals, die ohne technische Präservative sich voll und ganz dem Risiko hingaben. Hinzu kommt, dass in Amerika viele Polizeibehörden in den letzten Jahren Budgetkürzungen erfahren haben, was wiederum zu weniger Verkehrskontrollen und mehr automatischer Überwachung, wie Radarfallen und Rotlichtkameras führte. Bis die Justiz also einen Brief mit Foto und Einzahlungsschein verschickt hat, sind die modernen Outlaws schon längst im Ziel angekommen.
Text: GAT
Bilder: div.