Verkehrspolitik

Elektromobilität – Neue 2. Klasse

Mit der von der Politik geforderten Elektromobilität entsteht eine neue Zweiklassengesellschaft. Das passt eigentlich nicht in das Mobilitätskonzept der linken Parteien.

Veröffentlicht am 28.11.2020

Aufgrund der Sanktionszahlungen, welche von den Autoimporteuren gefordert sind, sofern sie die gesetzte CO2-Kilometerlimite nicht einhalten – 109 Franken für jedes Gramm Überschreitung für jedes Auto im sogenannten Flottenverbrauch –, werden die Autohersteller gezwungen, in die Elektromobilität einzuschwenken. «Das wird die Importeure Ende Jahr 300 bis 500 Millionen Franken kosten», schätzt Andreas Burgener, Direktor von Auto Schweiz. Von heute auf morgen funktioniert der Paradigmenwechsel nicht, da rund die Hälfte aller Automobilisten zu Hause über keinen Stromanschluss für das Fahrzeug verfügt, sondern Laternenparker ist.

Und in vielen Wohnsiedlungen mit Tiefgaragen können ohne grosse Investitionen keine Ladestationen eingerichtet werden. Bis jede Behausung zur Stromtankstelle wird, dürfte es noch Jahrzehnte dauern. Ohne Lademöglichkeit über Nacht zu Hause ist die flächendeckende Elektromobilität praxisfremd. Tausende Kilometer dickere Stromkabel müssen verlegt werden, um jedes Auto über Nacht aufladen zu können. Die Elektromobilität kann sich flächendeckend nur so durchsetzen. Das Aufladen mit einem verdichteten Netz an Stromtankstellen wird nicht funktionieren; der Reservekanister für Strom wurde noch nicht erfunden.

Teure Elektromobile haben Erfolg

Das wissen die Autohersteller und deshalb ist es kein Wunder, dass vorerst vor allem teure Automobile als reine Elektrofahrzeuge in den Markt kommen. Gut Begüterte bewohnen vorwiegend Eigenheime und haben so die Möglichkeit, in ihrer Garage oder dem Autounterstand eine sogenannte Wallbox, sprich eine Schnellbetankung, für das Elektroauto zu installieren. Wohnungsmieter haben das Nachsehen. Und da haben wir sie, die Zweiklassengesellschaft. Wie häufig, wenn die Politik glaubt, mit einem Eingriff in die freie Marktwirtschaft etwas Gutes bewirken zu müssen. In der Praxis funktioniert es nicht wie gedacht. Sind die Autohersteller und Importeure wegen der drohenden Sanktionszahlungen aufgefordert, die Ziele zu erreichen, werden sie gezwungenermassen die Verbrenner verteuern und die Elektrofahrzeuge so günstig wie möglich anbieten.

Ja, Renault Zoe und Nissan Leaf haben einen gewissen Erfolg – wenn auch vorwiegend über Tageszulassungen «gesponsort». Man sieht sie aber kaum in Wohnsiedlungen. Richtig gut laufen die verschiedenen Tesla-Modelle und der Porsche Taycan. Beide findet man meistens in Tiefgaragen, wo potente Verbrenner als Erstwagen geparkt sind. Auch Plug-in-Hybride tauchen in Wohnquartieren kaum auf. Einzig Hybride schaffen es dorthin. Diese Elektrovariante, welche ausschliesslich über die Energierekuperation von der Elektrifizierung lebt, bringt die Hersteller näher, aber nicht an die vorgegebenen Ziele heran.

Teure Elektromobile haben Erfolg

Teure Elektromobile haben Erfolg

Teure Elektromobile haben Erfolg

Teure Elektromobile haben Erfolg

Teure Elektromobile haben Erfolg

Teure Elektromobile haben Erfolg

Teure Elektromobile haben Erfolg

Teure Elektromobile haben Erfolg

Nicht gegen das Elektroauto reden

Die Zusammenhänge müssten sich jedem Politiker erschliessen. Doch europaweit schadet es momentan der möglichen Wiederwahl, gegen die Elektromobilität zu reden oder sogar den Klimawandel zu hinterfragen. Echt schizoid verhalten sich Boris Johnson – der als seinerzeitiger Bürgermeister von London anders geredet hat – und die norwegische Regierung. Grossbritannien und Norwegen wollen per 2030 die Erstimmatrikulation von neuen Verbrennerfahrzeugen verbieten. Beide Staaten sind – und wollen es bleiben – die grössten Ölexporteure Europas. Anders als wegen COVID-19 hat dort die Wirtschaft Priorität vor der Gesellschaft. Die Schweiz hält sich (noch) zurück, weil wir nicht von Bodenschätzen abhängig sind, sondern von Arbeit, Engineering und Innovationen leben.

Verschieben

Verschieben Parlament und Bundesrat die EU-CO2-Regelung 2020 nicht, sondern halten an den Bussen fest – offiziell sind es keine Bussen, sondern Sanktionen –, dann outen sich CVP und FDP unwissend als Parteien der Reichen. Und wenn die SP auf ihrer Linie bleibt, werden sie vielleicht nicht bei der nächsten, aber sicher bei der übernächsten Wahl die dazugewonnenen Stimmen wieder verlieren. Dann nämlich, wenn sich der Arbeiter kein neues Auto kaufen kann, sondern zum Weiterfahren mit dem alten gezwungen wird. Damit wäre dem avisierten Klimaschutz nicht gedient. Unverständlich, dass es so ist. Verständlich, weil die Autobranche in Bern längst keine Lobby mehr hat. Das Thema Elektromobilität wird in Bern ideologisch, nicht sachlich diskutiert. Vereinzelte Gegenstimmen aus SVP und FDP helfen wenig, solange sich die meisten Parlamentarier opportunistisch unter dem Damoklesschwert Klimaschutz ducken, um den Medien zu gefallen.

SRF gibt Takt vor

Es gestaltet sich so: SRF und die vorwiegend regierungsfreundlichen Prints diktieren, wo es langgehen soll. Fragwürdig ist in diesem Zusammenhang, dass das staatliche SRF selbst während der Tagesschau auf seine Onlineseite verweisen darf und damit nicht nur die Regierungsschiene befördert, sondern die freie Meinungsvielfalt untergräbt. Nicht im gleichen Ausmass wie beispielsweise in Ländern wie Belarus, Nordkorea, Türkei oder Venezuela, aber auch. Und wir kommentieren deren Machenschaften besserwisserisch als undemokratisch. Nicht genug damit, dass wir glauben, dazu verpflichtet zu sein, regierungskritische Artikel mit dem Nachsatz «muss nicht der Meinung der Redaktion entsprechen» zu deklarieren, während regierungsfreundliche Artikel frei von solchen Verpflichtungen sind. Absolut unakzeptabel in der so genannt meinungsoffenen Schweiz, wo in der Bevölkerung Themen wie Atomausstieg, Klimaschutz oder Asylgewährung kontrovers diskutiert werden sollten. Um es diskret auszudrücken: Zumindest die sogenannte liberale «NZZ» mit Welt-renommee verhält sich diesbezüglich unsportlich.

In der für die Elektromobilität euphorischen Politik werden die Laternenparker schlicht ignoriert. Sie waren auch am kürzlich stattgefundenen «Autogipfel» in Berlin kein Thema. Da ging es allein um wirtschaftliche Aspekte, mit keinem Wort um die der Konsumenten. Die hoch stilisierte Meinungsvielfalt bleibt an einem kleinen Ort. Da passt ein Zitat des 77-jährigen Rolling Stone Keith Richards nach seinem Drogenentzug: «Es ist interessant, mal nüchtern Gitarre zu spielen.»

Text: Jürg Wick
Fotos: ai-Archiv & J. Wick

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