Ferrari 296 GTB - «Kleiner V12» im Test
So sauber war Ferrari noch nie – zumindest auf dem Papier. Der neueste Mittelmotor-Ferrari namens 296 GTB kombiniert einen doppelt aufgeladenen V6 mit einen E-Motor und ist ein Rassepferd in Reinform.
Monteblanco, eine Rennstrecke in Südspanien. Dies ist angeblich das erste Mal, dass ein neuer Ferrari ausserhalb Italiens vorgestellt wird. Die Luft ist erfüllt vom schrillen Kreischen des Motors und auch die Reifen singen ihr gelegentliches Klagelied. Hier findet gerade die internationale Testfahrt des Ferrari 296 GTB statt und die Journalisten sind eingeladen, seine (und ihre?) Grenzen zu erfahren.
Extremes Potenzial
Die Monteblanco-Strecke verfügt über wunderbare Kurvenkombinationen. Das macht es möglich, zumindest eine Ahnung vom Potenzial dieses Cavallino zu erleben. Noch 200 Meter bis zur nächsten Kurve. Höchste Zeit, die Bremsen zu testen. Der Pedalweg ist extrem kurz. Brake-by-wire ist das Wort des Tages. Der Atem stockt, das Gehirn versucht, die Verzögerung des Wagens zu berechnen. Zusätzlich zu den hochwirksamen Bremsen wird die Verzögerung durch den aktiven Heckflügel unterstützt.
Über die aerodynamischen Eigenschaften des 296 GTB könnte man ein ganzes Buch schreiben. Die Kühlluft der Hochvolt-Hybridbatterien wird nicht in den heissen Motorraum entlassen, sondern kontrolliert in den Unterboden eingeblasen. Um nicht mit der Luftströmung der Ladeluftkühler in Konflikt zu geraten, und um die aerodynamische Effizienz des Diffusors zu erhöhen. Der kleine Flügel an der hinteren Dachkante sorgt für ein ruhiges Luftpolster über der Heckscheibe, das die Anströmung der Spoiler am Heck verbessert. 360 Kilogramm zusätzlichen Anpressdruck generiert der 296 GTB bei Tempo 250. Dennoch ist er in der Lage, bei Höchstgeschwindigkeit den Luftwiderstand zu minimieren.
Etwas mehr Respekt, bitte
V6 und Ferrari klingt in Kombination eigentlich nicht besonders passend. Die bisherigen V6, der 1967 eingeführte Dino 206 GT und sein späterer Bruder, der 246 GT, mussten auf das Ferrari-Logo verzichten. Mit dem 296 GTB ändert sich das grundlegend. Und das nicht nur, weil das Cavallino Rampante auf der Nase prangt. Der drei Liter grosse F163-V6 leistet einige Superlative. An der Spitze steht die Literleistung von 221 PS. Dafür waren mehrere Kunstgriffe nötig. Etwa ein Zylinderbankwinkel von untypischen 120 Grad. Mit dieser weit gespreizten Bauweise macht der V6 Platz für die im V montierten Turbolader und sorgt durch die tiefliegenden Zylinderköpfe für einen niedrigen Schwerpunkt.
Hier kommt die neue Aluminiumlegierung zum Tragen. Die bisher bekannten Metallmischungen waren weder leicht genug noch konnten sie den nötigen Brennraumdrücken standhalten. Die beiden IHI-Turbolader – mit den Japanern hat Ferrari schon seit dem 288 GTO und F40 nur beste Erfahrungen gemacht – sorgen für mächtig Überdruck, um die 663 PS Spitzenleistung zu erreichen. Doch nicht nur das. Im Vergleich zum SF90 ist das Laufzeug kleiner geworden – das Kompressorrad um fünf Prozent, die Turbinenschaufeln gar um elf Prozent. Dadurch konnten die rotierenden Massen um gut zehn Prozent verringert werden, was eine Höchstdrehzahl der beiden Lader von 180 000 Umdrehungen pro Minute möglich macht. Puh.
Kleiner V12
Es wird immer klarer, dass Ferrari viel Entwicklungsarbeit investiert hat. Die symmetrische Zündfolge des 120-Grad-Layouts etwa. Die Krümmerlängen jedes einzelnen Zylinders und die Verstärkung der Schallwellen durch die spätere Zusammenführung beider Bänke im Endschalldämpfer sorgen für echten Ferrari-Sound nicht erst im Drehzahlbegrenzer bei 8500 Touren. Seinen Spitznamen trägt er deshalb völlig zurecht: «piccolo V12». Doch im Antritt ist gar nichts klein an ihm.
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Die 663 PS des Dreiliters werden zusätzlich von über 200 PS eines Elektromotors unterstützt. Dessen 315 Nm Drehmoment beissen so ansatzlos zu, dass es egal ist, welcher der acht Gänge gerade eingelegt ist. Der kombinierte Drehmomentberg türmt sich bis 740 Newtonmeter auf und sorgt trotz eines reinen Heckantriebs für absurde Fahrleistungen.
Ein sanftes Hybridsystem
Der grösste Unterschied zum grossen Hybrid-Bruder SF90 ist, dass dieser ein Allradler ist. Deswegen bietet der 296 GTB mehr Fahrspass, da alles ein bisschen einfacher und weniger technisch funktioniert. E-Motor und Verbrenner funktionieren in Kombination gut zusammen. Auf der Rennstrecke hat der Verbrenner Priorität und der E-Motor dient ihm nur zu seiner Unterstützung. Das wird beim Herausbeschleunigen aus den Kurven deutlich spürbar. Bei so viel intelligenter Elektronik, die den Fahrer unterstützt, muss man nicht einmal besonders vorsichtig mit dem Gaspedal umgehen. Wie alle modernen Ferraris ist auch der 296 GTB einfach zu fahren. Man spürt auch die Leichtigkeit des Autos. Das Trockengewicht der Leichtbauversion (Assetto Fiorano) beträgt gerade einmal 1470 Kilogramm – trotz Hybridantrieb.
Magie des Mittelmotors
Die kompakten Abmessungen – er ist bei einem Radstand von 2,6 Meter 50 Millimeter kürzer als der F8 Tributo – machen den 296 GTB agil. Ausserdem wird das Gewicht im Verhältnis 41 : 59 Prozent auf die Vorder- und Hinterachse verteilt. Das macht das Heck folgsamer. Auf der Rennstrecke ist es einfach, den Newcomer in einen kontrollierten Drift zu bringen. Auch die Michelin Pilot Sport Cup 2 R sind zu loben. Die Semislicks vermitteln präzis die Informationen vom Asphalt durch die elektronisch unterstützte Lenkung in die Fingerspitzen des Fahrers.
Stiller Ferrari
Nach der Rennstrecke folgt der Probegalopp auf öffentlichen Strassen. Nach Ferrari-Angaben stromert der 296 rund 25 Kilometer rein elektrisch. Schon nach wenigen Kilometern wird aber klar, dass diese Vorgabe recht optimistisch ist. Unter dem Gesichtspunkt Lärmbelästigung ist es grossartig, dass man einen Ferrari auch geräuschlos fahren kann. Und da der 296 GTB jetzt in Spanien gefahren wird, wo die Menschen offensichtlich noch nicht an E-Autos gewöhnt sind, erschrecken viele Spaziergänger, wenn der rote Ferrari an ihnen vorbeistromert. Auch das kann Spass machen.
Text und Bilder: Vesa Eskola