Im Strudel der Zuständigkeiten
Wer glaubt, Polizei, Staatsanwaltschaft und Strassenverkehrsamt würden Hand in Hand zusammenarbeiten, irrt sich. Robin Road erklärt, wie man sich gegen Überraschungen wehrt.
Chanelle fuhr mit ihrer brandneuen Alpine A110 S in einen Kreisel – vielleicht etwas flott, aber mit satter Bodenhaftung. Im Kreisel wurde sie von einem anrollenden Pick-up übersehen. «Zum Glück nur Blechschaden», dachte sie. Auch die Polizei sah die Schuld beim Pick-up-Fahrer. Drei Monate später die grosse Überraschung: Die Staatsanwaltschaft befand sie für schuldig und brummte ihr eine Busse sowie die Verfahrensgebühren auf. «Schwamm drüber», dachte sie, und bezahlte die Rechnung, damit die Sache erledigt ist. Sie irrte ein zweites Mal: Einen Monat später erhielt sie Post vom Strassenverkehrsamt mit einem angedrohten Ausweisentzug. Wie kam es dazu?
Überraschende Aufgabenteilung
So klar die Zuständigkeiten von Gesetzes wegen geregelt sind, so überraschend sind diese für das allgemeine motorisierte Volk. Viele wissen nicht, dass das Strassenverkehrsamt für den Ausweisentzug zuständig ist und nicht die Staatsanwaltschaft oder Polizei. Die Polizei sammelt die Fakten. Die Staatsanwaltschaft entscheidet über Schuld oder Unschuld und spricht die Geldstrafe und Busse aus. Erst wenn der strafrechtliche Teil erledigt ist, kommt das Strassenverkehrsamt – das sogenannte Administrativverfahren – in die Gänge. Dieses entscheidet nämlich über den Ausweisentzug aufgrund der Daten der Polizei und dem Schuldspruch der Staatsanwaltschaft.
Bezahlt man die Busse, anerkennt man die Tat und ist somit schuldig – auch für das Strassenverkehrsamt. Damit schwinden die Verteidigungsmöglichkeiten gegen den Ausweisentzug wie die Glacé in der Sommersonne. Möchte man nun aber wissen, was das Urteil des Staatsanwalts für den Ausweisentzug zur Folge hat, sollte man besser nicht den Staatsanwalt oder die Polizei fragen. Diese wissen es oft nicht, weil es nicht zu ihrem Aufgabengebiet gehört – siehe oben. Und es kommt leider sogar vor, dass – wie bei Chanelle – falsche Auskünfte erteilt werden, meist mündlich und daher nicht beweisbar.
Nicht gerade kundenfreundlich
Nur das Strassenverkehrsamt kann verlässliche Auskunf über einen Ausweisentzug erteilen. Deshalb ist es ratsam, das Urteil der Staatsanwaltschaft, den sogenannten Strafbefehl, dem Strassenverkehrsamt zu senden und um eine Einschätzung zu fragen.
Erst wenn man weiss, was einem vom Strassenverkehrsamt blüht, sollte man entscheiden, ob man die Busse bezahlen will oder eben gerade nicht, wenn einem die Sanktion von der Staatsanwaltschaft und dem Strassenverkehrsamt zu heftig einfährt. Die eigentliche Strafe stellt meist der Ausweisentzug dar und nicht die Busse. Nur kommt sie in den meisten Fällen vor dem Ausweisentzug. Umgekehrt wäre kundenfreundlicher, aber das wollte der Gesetzgeber nicht.
Undurchsichtiges Fristenchaos
Und zu guter Letzt noch zur Bewährung: Während im Strafbefehl von der Staatsanwaltschaft meist eine Bewährung von zwei Jahren gilt, beträgt die Frist beim Ausweisentzug durch das Strassenverkehrsamt je nach Schwere der Tat zwei, fünf oder zehn Jahre. Über diese viel längeren Fristen informiert einen das Strassenverkehrsamt oft nicht. Man muss schon in die Tiefen des Strassenverkehrsgesetzes hinuntersteigen, wo man als Laie oft vor lauter Zylindern den Motor nicht findet. Es ist somit wichtig, das Ventilspiel von Staatsanwaltschaft und Strassenverkehrsamt gut zu kennen, damit der Motor dauerhaft ohne Stottern läuft. Und natürlich sollte man im Zweifelsfall Hilfe beim Rechtsanwalt oder bei einer -anwältin suchen.
Chanelle hatte übrigens Glück im Unglück: Da sie nicht vorbelastet war und keiner verletzt wurde, kam sie nach dem Einwand beim Strassenverkehrsamt letztendlich mit einer Verwarnung davon.
Text: Robin Road
Fotos: Vesa Eskola
Robin Road hilft
Dr. Rainer Riek — alias Robin Road — schreibt in jeder ai-Ausgabe oder auf unserer Homepage
www.auto-illustrierte.ch über strassenverkehrsrechtliche Themen sowie rund ums Auto im Recht. Er ist Rechtsanwalt und Notar bei www.zwplaw.ch und unter anderem spezialisiert auf Strassenverkehrsrecht. Zudem postet er seine Autoquartette auf dem Auto-Blog von www.driving.legal.
Wichtiger Hinweis: Es handelt sich hier um reale Fälle mit geändertem Namen. Jeder Fall ist verschieden und muss einzeln betrachtet werden. Daher erfolgen sämtliche Empfehlungen und Angaben ohne Gewähr.