Test

Lamborghini Sterrato - Lambo im Dreck

Nein, der Lamborghini Sterrato macht nicht auf SUV – vielmehr auf Rallye. Und der höhergelegte Huracan hat es faustdick hinter den Ohren. Das haben wir tatkräftig auf Schotter und Sand getestet.

Veröffentlicht am 08.07.2023

Jetzt bekommt der Porsche 911 Dakar aber richtig einen Schuss vor den Bug. Mit dem Lamborghini Sterrato stellt sich dem Zuffenhausener ein Konkurrent gegenüber, der Staub- und Schotterpisten ebenso wenig meidet – und darüber hinaus auch noch 130 PS stärker ist. Das kann ja heiter werden, denke ich mir noch, als uns im Briefing behutsam beigebracht wird, dass wir uns auf mehr als der Hälfte des asphaltierten und vier Kilometer langen Circuits zum Staubfressen auf einer Sand- und Schotterpiste bewegen werden. Die Italiener wissen anscheinend, was sie tun, ansonsten würden sie das Risiko nicht eingehen. Unsere offenen Mäuler jedenfalls sprechen Bände. Doch keine Angst, ein Instruktor sitzt auf dem heissen Stuhl und steht uns mit Rat und Tat zur Seite.

Mit breiter Spur

Das Offroad-Sportgerät bringt jedenfalls alle Voraussetzungen mit, um im leichten Gelände oder auf den Schotterpisten bestehen zu können. Die unlackierte Plastikbeplankung an den Radhäusern, der Unterfahrschutz, eine Höherlegung um 44  Millimeter sowie die Scheinwerfer auf der Kofferraumhaube und der riesige Luftschnorchel auf der Motorhaube – den leiht sich der Sterrato vom grossen Bruder STO, er versorgt den Zehnzylinder mit frischer Luft – schinden jedenfalls schon mal Eindruck. Ja, man ist fast gewillt, erste Vergleich mit den Mad-Max-Mobilen heranzuziehen. Erst recht, da der Strassenfeger auf einer vorne um 30 und hinten um 34  Millimeter breiteren Spur steht. Und die endet in 19  Zoll grossen Runflat-Reifen, die gewährleisten, dass man auch bei einem Plattfuss noch mit Tempo 80 die nächste Werkstatt ansteuern kann.

Auch im Inneren hat sich einiges getan. Das beginnt bei der exklusiven Alcantarapolsterung der optimal passenden Sportsitze und endet in neuen Infotainmentgrafiken und -funktionen sowie Instrumenten, die wie bei einem waschechten Geländegänger per digitaler Wank- und Nickanzeige über die Neigungswinkel informieren. Hinzu kommen ein Kompass sowie Anzeigen der geografischen Koordinaten und Lenkwinkel. Sprachbefehle nimmt Amazon Alexa entgegen, während der Lamborghini-Connect-
Dienst über ein vernetztes Telemetriesystem verfügt, mit dem der Fahrer die Performance des Autos und von sich selbst nachvollziehen kann – selbstverständlich auch über die passende Smartphone-App.

V10 etwas schwächer

Apropos Telemetrie: Jetzt ist es an der Zeit, den ersten von zwei Stints zu absolvieren. Und das auf einer unbekannten Strecke, die auf den unaussprechlichen Namen Chuckwalla Valley Raceway hört. Richard, mein Instruktor, wartet schon auf mich. «Ich werde dir wie im Rallyesport üblich das Gebetsbuch vorlesen. Ist das okay oder soll ich lieber still sein?», fragt er mich. Kann ja nur hilfreich sein, wenn man vorgebetet bekommt, wo es langgeht. Also einigen wir uns darauf, dass Richard den Part des Gebetsbruders übernimmt. Und das macht er perfekt und jeweils auch im richtigen Moment. Und der Sterrato? Der gibt zunächst auf dem Asphalt und im Sport-Modus eine gute Figur ab. Okay, gegenüber seinen Brüdern hat man den V10 etwas besänftig und ihm deren 30 PS und 40 Nm entledigt. Doch das spürt man kaum.

Drift der Leichtigkeit

Nach einer kleinen und künstlich aufgestellten Schikane geht es ab ins Gelände. Und der italienische Hengst legt sich, nachdem ich den zweiten neuen Modus Rallye aktiviert habe, jetzt richtig ins Zeug. Beim Fahrwerk vertraut Lamborghini auf die Kombination aus Stahlfedern und hydraulischen Dämpfern, die elektromagnetisch und adaptiv angesteuert werden. Bei jeder Bodenwelle streckt sich der Italiener erst aus den Federn, um sich danach gleich wieder zu setzen. «Go, go, go», brüllt Richard in den Bordfunk.

Die erste Spitzkehre naht. «Stell das Auto an und versuch, die Kehre im Drift zu nehmen», bereitet er mich auf die nächste grosse Herausforderung vor. Okay, anstellen, Vollgas und ab im Drift um die Kehre. Funktioniert spielend und extrem einfach, obwohl alle Systeme aktiviert sind. Sie geben mir so viel Spielraum, dass ich immer noch reagieren kann, wenn es einmal eng werden sollte. Aber das wird es zu keinem Zeitpunkt. Das mechanische Sperrdifferenzial an der Hinterachse und der Allradantrieb mit elektronisch gesteuerter Haldexkupplung gewährleisten jederzeit die optimale Traktion.

Zurück auf dem asphaltierten Teil der Strecke erwische ich mich bei dem Gedanken, dass das eigentlich gar keinen richtigen Spass macht. Offroad kann man sich viel eher mit dem Können dieses Kerls auseinandersetzen. Driften geht ebenfalls fast in Perfektion. Nach einer kurzen Pause geht es ab in den zweiten Stint. «Rundenbestzeit?», fragt Richard. «Okay, lass es uns versuchen», pflichte ich ihm bei. Wieder gibt er alles und ich setze seine Befehle brav um. Immer und immer wieder spornt er mich zur Höchstleistung an. Und der Sterrato macht alles brav mit, hält keinerlei Überraschungen bereit und erweist sich als sehr kommunikativer Geselle, der dich nie im Unklaren lässt. Plötzlich rote Flaggen. Das war es mit der Bestzeit. Denkste, der vor uns fahrende Journalist hat seinen Fehler ausbügeln können, sodass auch ich weiter auf dem Gas bleiben kann und es tatsächlich für die Tagesbestzeit reicht. Beten hilft also doch!

Fazit

Lamborghini macht uns mit dem Sterrato den Huracán nochmals richtig schmackhaft. So schmackhaft, dass er eigentlich viel zu schade ist, um in den vorzeitigen Ruhestand zu gehen.

Technische Daten Lamborghini Huracán Sterrato

V10-Sauger, 5204?cm3, Bohrung × Hub 84,5 x 92,8?mm, 449?kW/610?PS bei 8000/min, 565?Nm bei 6500/min, 7-Gang-Automat, Allradantrieb, 0–100?km/h: 3,4?s, 0–200?km/h: 9,8?s, Spitze: 260?km/h, Leistungsgewicht: 2,4?kg/PS, Gewichtsverteilung v./h.: 43 : 57?%, Norm: k. A.*, CO2 k. A*, Energieeffizienz: k. A.*, L/B/H: 4525/1956/1248?mm, Radstand: 2629?mm, Spur v./h.: 1698/1654?mm, Bodenfreiheit: 44?mm, Reifen: v. 235/40 R19, h. 285/40 R19, Tank: 80?l, Leergewicht: 1470?kg, Ladevolumen: 100?l, Preis: rund 300 000?Franken, ab sofort bestellbar.

* Fahrzeug noch in Homologation.

Text: Jörg Petersen
Bilder: Lamborghini/auto-illustrierte

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