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Mercedes AMG GT XX – Radikal Axial

Concept Cars sind rollende Versuchslabore. Der AMG GT XX macht da keine Ausnahme. Lässt man mal die Designer und Ingenieure hemmungslos entwickeln, zeigt er, wohin die Reise für Mercedes-AMG in Zukunft gehen könnte.

Veröffentlicht am 29.06.2025

Den legendären C111 erkennt man auf den ersten Blick: flacher Bug, orangener Lack, runde Rückleuchten im Tuben-Look. Oder? Nein, nicht jedem ist die Versuchs- und Experimentalfahrzeugserie von Mercedes aus den 1960er- und 1970er-Jahren ein Begriff. Daher sind die Kommentare zur Optik des Fahrzeugs gespalten. Zwischen Retro-C111 und erschrockener Karpfen ist die Bandbreite gross. Doch der Anblick bleibt Geschmackssache. Innen hat es mit einer biotechnologische Lederalternative, die aus recycelten GT3-Rennreifen, pflanzlichen Proteinen und Biopolymeren besteht sowie Innentürgriffe aus einer Seidenalternative, die aus genetisch modifizierten Bakterien gewonnen wird. Man könnte das Interieur des AMG GT XX vermutlich problemlos aufessen.

Unter den Frontscheinwerfermodulen verstecken sich Lautsprecher, deren Schallkammer die Radhäuser bilden. Kein künstliches Brabbeln im eigentlichen Sinne sei zu hören, sondern eher eine akustische Untermalung sagt man uns. Doch «Sound» an einem Steckermodell bleibt eben Karaoke. Alles sehr schick, aber viel interessanter mag da die Technik des viertürigen Coupés sein.

Axialpower

Dort, wo Carl Benz einst das erste Automobil mit eigenem Verbrennungsmotor erfand, kauft man den Antrieb der Zukunft heute zu – als Komplettpaket. Die Elektromotoren stammen von YASA aus Oxford. Ultraflache Axialfluss-Aggregate, wie sie in Supersportwagen vom Kaliber eines Ferrari SF90 Stradale oder Koenigsegg Regera zum Einsatz kommen. Mercedes hat 2021 YASA komplett übernommen. Im AMG GT XX arbeiten drei dieser Pizzaschachtel-grossen Motoren und sorgen für eine Systemleistung von über 1000 kW/1360 PS. Einer vorne mit rund 300 kW/408 PS, Differenzial und Disconnect Unit. Zwei Motoren sitzen an der Hinterachse, je 350 kW/476 PS stark. Vorteile? Winzig, leicht, brutal drehmomentstark. Nachteile? Kostspielige Fertigung, heikle Spaltmasse und bislang Kleinstserien. Doch als technische Machtdemonstration: erste Liga.

Laderei und fünf Minuten

Im Wagenboden versteckt man eine 800-Volt-Batterie mit über 3000 Zellen (NCMA-Kathode, Silizium-Anode), die wie die Elektromotoren über ein elektrisch nicht leitfähiges Öl auf kuschelige 45 Grad temperiert wird. Die Kapazität wird auf rund 100 kWh geschätzt und soll mit durchschnittlichen 850 kW geladen werden können. So könne man 400 Kilometer Reichweite in nur fünf Minuten in die Batterie pumpen – theoretisch –, denn passende Ladesäulen sind Zukunftsmusik. Aber Mercedes tüftelt bereits fleissig mit den Gleichstrom-Ladesäulenexperten von Alpitronic an Prototyp-Chargern jenseits der Megawatt-Grenze. Doch wann und ob wir uns jemals an einer Ein-Megawatt-Station die Ladekabel überreichen werden, lassen wir mal bewusst offen.

Mutprobe statt Massenmodell

Vergessen wir für einen Moment das karpfenartige Antlitz. Der GT XX zählt zweifellos zum technisch Spannendsten und Fortschrittlichsten, was die Elektromobilität derzeit hervorbringt. Bleibt die Frage: Hat wirklich jemand auf einen elektrischen Hyper-GT gewartet? Unbestritten zündet AMG hier ein Feuerwerk an Technologie, was auch in andere AMG-EA-Modellen wie dem CLA 45 AMG, C- und GLC-AMG-EQ übertragen werden soll. Doch Mercedes entwickelt nicht nur aus reiner Nächstenliebe. Irgendwann wollen die Entwicklungskosten eben wieder amortisiert sein – mutmasslich über (noch) höhere Fahrzeugpreise.
Für uns bleibt der GT XX ein fahrendes Manifest. Und jede Revolution beginnt mit einem Knall – in diesem Fall ein leiser. Fortschritt verlangt Mut. Und genau den beweist AMG, denn jede grosse Technologie begann mit einem «wer braucht das». Auch das Pferd galt einmal als völlig ausreichendes Fortbewegungsmittel, bis man vor fast 140 Jahren in Stuttgart etwas anderes präsentierte.

 

Text: GAT
Bilder: Mercedes

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