Mercedes-AMG SL 63 im Test
Mercedes strafft sein Modellprogramm und bürdet dem neuen SL die Nachfolgerschaft gleich drei verschiedener Cabrios auf.
Die letzten paar Generationen des Mercedes SL hatten mit «sportlich leicht» nicht mehr viel zu tun. «Schiffig lümmelig» hätte es schon eher getroffen. Entsprechend waren die Absatzzahlen der letzten Generation alles andere als berauschend. Doch der SL ist bei Mercedes die am längsten durchgehend produzierte Modellreihe. Die Ikone einfach sterben zu lassen, kam also nicht infrage.
Ein Imagewechsel war gefragt. Also wurde die neue Generation R232 direkt von AMG entwickelt. Sie dient zeitgleich auch als Ersatz für den entfallenen AMG GT Roadster und das S-Klasse Cabrio. Drei Autos in einem also. Kann das gut gehen?
Auf der Drehmomentwelle
Kann es! Bei uns trat die vorläufige Topversion SL 63 zum Test an, und dieses Teil ist eine Macht. Ellenlange Motorhaube, schlitzige Scheinwerfer, grosser und spitz zulaufender Grill und dann noch die Farbkombination in Schwarz/Schwarz – böse. Kein Vergleich zum plumpen Vorgänger. Im Cockpit geht es ebenfalls sportlich zu. AMG-Sportlenkrad, tiefe Sitzposition, viel Karbon, das passt. Weniger passt die teils gebotene Materialanmutung. Billige Blinkerhebel oder Türtafelteile aus dünnem Plastik passen nicht zu diesem Preis.
Das tritt in den Hintergrund, sobald der Motor angeworfen wird. Der dicke V8 rumpelt und brodelt aus den vier Endrohren wie eines dieser Riva-Boote in St. Tropez. Das lässt sich mit offenem Dach ungefiltert geniessen. Es zu öffnen, verlangt nach einer etwas nervigen Prozedur im grossen Zentralbildschirm. Und ist das Dach einmal offen, spiegelt der Bildschirm recht arg. Da hilft auch dessen Neigungsverstellung nur bedingt weiter.
Das Sportlenkrad ist gut geformt, hat aber eine suboptimale Touchbedienung.
Aber der Biturbo-V8 lässt auch das wieder vergessen. Aus vier Litern Hubraum holt das Ding eine Kraft, dass alles zu spät ist. Dieser Motor ist und bleibt ein wundervolles Stück Technik mit unendlich viel Charakter. Am schönsten ist dieses Drehmomentsurfen in höheren Gängen. Oben-offen-Cruisen, Blick über die riesigen Powerdomes, Bollersound in den Ohren. Das satte Herausbeschleunigen in Kombination mit dem dumpfen Auspuffgrollen und Turbozischen von vorne lässt niemanden kalt. Genauso muss sich ein SL anfühlen.
Diesem Motor gebührt ein Denkmal. Schade, dass er so verpackt ist.
Eine Spur zu heftig
Im Sport+-Modus hängt das Aggregat unfassbar gierig am Gas und dreht flüssig hoch. Auch das Fahrwerk versteht dann keinen Spass mehr und schickt Stösse ungefiltert ins Cockpit. Beeindruckend auf topfebener Bahn, wo sich der Zweitonner gefühlte 500?Kilogramm leichter anfühlt. Für normale Landstrassen ist es aber eine Spur zu heftig. Das kann er dann dem geschlossenen GT überlassen, der dieses Jahr irgendwann debütiert. Der SL gibt den flotten Cruiser.
Man geniesst lieber ab und an den Comfort-Modus. Auch das kann der SL trotz AMG-Label nämlich. So ist die Langstrecke ein Klacks, vor allem mit den bequemen Multikontursitzen. Nackenföhn, Sitz- und Lenkradheizung machen Offenfahren auch bei zehn Grad erträglich, zumal sich die Windgeräusche bei Autobahntempo zurückhalten. Den Wegfall des S-Klasse-Cabrios macht der SL somit allemal wett. Wichtiger noch: R232 taugt auch wieder als echter SL!
Drei Kreuze, dass Mercedes dem schwächelnden SL mit einer neuen Generation wieder Kontur verschafft hat. Ihn direkt bei AMG zu entwickeln, hat der Ikone gutgetan.
Technische Daten Mercedes-AMG SL 63 4matic+
V8-Biturbo, 3982 cm3, 430 kW /585 PS bei 5500/min, 800 Nm bei 2500/min, 9-Gang-Automatik, Allradantrieb, 0–100 km/h: 3,6 s, Spitze: 315 km/h, Norm: 12,5 l/100 km, 282 g/km CO2, Test: 10,3 l/100 km, Effizienz: G, Tankinhalt: 70 l, Reifen: v. 275/35 ZR21, h. 305/30 ZR21, Leergewicht: 1983 kg, L/B/H: 4705/1915/1354 mm, Radstand: 2700 mm, Ladevolumen: 213 l, Wendekreis: 12,4 m, Preis: ab 219 900 Franken
Text: Moritz Doka
Bilder: Markus Kunz