Nissan Ariya – japanische Antwort
Lange liess der Elektro-Crossover auf sich warten, doch nun ist er da: Der Ariya soll ein Meilenstein auf dem Weg in Nissans Zukunft sein. Sein Design, Packaging und Fahrverhalten überzeugen.
Nissan ist schon lange im Elektrozeitalter angekommen – der Leaf ist seit 2010 im Line-up der Japaner und wurde seither rund 610'000 mal verkauft, die Hälfte davon in Europa. Doch während die Konkurrenz aus Deutschland und Korea in den letzten Jahren einen modernen Stromer nach dem anderen auf den Markt gebracht haben und sich bei Reichweite und Ladetempo laufend überbieten, war es aus Japan lange still. Nissan hat zwar bereits vor drei Jahren einen hübschen E-Crossover namens Ariya angekündigt und zunächst als Concept Car, 2020 dann als fertige Serienversion gezeigt. Bis zu den Händlern hat es das Modell bisher aber nicht geschafft.
Das ändert sich nun. Ab August rollt der vollelektrische Ariya auf die Schweizer Strassen, als Fronttriebler mit zwei Batteriegrössen sowie als Allradler, der immer mit der grösseren Akkuvariante ausgestattet ist – allerdings lässt diese Variante noch bis Anfang nächstes Jahr auf sich warten. Das Modell ist wichtig für die japanische Marke, wie der für die Vermarktung verantwortliche Vizepräsident Leon Dorssers erklärt: «Der Ariya stellt für uns ein neues Kapitel auf dem Weg in die Zukunft der Elektromobilität dar.» Nissan will ab 2030 nur noch elektrifizierte Fahrzeuge anbieten, zumindest in der AMIEO-Region, die Afrika, den Mittleren Osten, Indien, Europa und Ozeanien umfasst. Elektrifiziert bedeutet allerdings nicht rein elektrisch, sondern schliesst auch alle Hybridvarianten mit ein.
Ein «Meisterstück»?
Entsprechend überschwänglich waren die Markenverantwortlichen an der Fahrpräsentation. Marketing-Leiter Partha Bhagawati sprach nicht einmal mehr von einem Auto, sondern nur von einem «Meisterstück», gefertigt in höchster japanischer Handwerkskunst, das alles in seinem Segment in den Schatten stelle. Diese harte Dosis verklärter Marketing-Phrasen wäre nicht nötig gewesen, denn steigt man in den Ariya ein, drückt den Startknopf und rollt flüsterleise los, wächst die Begeisterung für dieses Modell von allein. Der Innenraum des 4,6 Meter langen Crossover ist geräumig, wie man es von Autos auf reinen Elektroplattformen kennt, chic gestaltet und schön verarbeitet. Blaues Alcantara wechselt sich mit Kunststoffflächen ab – die stören aber nicht, schliesslich ist Nissan kein Hochpreishersteller, und auch Audi, BMW und Co. verbauen inzwischen ja ungeniert Hartplastik. Das Platzangebot ist auf allen Sitzen grosszügig, das Kofferraumvolumen von 468 (Allrad: 415) bis 1775 Liter schneidet im Konkurrenzvergleich ebenfalls gut ab.
Das Cockpit ist so, wie man es von modernen Elektroautos kennt, überrascht jedoch mit einigen Finessen. Zwei grosse Bildschirme fügen sich optisch zu einem Display-Element zusammen, das sich hinter dem Lenkrad bis über die Mittelkonsole zieht, darunter sind ein paar in das Holzimitat integrierte Berührflächen zur Bedienung der Klimaanlage. Solche Tastfelder gibt es auch hinter dem Fahrstufen-Wählknubbel auf der hohen Konsole zwischen den Sitzen, etwa um den One-Pedal-Modus zu aktivieren. Die Konsole selbst bietet nicht nur mehrere Staufächer und eine kabellose Ladefläche für das Smartphone, sondern lässt sich auch verschieben – und zwar elektrisch auf Tastendruck. Links vom üblichen Handschuhfach gibt es zudem noch ein kleineres «Geheimfach», das ebenfalls auf Tastendruck elektrisch öffnet – das ist nicht wirklich nötig, aber witzig. Dass die Komfortausstattung inklusive Sitzklimatisierung auf allen Plätzen, Bose-Soundanlage und weiterem mehr umfangreich ist, versteht sich von selbst.
Gemeinsame Plattform mit Renault
Der Ariya baut auf der gemeinsam mit Renault entwickelten CMF-EV-Plattform auf, mit dem inzwischen bekannten Skateboard-Layout mit flacher Batterieeinheit im Fahrzeugboden zwischen den Achsen. Dadurch ist nicht nur der Schwerpunkt tief, die Ingenieure brachten auch eine perfekte Gewichtsverteilung von 50/50 hin, zumindest in der e-4orce genannten Allradversion mit einem zweiten Elektromotor an der Hinterachse; doch auch der Fronttriebler ist mit 52/48 gut ausbalanciert. Dadurch liegt der je nach Variante 2 bis 2,3 Tonnen wiegende Crossover satt auf der Strasse und steuert präzis und lange neutral durch Kurven – so weit das auf den meist geraden Strassen rund um Stockholm mit den schwedischen Tempolimits überhaupt zu ergründen war.
Wie eingangs erwähnt, ist der Ariya in drei Varianten erhältlich. Das Basismodell kommt mit Frontantrieb und 160 kW Leistung, 300 Nm Drehmoment und einer Batterie mit einer nutzbaren Kapazität von 63 kWh – das reicht gemäss WLTP für maximal 414 Kilometer. Mit der grösseren Batterie (87 kWh) leistet der Fronttriebler 178 kW bei gleichem Drehmoment, die Reichweite beträgt dann 544 Kilometer. Das Allradmodell e-4orce schliesslich schafft mit der grossen Batterie bis zu 500 Kilometer, leistet dank zwei Motoren 225 kW und generiert ein Drehmoment von 600 Nm. Natürlich hat diese Variante die besten Fahrleistungen: Die 0-auf-100-Zeit beträgt gemäss Hersteller 5,7 Sekunden und der Topspeed 200 km/h, während die Fronttriebler 7,5 respektive 7,6 Sekunden benötigen und maximal 160 km/h fahren.
In all diesen Bereichen macht der neue Ariya eine gute Figur, und er fährt sich auch sehr angenehm, trotz des eher straff abgestimmten Fahrwerks – die Sitze dürften allerdings etwas bequemer sein. Beim Thema Laden ist der Japaner Mittelmass: An der Schnellladesäule saugt der Nissan mit maximal 130 kW – die Konkurrenten VW ID.4, Skoda Enyaq und Toyota bZ4X sind da ähnlich aufgestellt, Hyundai Ioniq 5 und Kia EV6 laden hingegen deutlich schneller. Dank einer ziemlich gleichmässigen Ladekurve dauert das Füllen der Batterie von 10 auf 80 Prozent im Idealfall 35 Minuten. An der Wechselstrom-Steckdose nimmt der Ariya hingegen 22 kW – da liegt der Japaner im Konkurrenzvergleich vorn. Bei der Preisgestaltung schliesslich ist der E-Crossover weder hop noch top: Los geht es bei 53'490 Franken für die Basisvariante, die mit grosser Batterie ab 62’790 Franken zu haben ist, das Allrad-Topmodell kostet ab 66’790 Franken. Damit ist der Ariya kein Schnäppchen, aber durchaus fair positioniert.
Text: Stephan Weidner, Photos: Nissan