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Porsche 911 von Everrati - Frevel oder Zukunft?

Der englische Spezialist Everrati baut unter anderem Porsche 911 zu reinen Stromern um. Soll man da den Kopf schütteln - oder bejahend nicken?

Veröffentlicht am 24.03.2022

Noch so mancher (und manche) hat sich schwergetan, als Porsche mit dem Taycan sein erstes E-Auto ankündigte. Verrat am Sportwagen, hiess es, geht gar nicht, da können sie ja auch gleich einen Kombi bauen oder ein Diesel-SUV (ok, das war der müde Versuch eines Scherzes).

Nun, der Taycan kam trotz allen Unkenrufen auf den Markt, er ist ein Erfolg für die Zuffenhausener, der rein elektrische Macan steht unterdessen in den Startlöchern, es ist klar, dass die nächsten Boxster/Cayman nur noch mit Strom unterwegs sein werden. Auch wenn es manche schmerzt, aber wir müssen uns bewusst sein: Auch bei Porsche ist die Zukunft rein elektrisch.

Keine «Umbauten»

Doch hier geht es ja um die Vergangenheit, denn auf den Bildern sehen wir ganz klar einen 911, einen 964, um genauer zu sein, jene legendäre Baureihe, die zwischen 1989 und 1964 gebaut wurde und die bei vielen «Gusseisernen» als die letzten wahren Porsche gelten. Die Spezialisten von Everrati haben diesen 911er seines luftgekühlten Verbrenner-Herzens beraubt und ihm stattdessen einen Tesla-Antrieb eingebaut.

Wir müssen das jetzt kurz erklären, wir haben Everrati kürzlich besucht und auch mit Gründer und CEO Justin Lunny gesprochen (die ganze Geschichte dazu lesen Sie in der ai 4/22, dort geht es allerdings nicht um den Porsche 911, sondern eine andere Ikone). Der Chef beharrt darauf, dass Everrati sich nicht mit «Umbauten» beschäftigt. Sondern klassische Automobile so baut, wie sie schon damals gebaut worden wären, wenn man damals das Wissen von heute gehabt hätte.

Der Charakter bleibt erhalten

Es ist auch nicht so, dass in den grosszügigen Hallen im Heyford Park in der Nähe von Bichester einfach die thermischen Komponenten rausgerissen und das Fahrzeug irgendwie mit einem Akku und Elektromotoren versehen wird. Jedes Fahrzeug wird 3D gescannt - und erhält dann per CAD massgefertigte Komponenten. Die genau so angebracht werden, dass sich der Wagen auch jederzeit wieder zurück bauen lässt. Selbstverständlich werden die originalen Motoraufhängungen verwendet, für die Akkus werden bestehende Räume genutzt. Und der luftgekühlte Original-Boxer des 911er harrt in einer Kiste seines weiteren Schicksals.

Doch nicht nur das: Nach Ansicht von Lunny muss auch unbedingt der Charakter des Fahrzeugs erhalten werden. Das beginnt bei der Gewichtsverteilung: Wie im originalen 964er kommt auch der Everrati-911er auf 40/60. Nicht so schwierig, wird nun manch einer denken, die zwei E-Tonnen lassen sich sicher auch passend verteilen. Es ist nur aber so, dass der Everrati genau gleich schwer ist wie sein Spender, ein Carrera S mit Tiptronic aus dem Jahr 1990, es auch war. Bloss hat der Stromer ziemlich genau die doppelte Leistung, also etwa 500 PS.

Mit Cup-Fahrwerk

Und Lunny hat nicht ganz recht, wenn er sagt, dass der Charakter des 90er-911 erhalten bleiben soll: Der Stromer zieht mit seinem Eingang-Getriebe ganz anders ab als ein 964er, er rennt in deutlich unter 4 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Gegen oben ist dann zwar bei 200 km/h Schluss, doch damit lässt sich leben. Auch ist die Reichweite nicht ganz so wild, bei zurückhaltendem Stromfuss sind aber 300 Kilometer möglich. Selbstverständlich verbaut Everrati nur Akkus, die sich auch schnell wieder aufladen lassen.

Klar, jedes E-Auto hat seine längsdynamischen Qualitäten, aber kann er auch Kurven? Er kann, er kann sogar sehr gut, denn Everrati verbaut auf Wunsch ein spezielles Cup-Fahrwerk von TracTive, da ist der originale 964er dann sanft im Nachteil. Weil sich der Strom ziemlich fein dosieren lässt, ist der 911er sogar einfacher zu beherrschen als früher, man schwitzt nicht gleich Blut und Wasser, wenn er hinten seine eigenen Wege sucht.

Schütteln wie damals

Ok, aber es tönt halt nicht. Es kann halt gar nicht luftgekühlt tönen, unmöglich. Das ist ein Punkt, an dem auch Everrati noch arbeiten muss. Es wird zwar ein künstlich erzeugtes Geräusch hineinkonstruiert, doch das ist etwas absurd. Nicht ganz daneben ist hingegen das für einen 964er so typische Schütteln beim Starten, sind die Vibrationen beim Fahren, das fühlt sich fast wie echt an. Störend ist da vielmehr, dass es sich ausschalten lässt; erst dann merkt man, dass es nicht «echt» ist.

Es gibt eigentlich nur einen nicht ganz unwesentlichen Punkt, der gegen so einen Everrati-911 spricht: der Preis. So etwa 200’000 Pfund werden es schon, ohne grosse Sonderwünsche (da ist so ziemlich alles möglich). Dann muss man aber auch noch einen 964er mitbringen. Bleibt noch die Frage, ob so ein E-911er in der Schweiz auch zugelassen werden könnte. Da sind wir dann eher skeptisch. Aber auch das diskutieren wir in der aktuellen Ausgabe der «auto-illustrierte», die Sie jetzt an Ihrem Kiosk finden. Oder hier abonnieren können.

Text: Peter Ruch

Fotos: Everrati

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