Test

Renault Austral – Tiguan-Gegner im Test

Allradlenkung, Google-Infotainment und in der Schweiz stets elektrifiziert: Der neue Austral klotzt ordentlich. Das muss er auch, schliesslich will Renault mit ihm das Segment der C-SUVs erobern. Ob das trotz fehlendem Allradantrieb klappen kann, haben wir im ersten Test gecheckt!

Veröffentlicht am 25.11.2022

Der Renault Austral kommt in beste Gesellschaft. Denn kaum ein Fahrzeugsegment ist derart dicht bevölkert wie das der C-SUVs – im Volksmund Kompakt-SUVs genannt. Selbst bei kleinlicher Auslegung des Begriffs C-SUV kommen schnell 30 Modelle und mehr zusammen. Auch Renault ist in diesem Segment schon länger präsent – einst mit dem Koleos, bis vor Kurzem noch mit dem Kadjar. Richtige Verkaufsschlager waren in der Schweiz allerdings beide nicht. Das soll sich mit dem neuen, ab 37'600 Franken erhältlichen Austral ändern. Renault spricht sogar davon, das C-Segment «zurückerobern» zu wollen. Eine solch vollmundige Ankündigung macht natürlich neugierig. Flugs haben wir uns also noch vor dem offiziellen Marktstart einen Austral in die Redaktion anliefern lassen und zum ausgiebigen Test gebeten.

Google fährt mit


Kaum wiederzuerkennen: Mit dem knubbeligen Vorgänger Kadjar hat der Austral nicht viel
gemeinsam.

Die erste Begegnung mit dem Austral in der Redaktionsgarage stimmt positiv. Selbstbewusst blickt er aus serienmässigen Voll-LED-Scheinwerfern, keck ergänzt mit sichelförmigen Tagfahrlichtern. Dazu schicke 19-Zoll-Felgen, Dach in modischer Kontrastlackierung, fast durchgehendes Leuchtenband am Heck – das fällt auf, kein Vergleich zum rundlich und zurückhaltend gezeichneten Kadjar. Wer den noch vor Augen hat, wird auch den Innenraum kaum wiedererkennen. Das liegt nicht nur an der guten Verarbeitung und Materialauswahl. Knöpfe gibt es zum Beispiel nur noch für die Klimabedienung, stattdessen wird das Armaturenbrett von zwei 12-Zoll-Bildschirmen dominiert.

Hervorragendes Infotainment-System

Und die müssen wir an dieser Stelle ausführlicher beschreiben, denn es ist genial, was Renault hier abliefert. Oder vielmehr Google Automotive, da auf deren Betriebssystem das Infotainment basiert. Doch das ist aus unserer Sicht ein Vorteil. Erstens sind Menüstruktur und Bedienung des Systems logisch und intuitiv, unter anderem weil vom Smartphone bekannt. Und zweitens verfügt Google als Hersteller von Handybetriebssystemen über zigfach mehr Möglichkeiten zur Datenerhebung als ein Fahrzeughersteller, was die fortlaufende Verbesserung des Systems vereinfacht.


Material- und Verarbeitungsgüte des Cockpits sind für diese Klasse sehr gut. Das Android-
Infotainment mit Google an Bo ist ein Hit. Weniegr schön: die überfrachtete Lenksäule.

Zu erkennen etwa an der Sprachbedienung, die sogar genuschelte Eingaben zuverlässig versteht. Auch die Touchbedienung wird verzögerungsfrei umgesetzt, die Darstellung ist gestochen scharf. Ähnlich gut ist das Digitalcockpit. Es lässt vier verschiedene Ansichten zu, unter anderem eine vollflächige Ansicht der Navikarte. Dazu lassen sich die beiden Infokästen links und rechts im Bildschirm konfigurieren.

Verwirrend viele Lenkstockhebel

Das Losfahren gestaltet sich dagegen nicht ganz so einfach. Wer nicht mit den neuen Renault-Cockpits vertraut ist, sucht erst einmal den Gangwahlhebel. Fündig wird man hinter dem Lenkrad, wo nicht weniger als vier Hebel und Bediensatelliten Verwirrung stiften – Schaltpaddel und Lenkradknöpfe noch nicht miteingerechnet. Zuverlässig haben wir denn auch mehrfach versehentlich den Scheibenwischer aktiviert, anstatt den Gang einzulegen. Diesen Bedienhebel-Wust sollte Renault beim Facelift entwirren.
Einmal in Fahrt, ist der Bedienärger schnell vergessen. «Unser» Austral war ausgerüstet mit dem mildhybridisierten 1,3-Liter-Turbovierzylinder, CVT-Automatik und Frontantrieb. In der Schweiz ist das vorerst die Einstiegsmotorisierung, eine Handschaltung wird nicht angeboten.


160 PS bringen denAustralflot voran. Auf anderen Märkten gibt es auch einen 130-PS-Benziner,
mit dem es dann schon gemächlicher gehen dürfte.

Nach Verzicht fühlt sich der Antrieb aber nicht an. 160 PS und 270 Nm Drehmoment sind mehr als genug, um zügig vom Fleck zu kommen. Und die Elektrounterstützung macht sich in der Stadt positiv bemerkbar. Auf der Autobahn wird es etwas gemächlicher, etwa beim Herausbeschleunigen aus Baustellen. Der Verbrenner erreicht seine Spitzenleistung erst bei 5250/min. Entsprechend muss man den Antrieb häufiger ausdrehen. Schlimm ist das aber nicht, denn auch bei hohen Drehzahlen hält sich der Motor angenehm im Hintergrund. Bemerkenswert vor allem für einen kleinen Alu-Vierzylinder.


Das unrunde Lenkrad wirkt zunächst ungewohnt. Nach kurzer Eingewöhnung fährt es sich aber

gut damit.

Auch übermässige Wind- oder Abrollgeräusche sind keine zu beklagen. Die Lenkung ist angenehm gewichtet, das Fahrwerk gänzlich unfranzösisch ausgelegt. Was durchaus als Kompliment gemeint ist. So sind Schaukeln oder schiffsartige Seitenneigungen in Kurven Fehlanzeige. Gleichzeitig lässt es weder grobe Stösse noch Bodenwellen in den Innenraum dringen, ist ausgewogen abgestimmt. Nur auf Querfugen nimmt man gelegentlich ein leichtes Stuckern wahr.

Abstandstempomat braucht Feinschliff

Hilfreich auf der Autobahn ist der Distanzradar, der im Kombiinistrument den zeitlichen Abstand zum Vorderwagen auf die Zehntelsekunde genau angibt. Der intelligente Abstandstempomat selbst passt die Geschwindigkeit im Stau, vor Kurven oder bei erkannten Tempolimits an, was in der Praxis gut funktioniert.


Die Start-Stopp-Automatik ist nicht ruckelfrei und bedarf einer Überarbeitung.

Im Stop-and-go-Verkehr dürfte das Zusammenspiel aus Start-Stopp-Automatik und Getriebe jedoch besser funktionieren. Mehrmals stellte der Motor beim Ausrollen ab, nur um gleich wieder anzuspringen und das Auto mit einem kleinen Ruck weiterfahren zu lassen. Kein Drama, ein Softwareupdate könnte hier Abhilfe schaffen.

Allradlenkung ja, Allradantrieb nein

Als Alternative zum Mildhybrid steht in der Schweiz der 200 PS starke Vollhybrid zur Verfügung. Den haben wir an der Fahrveranstaltung ebenfalls testen können und waren einigermassen angetan. Dessen 2-kWh-Akku wird durch Rekuperation so häufig wie möglich gefüllt und sorgt in der Stadt in den meisten Fällen für rein elektrischen Vortrieb. Die Teststrecke von etwa 300 Kilometern – ein Mix aus Stadt, Land und Autobahn – haben wir zu rund 20 Prozent rein elektrisch zurückgelegt und laut Bordcomputer gute sechs Liter auf 100 Kilometer verbraucht. Angesichts des hohen Streckenanteils kurviger Bergstrassen ein anständiger Wert.


Als Esprit Alpine kommt der Austral mit sportlichen Akzenten und - auf Wunsch - in schickem
Dunkelblau daher.

Ein echter Hit ist die Allradlenkung 4Control, die den Wendekreis auf nur gerade 10,1 Meter reduziert. Sowohl in der Stadt als auch auf Landstrassen ein Riesengewinn und die 1600 Franken Aufpreis in jedem Fall wert. Einziges Manko des Vorserien-Testwagens: Die finale Kalibrierung des Gaspedals stand noch aus. Zwischen Kickdownbefehl und Beschleunigung vergingen teils fast zwei Sekunden, in denen sich Elektromotor, Verbrenner und Getriebe sortieren mussten. Das wird laut Renault bis zur Serienfertigung noch behoben. Schade: Weder Plug-in-Hybrid noch Allradantrieb sind in Planung. Gerade Letzteres dürfte in der Schweiz für Enttäuschung sorgen.

Fair eingepreist

Die Preise des Austral beginnen bei moderaten 37 600 Franken für den Mildhybrid. Wer kann, sollte den Vollhybriden wählen und in die Iconic-Ausstattung samt Allradlenkung investieren. Für faire 46 000 Franken steht so ein üppig ausgestatteter Erstwagen mit kleinem Verbrauch vor der Tür. Bis dahin muss Renault aber dringend noch die Sache mit dem Gaspedal in den Griff kriegen – dann kann das mit der Rückeroberung klappen.

Fazit

Als interessante Alternative zum automobilen Einheitsbrei frönt der Renault Austral französischen Tugenden, ohne Kundinnen und Kunden mit schrulligen Eigenheiten abzuschrecken. Störend ist mit Blick auf den Schweizer Markt nur der fehlende Allradantrieb. Werden die Antriebsprobleme noch gelöst, ist er ein durchdachtes und spannendes Auto.

Text: Moritz Doka
Bilder: Markus Kunz/Moritz Doka

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