Extremsportler

KTM X-Bow GT-XR Test – Ein X für ein Oh

Scharf, schärfer, am schärfsten. Mit dem GT-XR stellt KTM seine extremste Version des X-Bow auf die Strasse. Auf Basis des GT2-Renners ist er aber wahrhaftig kein gezähmter Widerspenstiger – ganz im Gegenteil.

Veröffentlicht am 19.11.2022

Das kann ja heiter werden. Regen, Regen und  nochmals Regen ist für die nächsten zwei Tage am Red Bull Ring angesagt. Ich stelle mich schon mal für den Probegalopp im KTM X-BOW GT-XR gleich auf einen Eiertanz ein. Man hat ja vor den sportlichen Presseveranstaltungen immer so seine Vorstellungen. Und da der XR auf dem GT2 basiert – mit Letzterem hat übrigens das Schweizer Sportec-Team und Fahrer Christoph Ulrich 2021 den Titel in der Premierensaison der Fanatec GT2 European Series geholt – kann das zur Rutschpartie werden. Ich sehe schon vor mir, wie ich mich in der Gischt des vor mir fahrenden Instruktors von Kurve zu Kurve hangele. Und ja nicht auf die rutschigen Curbs geraten. Dann ist der Abflug vorprogrammiert. Das ist so ziemlich das Peinlichste, was dir an einer internationalen Pressevorstellung solchen Kalibers passieren kann. Damit bist du beim Hersteller für immer gebrandmarkt. Jedes Mal eilt dir dein (schlechter) Ruf voraus. Das Ganze kann dann schon mal in der Frage gipfeln, ob man dein Fahrzeug nicht lieber mit Stützrädern ausrüsten soll.

Bekanntmachen auf offener Strasse

Zurück zum KTM X-BOW GT-XR. Wir haben tatsächlich Glück mit dem Wetter. Zunächst schickt man uns über die Strassen rund um den Red Bull Ring. Ready to Race steht erst kurz vor Sonnenuntergang beim 15-minütigen Ritt über die 4,3 Kilometer lange GP-Strecke an – immer in Begleitung eines Instruktors. «Wann hab ich dich am Haken?», fragt KTM-Werkspilot Reinhard «Reini» Kofler, der auf der GP-Strecke versucht, uns davonzufahren oder wir an ihm dranzubleiben. «Spät, drehe zuerst die Runde auf der Strasse», antworte ich ihm. «Dann hast ja genug Zeit, dich mit dem XR vertraut zu machen und musst das nicht noch während des Stints machen», sagt er, setzt seinen Helm auf und nimmt den ersten Journalisten ins Schlepp die Boxengasse hinaus auf den Circuit.

Alles aus Spezialistenhand

Doch zuvor gibts den ein oder anderen Workshop. 100 von diesen Jet-ähnlichen Geschossen kann man jährlich im Produktionsstandort Graz stemmen. Alle sind handgefertigt und mehr als 100?000 Farbvariationen möglich. Die erste Auflage ist schon ausverkauft. Bist du also scharf auf einen, musst du dich zwei Jahre gedulden, bis du ihn hast. Endlich wird der abgedeckte XR feierlich enthüllt. Karbon, wohin das Auge blickt. Gerade einmal 1130?Kilogramm bringt das Leichtgewicht auf die Waage.

Von Audis Zweiliter-Motor haben sich die Grazer verabschiedet und hinter dem 160-Liter-Kofferraum den 2,5-Liter-Motor der Ingolstädter implantiert – quer eingebaut, wohlgemerkt. Nicht jedoch ohne dass Antriebsspezialist AVL ihn sich vorher nochmals zur Brust genommen hat. 500?PS und 581 Nm kitzelt man aus dem RS3-Motor raus. Macht – 1+1 zusammengezählt – nur 2,3 Kilogramm, mit denen sich jedes PS rumprügeln muss. Oder anders gesagt 3,4 Sekunden von 0 auf 100 km/h und Spitze 280 km/h. Maverick hätte seine Freude an dem Tiefflieger – und mit Sicherheit auch das entsprechende Kleingeld für den 284?900 Euro teuren Spitzensportler.

Doch was wäre KTM ohne Reiter Engineering? Auch sie, die zuständig für die Werkseinsätze der Österreicher in der GT2 European Serie sind, brachten natürlich ihr Know-how mit ein. Ergibt Sinn, da der XR ohnehin auf dem Konzept des GT2 basiert. Und über die Aussenhaut haben sich die Formgestalter der Salzburger Designstube Kiska hergemacht.

Spagat zum Einstieg

Es naht der grosse Moment – die erste Ausfahrt. Getreu der Devise: Lieber Gott, mach die Beine krumm, dass ich in den KTM kumm, gibt das Entern des Cockpits eigentlich keine Rätsel auf. Doch dazu brauchts einen kleinen Spagat. Auf den breiten Seitenkasten gesetzt, rechten Fuss in die Sitzaussparung gestellt, linken nachgezogen und in die festmontierte Karbonschale rutschen. Passt. Jetzt über den seitlich am Sitz angebrachten Hebel die Pedalerie noch weiter ranholen, mit dem Vierpunktgurt verzurren und danach das längs- und höhenverstellbare Lenkrad aufgesteckt. Halt wie im richtigen Racer-Leben.

Klasse, wie sich die Kuppel auf Hebelzug schon fast majestätisch und jetzt elektrisch senkt. Der Karbon-Jet ist fertig zum Start, und der Fünfzylinder erwacht auf Knopfdruck aus dem Dornröschenschlaf. Der Motor, wie viele Bedienelemente im Cockpit auch, kann seine Audi-Herkunft nicht verheimlichen. Bis, ja, bis auf den Lichtschalter, der dagegen richtig altbacken wirkt. Und das Entertainment muss man in Form des Bluetooth-Handys mitbringen. Den sicheren Halt des Smartphones übernimmt die Quadlock-Aufnahme in der Mittelkonsole. Alle anderen Funktionen sind auf dem Lenkrad übersichtlich untergebracht.

Eine Handbreit über dem Asphalt

Ein laut vernehmbares Klacken, und die erste Welle des Doppelkupplungsgetriebes ist scharf. Es stammt ebenfalls von den Herren der Ringe, wurde allerdings mit neuen Kennlinien bestückt. Langsam geht es durch das Fahrerlager hinaus in die Steiermarksche Welt. Der Allerwerteste scheint Kontakt zum Asphalt zu suchen, so tief hockt man im Monocoque. Gewöhnungsbedürftig ist anfänglich noch der Blick durch die Monitore, die Innen- wie Aussenspiegel ersetzen und obendrein eine unterschiedliche Entfernung zum Hintermann anzeigen. Das wird mit dem Aufspielen einer neueren Softwareversion noch geändert. Und auch der Innenspiegel soll durch einen 7-Zoll-Monitor ausgetauscht werden.

Beklatscht von Schülern bahnt sich der XR den Weg durchs Spalier. Man bewundert den Österreicher und scheint im selben Moment darüber nachzudenken, von welchem Stern er denn wohl sei. Rauf auf die Autobahn. An den Blinker auf dem Lenkrad werde ich mich wohl nie gewöhnen. Jetzt legt sich der Fünfzylinder richtig ins Zeug, und eh man sich versieht, zeigt das Display im Volant 160 km/h an. Also alles ein Stück weit zügeln. Die Bremsen verlangen nach ordentlich Pedaldruck, bis sie reagieren. Auch das soll wie die schwammige Lenkung noch geändert werden.

Adrenalin pur

Ja, es geht auch im sanften Trab. Munter gibt das Leichtgewicht die Unebenheiten der Strasse weiter. Das darf er, nein, das verlangt man irgendwie auch von ihm. Es ist ja nicht so, dass es einem gleich die Plomben aus den Zähnen haut. Ab und an zuckt auch das erste rote LED-Licht im oberen Teil des Lenkradkranzes hervor – eins von vieren. Es stehen also noch genügend Drehzahlen bereit, um den Turbo richtig in Wallung zu bringen. Doch das hebe ich mir lieber für die Rennstrecke auf und geniesse den Blick in die Landschaft oder aufs Nummernschild des vor mir fahrenden Golfs. Es wird einem bewusst, dass der Tiefflieger zu Höherem berufen ist. Und ja, jetzt fängt es doch an zu tröpfeln. Ready to race sieht gewiss anders aus, als das, was jetzt abgeht. Wie Lieschen oder Bodo Müller auf Shoppingtour, das kann es ja nun wirklich nicht sein.

Nur ein kleiner Schauer. Trockenen Fusses, nein Pneus, sind wir zurück an der Rennstrecke. Reini wartet schon. Arbeitsgerät wechseln – ich liebe die Öffnungszeremonie der elektrischen Kanzel –, und schon geht es raus. Er gibt Gas. Der X-Bow, vom Performance-Modus unterstützt, marschiert abblas-prustend alles raus, was er hat. Dazu tanzen die LEDs der Schaltanzeige Tango, und die konventionellen Michelin Pilot Sport 4S kommen langsam auf Temperatur. Erste rechts, anbremsen, einlenken und mit leichtem Zucken des Hecks wieder rauf auf den Pinsel. Jetzt gehts runter ins Infield. Eine Mutkurve folgt der anderen. Popometer und Adrenalinschübe laufen zur Höchstform auf. Der X-Bow macht genau das, was man von ihm verlangt. Und wenn das «Ja, das reicht jetzt!» kommt, hält er keine bösen Überraschungen bereit. Er kündigt mit leichtem Zucken an, dass die Grenzen der Physik erreicht sind.

Oh, no! Erste Regentropfen auf der Windschutzscheibe und rot-gelbe Warntafeln der Streckenleitung künden von Unheil. Also weg bleiben von den Curbs und eine saubere Linie fahren. Das leichte Schliddern steckt das Fahrwerk gut weg. Auch Reini lässt es mit seinem Slick-bezogenen X-Bow GT2 jetzt etwas langsamer angehen. Der XR macht es einem leicht, sich an die geänderten Bedingungen zu gewöhnen. Nach rund 15 Minuten ist der Probegalopp beendet, und ich muss das gute Stück wieder abgeben. Also, einpacken und mitnehmen. Schön wärs!

Text: Jörg Petersen
Bilder: KTM/Jörg Petersen

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