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Bis die Fetzen fliegen

Runderneuerte Pneus stehen für Nachhaltigkeit und Billigtum. Doch wie ist es um deren Sicherheit und Performance bestellt? Im Vergleich mit einem Low-Budget-Pneu und einem Premiumreifen muss der Runderneuerte seine Qualitäten beweisen. Das Ergebnis? Nur so viel: Am Ende flogen die Fetzen.

Veröffentlicht am 28.07.2020

Die Luft flimmert. Hitzige Temperaturen von 30 °C und eine Asphalttemperatur von 60 °C erwarten uns auf dem Testgelände in Mireval (F). Temperaturen, die unsere Probanden im ai-Reifentest einfach aushalten müssen. Und das sind ganz besondere Kandidaten. Montiert auf einem VW Golf 8 trat ein runderneuerter Pneu von King-Meiler gegen den aus chinesischer Produktion stammenden Goodride SA37 Sport und den Goodyear EfficientGrip Performance 2an – alle in der Dimension 225/45 R17.

Im Zuge um die Diskussion betreffend Umweltschutz, CO2-Reduktion und Nachhaltigkeit steht der runderneuerte King-Meiler Streax von der Umweltbilanz her auf den ersten Blick mal sehr gut da. Es wird zumindest mal so propagiert. Doch Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind nicht alles. So galt es, herauszufinden, ob der günstige Preis des King-Meiler nicht zulasten der Sicherheit und Performance geht. Dabei wollen wir natürlich sehen, ob er nicht nur preislich mit dem ebenfalls günstigen Reifen aus China auf Augenhöhe ist. Der Goodyears EfficientGrip Performance 2 übernimmt die Rolle des «Vorreiters».

Frisch aufbereitet

Gemäss dem Onlineportal reifendirekt.ch beläuft sich der Marktanteil in der Schweiz auf rund fünf Prozent. Und da der King-Meiler aus deutscher Produktion stammt, ist anzunehmen, dass deren Reifen über die entsprechende Qualität punkto Sicherheit und Performance verfügen. Das Unternehmen bezieht seine Altreifen und Karkassen von bekannten Premiumherstellern. Die gebrauchten Reifen werden von Wulst zu Wulst maschinell abgeschliffen oder abgeraut und bekommen einen komplett neuen Laufstreifen sowie eine Seitenwand aufvulkanisiert. Danach sieht der Pneu aus wie neu. Darunter steckt eine Karkasse, die auf Vorschäden geprüft wurde, aber dennoch schon ein paar Jahre und mehrere Tausend Kilometer auf dem Buckel hat.

Eklatante Unterschiede

Doch bereits beim Längs-Aquaplaning lässt der aufgummierte Pneu Federn und schwimmt bereits ab 78,2 km/h auf. Für einmal muss sich aber auch der Referenzreifen, der Goodyear EfficientGrip, mit
79,3 km/h hinter dem Chinesenpneu Goodride anstellen, der erst ab 82,4 km/h die Haftung verliert.
«Das sind Unterschiede, die noch nicht gefährlich sind», sagt TÜV-SÜD-Experte Thomas Salzinger. «Bei
der Aufschwimmgeschwindigkeit reden wir über drei, vier Stundenkilometer Unterschied vom Besten zum Schlechtesten.»

Ein klareres Bild mit deutlich grösseren Differenzen zeichnete sich beim Nassbremsen ab. «Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. So stand das mit Goodyear bereifte Fahrzeug fünf Meter früher als der mit King-Meiler-Pneus besohlte Golf», so Salzinger. «Das schlägt sich bei der Bremsung von 80 auf 0 km/h immer noch in einer Restgeschwindigkeit von 29,3 km/h nieder, die der King-Meiler abbauen muss. Wobei auch hier zugegebenermassen der Goodride mit rund 27,9 km/h kaum besser ist. Damit fallen beide deutlich hinter dem Goodyear zurück.» Beim Unfall dürfte sich die Ersparnis, die man beim Kauf des Runderneuerten und des chinesischen Pneus erzielt, schnell in Luft auflösen.

Kreisbahn nass

Ein umgekehrtes Verhältnis der Low-Budget-Pneus zeigt sich auf Kreisfahrt bei Nässe. Hier trennen den Goodride und den King-Meiler bei der Rundenzeit nur gerade einmal zwei Hundertstelsekunden. Während der Goodyear mit rund vier Zehnteln vorne wegfährt, haben beide mit fehlendem Seitenhalt
zu kämpfen. Daraus resultiert gleichzeitig eine um zwei Stundenkilometer geringere Kurvengeschwindigkeit.

Selbst auf dem 1,7 Kilometer langen Nasshandling-Parcours verlieren der Goodride und der King-Meiler gegenüber dem Goodyear deutlich an Boden – genauer gesagt drei Sekunden pro Runde. Und das wäre im Motorsport schon eine Ewigkeit. Daraus ergibt sich eine um bis zu drei Stundenkilometer langsamere Rundenzeit, wie die Testresultate in der Tabelle beweisen.

Stunde der Wahrheit

Und auch im Trockenen haben die Low-Budget-Pneus nichts zu bestellen. Abermals schneidet der King-Meiler beim Trockenbremsen aus 100 km/h mit 38,3 Metern Bremsweg am schlechtesten ab. Im Vergleich verbliebe eine Restgeschwindigkeit von 25 km/h, wenn der Goodyear den Golf schon zum Stehen gebracht hat. Mit einem etwas kürzeren Bremsweg – sprich 36,8 Metern – rauscht auch der Goodride mit immerhin 16 km/h noch am mit Goodyear-bereiften Golf vorbei. «In den Nässedisziplinen hätte man vom Runderneuerten schon er-warten können, dass er mit einem B gelabelt, durchaus auf Nässe etwas besser performt», so Salzinger. «Und was eben auch enttäuschend war, dass er beim Trockenbremsen deutlich hinter dem chinesischen Reifen nochmals weiter zurückfällt. Es sind zwar keine Welten und auch keine todbringenden Restgeschwindigkeiten, über die wir da reden, aber es kann auf alle Fälle den Unterschied ausmachen zwischen einem Bagatell- und einem eventuellen Totalschaden. Darüber hinaus kann es helfen, dass ein mögliches Ausweichmanöver noch gelingt, während es beim anderen zu haarigen Situationen führen kann.»

Trockenbremsen

Bei der Paradedisziplin, dem Trockenhandling, fiel immerhin positiv auf, dass keiner der Reifen Auflösungs- oder Abnutzungserscheinungen aufzeigte. Diese Extrembelastung hat also auch der Runderneuerte gut weggesteckt, selbst wenn er performancemässig abgebaut hat. Dennoch behielt er die strukturelle Festigkeit, was zu keinem signifikanten Schaden führte. «Allerdings gilt hier wie für alle Disziplinen, obwohl das Auto und das Set-up nicht unbedingt für schnelle Rundenzeiten geeignet waren, dass der Unterschied immer noch ein bis zwei Sekunden ausmacht», stellt Salzinger fest. Man ist also mit dem Premiumpneu einfach kontrollierter und schneller unterwegs.

«Sieht man die Ergebnisse der Performancetests, insbesondere Bremsen und Handling, war es für mich etwas enttäuschend», zieht Thomas Salzinger ein erstes Fazit. «Ich hätte mir ein anderes Ergebnis vorgestellt und eigentlich den King-Meiler vor dem Goodride erwartet. Es hat sich aber gezeigt, dass dieser runderneuerte Reifen, der in einer Grösse daherkommt, die doch schon High Performance darstellt, weder auf Nässe noch im Trockenen punkto Performance mit dem Chinesenpneu, dem Goodride, und schon gar nicht mit dem Goodyear mithalten kann. Heisst: Punkto Performance spricht daher wenig für den Runderneuerten.»

Handicap Assistenzsysteme

Was uns gerade bei den dynamischen Disziplinen etwas einen Strich durch die Rechnung machte, sind die zunehmenden Sicherheitsfeatures bei den Testfahrzeugen, die teilweise nicht mehr deaktivierbar sind. So waren wir gezwungen, das ESP weiter seine Bremsspielchen treiben zu lassen, die Fahrer auf den schnellen Runden im Nass- und Trockenhandling teilweise deutlich einbremsten. Salzinger: «So wird es immer schwieriger, den Reifen soweit in den Grenzbereich zu bringen, dass man auch noch subjektiv eine Aussage treffen kann. Ob das Fahrverhalten dann tatsächlich kritisch wird, da das ESP versucht, einen mit dosierten Bremseingriffen sicher auf Kurs zu halten und die Fuhre entsprechend herunterzubremsen, ist kaum zu eruieren. Das gelingt meistens nicht immer, aber letztendlich wird es für eine Beurteilung immer schwieriger, so einen aufwendigen Test durchzuführen.»

Premiere Labortests

Doch nur mit diesen subjektiven und objektiven Testeindrücken wollten wir es nicht bewenden lassen. Im Testlabor des TÜV SÜD mussten die Reifen unter identischen Bedingungen ihre Haltbarkeit bei Dauer- und Hochbelastung beweisen. Die Disziplinen waren ein 34-h-Dauerlauf bei 120 km/h und steigenden Lasten, ein Last-und Geschwindigkeitstest gemäß ECE-Regelung sowie – zur zusätzlichen Überprüfung der Sicherheitsreserven unter verschärften Bedingungen ausserhalb der gesetzlichen Anforderungen – in dessen Anschluss eine Verlängerung unter 2 Grad Sturz und bei Vmax noch bis zu einer Stunde. Im ECE-Test laufen die Reifen dabei stufenweise ab 240 km/h hoch und zuletzt 20 Minuten bei Tempo 270.

Das müssen die Pneus aushalten, da sie mit Geschwindigkeitsindex W – also bis 270 km/h – ausgezeichnet sind. Der Goodyear EfficientGrip und auch der Goodride absolvierten die Disziplinen ohne irgendwelche Blessuren. Das gilt allerdings nur bedingt für den runderneuerten Pneu. Beim Dauerlauf gab es nichts zu beanstanden. Brav spulten die Testmuster ihr Pensum an der Rolle ab.

Labortest

Doch im ECE-Highspeed-Lauf fing der King-Meiler an zu schwächeln. Nach 17 Minuten in Stufe 5
bei 270 km/h zeigten sich erste Auflösungserscheinungen. Heisst: partielle, handtellergrosse Laufstreifenablösung im Schulterbereich. Einem weiteren, zur Absicherung des ersten Ergebnisses herangezogenen Prüfmuster erging es dann noch schlechter. Ebenfalls in der Stufe 5, aber bereits nach 16 Sekunden platzte der Reifen. Er wurde regelrecht zerfetzt – und das bis auf die Karkasse. Wäre dies also ein Zulassungstest gewesen, hätten beide Prüfmuster die Vorgaben nicht erfüllt und wären somit durchgefallen.

Vermarktung gestoppt

In weiser Voraussicht wurde King-Meiler ob des Testergebnisses von uns über die Ergebnisse der Labortests vor Veröffentlichung des Testberichts informiert. Man war natürlich von den Resultaten überrascht. Erst recht, da das Streax-Profil kurz vor unseren Tests mit umfangreichen Prüfungen und etlichen Strassentests Bestandteil des Produktportfolios wurde. Dazu testete ein Prüflabor die Reifen eingehend nach den gesetzlichen Vorgaben. Ein entsprechendes Prüfprotokoll liegt der Redaktion vor. Dem Hersteller werden jetzt die beiden Prüfmuster zwecks eingehender Untersuchungen durch einen Sachverständigen zur Verfügung gestellt. Bis das endgültige Ergebnis vorliegt, wurde die Vermarktung der Streax-Reifen auf allen Kanälen gestoppt und der Lagerbestand gesperrt. Wir werden die ai-Leser auf dem Laufenden halten, was bei dieser Untersuchung genau herauskam.

Billig ist nicht sicher

Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass «billig & günstig» halt mit erheblichen Einbussen bei der Performance erkauft wird. Zwar trägt der Runderneuerte den Umweltgedanken in sich, doch erkauft man sich das auf Kosten der Sicherheit und der Performance. Wer runderneuerte Reifen kauft, kann bis zu 50 Prozent der Anschaffungskosten im Vergleich zu Neureifen sparen. Jedoch ist mit höheren Spritkosten zu rechnen. Zudem müssen gravierende Einbussen bezüglich der Fahr- und Bremseigenschaften in Kauf genommen werden. Letztlich muss jeder Fahrzeugbesitzer selbst entscheiden, ob er auf Kosten der Sicherheit sparen möchte.

Text: Jörg Petersen
Fotos/Video: Vesa Eskola

Testergebnisse Reifentest

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