G-Klasse: Vom Desaster zur Ikone
Niemand hätte gedacht, dass die G-Klasse eines Tages eine Ikone sein wird. Als das Puch G-Modell 1979 herauskam, wollten ihn nicht mal mehr die Auftraggeber haben. Wie die G-Klasse innerhalb von 45 Jahren vom Rohrkrepierer zum Must-Have sowohl von Milliardären als auch von Militären wurde, ist ebenfalls ein Stück Weltgeschichte.
Die Geschichte der G-Klasse ist so spannend wie ein Spionageroman. Angefangen hat die Erfolgs-Story des G-Modells als Disaster. Der Grossaktionär von Daimler-Benz, der Schah von Persien, wollte Mitte der 1970er Jahre ein Geländefahrzeug für seine Armee haben. Bestellmenge: 20'000 Stück. Da Daimler-Benz wegen Auflagen der Siegermächte keine Armeefahrzeuge selbst bauen durfte, suchte man geeignete Partner. Und fand sie in Österreich.
Weil auch die Deutsche Bundeswehr nach einem neuen Geländefahrzeug suchte, entwickelte Mercedes mit Steyr-Puch in Graz ein robustes Einsatzfahrzeug. Steyr-Puch hatte mit dem Haflinger und dem Pinzgauer bereits Erfahrung im Bau von Armeefahrzeugen. Für das Design holte man sich Hilfe im örtlichen Kindergarten. Quatsch. Aber das Design, welches bis 2018 praktisch unverändert blieb, war damals so zweitrangig wie die Hintergrundbeleuchtung der Lüftungselemente heute. Alles diente ausschliesslich der Funktionalität. Das Puch G-Modell wollte nie gefallen, sondern immer nur praktisch sein: praktisch fürs Gelände, praktisch für jedes Gelände. Vielleicht wurde das G-Modell gerade deshalb zur Ikone. 80 Prozent aller je gebauten G-Modelle sind immer noch oder wieder auf den Strassen unterwegs.
1979: Der schwierige Anfang
Anfangs lief alles prima, die neue Fabrik in Graz war gebaut, die ersten G-Modelle standen kurz vor der Auslieferung, als sich ein geopolitisches Erdbeben ereignete: die iranische Revolution. Der Schah von Persien wurde gestürzt, der Mega-Auftrag der iranischen Armee war nur noch Makulatur. Es kam noch dicker: Auch die Deutsche Bundeswehr entschied sich nicht für das G-Modell, sondern erstmal für den VW Iltis.
Was nun? Also setzte man sich bei Mercedes ans Telefon und aktivierte das Nutzfahrzeug Abnehmer-Netzwerk. Die Kommunen, Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste entdeckten die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Puch G-Modells – und bestellten fleissig. Im neu gebauten Werk in Graz entstanden als erstes die Modelle 240 GD, 300 GD, 230 G und 280 GE. 75 PS mussten in der Basisversion reichen. Dafür waren die Geländefahrzeuge bereits ab 30‘000 DM zu haben.
1980: Mercedes-Benz schenkt Papamobil
Obwohl der Papst keine Bergpredigt vor hatte, war die erhöhte Plattform ideal, um seine Schäfchen zu segnen. Dafür baute Mercedes-Benz für den Papstbesuch von Johannes Paul II in Deutschland eine Sonderversion des 230 G. Das Papamobil trug als erster Puch G einen Stern auf dem Grill und wurde weltberühmt. Das Papamobil ging 1982 in den Fuhrpark des Vatikans über und begleitete Johannes Paul II auf zahlreichen Reisen. Für den Papstbesuch in Österreich 1983 wurde das Logo jedoch kurzzeitig wieder auf Puch geändert.
1981: Schwarzenegger löst Hype aus
Der Urheber des Star-Hypes um das G-Modell löste Arnold Schwarzenegger aus, der 1981 als erster Besitzer auf dem amerikanischen Kontinent die G-Klasse fuhr und berühmt machte. Bis zum heutigen Tag ist Arnold Schwarzenegger Botschafter des Offroaders aus seiner Heimat. Ab 1981 waren bereits Klimaanlage, Längssitzbänke für die Ladefläche und ein Hardtop für das Cabrio optional erhältlich.
1983: Rallye Paris-Dakar
Jacky Ickx und Claude Brasseur gewannen auf einem Mercedes-Benz 280 GE die Rallye Paris-Dakar. Der Formel 1-Weltmeister und der La Boum-Schauspieler fuhren bei der mörderischen Rallye das Rennen ihres Lebens. Ein Nachbau befindet sich im Besucherraum der G-Klasse-Manufaktur, wo jedes einzelne Modell bis heute in Handarbeit gefertigt wird.
1985 - 1987: Aufwertung des G-Modells
In den 1980er Jahren wurde die „G“ deutlich aufgewertet. Zur Serienausstattung kamen unter anderem Differenzialsperren, Zentralverriegelung und Drehzahlmesser dazu. 1987 gab es dann sogar elektrische Fensterheber, eine automatische Antenne und einen grösseren Tank.
1989: Jetzt auch als Lifestyle-Cabrio
Start der Modellreihe 463. Sie brachte eine gehobene Ausstattung mit vier Motorisierungen: 250 GD, 300 GD, 230 GE und 300 GE. Drei Karosserieversionen standen zur Auswahl: Cabriolet, Station-Wagen kurz und Station-Wagen lang. Besonders die Cabriolet-Variante versprühte jetzt mehr Lifestyle als das Arbeitsgerät, für das die G-Klasse damals stand.
1991: Der Wolf kommt
Die deutsche Bundeswehr machte den VW Iltis Fehler von 1979 wieder gut und bestellte anfangs der 1990er Jahre 12’000 Mercedes-Benz G Modelle, die dort Wolf heissen. Mercedes-Benz lieferte den Mercedes-Benz 250 GD Wolf in vier Ausführungen.
1993: 500 GE V8
Der 500 GE V8 war 1993 ein Trendsetter und Vorbote der High-End-Offroader der automobilen Oberklasse. Der 5-Liter-Leichtmetallmotor des auf 500 Stück limitierten Sondermodells leistete 177 kW/240 PS. Zwei Jahre später wurde die 5-Liter-Variante ins Modellprogramm genommen.
1999: AMG G 55
In diesem Jahr feierte die G-Klasse nicht nur das 20-jährige Jubiläum, sondern es erschien auch die erste offizielle AMG-Variante, der G 55. Wer hätte gedacht, dass die Modelle aus Affalterbach so gut ankommen, dass sie heute zu den am meisten verkauften Modellen gehören?!
2001: ESP, BAS und ETS
Die G-Klasse erhielt im Rahmen einer Modellpflege ein deutlich aufgewertetes Interieur. Wichtiger aber waren die neuen serienmässigen Fahrdynamiksysteme. Dazu zählten ESP, der Bremsassistent BAS sowie das neue Elektronische Traktions-System ETS. 2002 kam mit dem G 63 AMG der erste Zwölfzylindermotor.
2012: G 65 AMG mit 1000 Newtonmeter
Die Affalterbacher schickten den G 65 AMG ins Rennen, den ein 6,0-Liter-Zwölfzylindermotor mit Carbon/Aluminium-Abdeckung antrieb. Mit 1000 Newtonmetern war der G 65 AMG der stärkste Serien-Geländewagen der Welt.
2013 - 2015: G 63 AMG 6x6 und G 500 4x42
2013 demonstrierte der dreiachsige G 63 AMG 6x6 überlegene Gelände-Eigenschaften. Erstmals gab es auch ein Individualisierungsprogramm, sowohl für das Interieur als auch für Exterieur mit exklusiven Farb- und Material-Kompositionen. Ebenfalls ging der neue G 500 4x42 mit Portalachsen in Serie.
Zu dieser Zeit wuchs der internationale Hype um das G-Modell und wurde zum Status-Symbol der Prominenz – von Putin bis zu den Kardashians.
2016: Schweizer Armee
Auch die Schweizer Armee setzte nunmehr auf die G-Klasse. Vielleicht mit ein Grund, warum die Schweizer Armee wieder an Beliebtheit zugelegt hat. Wann sonst hat man schon die Gelegenheit, als 20-Jähriger eine G-Klasse zu fahren, wenn man nicht Rap-Star ist?
2017: G 650 Landaulet
Mit V12-Motor, Portalachsen, elektrischem Stoffverdeck und einer exklusiven Ausstattung im Fond-Abteil erfüllte der auf 99 Fahrzeuge limitierte Mercedes-Maybach G 650 Landaulet die Erwartungen von Kunden mit allerhöchsten Ansprüchen.
2018: Die total neue G-Klasse
Auf der North American International Auto Show in Detroit feierte die neue G-Klasse Weltpremiere. Mit unverkennbaren Exterieur und neuem Interieur. Onroad gab es nun alle moderne Assistenzsystemen, gepaart mit herausragenden Fahreigenschaften und höchster Sicherheit. Offroad-technisch übertraf sich die G-Klasse selbst: das neue Fahrwerk, die Fahrprogramme Dynamic Select, der „G Mode“ und drei 100-prozentige Differenzialsperren.
2019: Stronger than Time
2019 wurde die G-Klasse 40 Jahre alt. Mercedes feiert seine Gelände-Ikone mit drei Sondermodellen. Und einem eigenen Offroad-Experience Park in Graz, der mehr Spass macht als ein Tag im Europark. Passend dazu heisst die Sonderedition zum 40. Geburtstag “Stronger than Time”. Es gibt sie in drei Ausführungsvarianten, exklusiv auch als 400 D mit Reihen-Sechszylinder-Motor.
2023: Halbe Million G-Modelle
Bis dato hat sich die G-Klasse über 500’000 Mal verkauft. Und das war erst der Anfang. Oder wie es Dr. Gunnar Güthenke, Leiter Geländewagen bei Mercedes-Benz, sagte: “Für die G-Klasse geht es jetzt erst richtig los.” Dabei handelt es sich jetzt schon um die am längsten gebaute Pkw-Modellreihe von Mercedes-Benz.
2024: Die G-Klasse wird elektrisch
Auch wenn man es dem Mercedes-Benz G 580 EQ optisch nicht ansieht, ja nicht mal die Nomenklatur es erahnen lässt, ist der G 580 die erste vollelektrische G-Klasse von Mercedes-Benz. Drei Tonnen schwer wird der Offroad-Schrank, der in der untersten Schublade ein 116 kWh Elektropaket hat, das im Leiterrahmen integriert ist und von einem speziellen Unterbodenschutz vor Schäden bewahrt wird. Bis 473 Kilometer weit reicht der Akku gemäss Hersteller – natürlich nicht im Gelände. Das verrückteste neue Feature aber ist der «G-Turn», der über eine Wippe am Lenkrad aktiviert wird. Dann wird die G-Klasse zum sich drehenden Glücksrad. Ohne Lenkeinschlag, nur durch die gegenläufig rotierenden Räder, macht die G-Klasse eine Panzerdrehung und kreiselt auf der Stelle.
Es gibt wohl kein anderes Serienfahrzeug auf der Welt, bei deren Produktionsstrasse sowohl Militär-Fahrzeuge als auch Milliardär-Fahrzeuge hintereinander gefertigt werden. Das ist kein Widerspruch: Jede “G” ist anders und wird in Handarbeit gebaut. Bis zum heutigen Tag. Und wohl auch in den nächsten 45 Jahren.
Text: Jürg Zentner
Bilder: Mercedes-Benz