Vorgestellt 1972 in Washington

Heute vor 50 Jahren – Mercedes ESF 13

Mercedes-Benz stellt am 31. Mai 1972 auf der Fachmesse „Transpo 72“ in Washington, D.C., das Experimental-Sicherheits-Fahrzeug vor, kurz ESF 13. Auch wenn viele Sicherheitsfeatures nicht von Mercedes erfunden worden sind, passt dieses auffällige Auto mit Lösungen wie etwa dem Anti-Blockier-System ABS, Airbags für alle Passagiere, einem Scheinwerfersystem mit Halogenlicht sowie Parallelwischern für die Heckscheibe gut in die Zeit des "Sicherheitsfanatismus". Einige Dinge sind heute selbstverständlich, andere wiederum haben sich als Sackgasse erwiesen.

Veröffentlicht am 31.05.2022

Das ESF 13 gehört zu einem umfassenden Programm der Sicherheitsentwicklung von Mercedes-Benz in den 1970er-Jahren, in dessen Rahmen mehr als 30 solcher Innovationsträger für die Fahrzeugsicherheit entstehen.

 

Publikumspremiere auf der „Transpo 72“

Die „Transpo 72“, eine internationale Fachmesse für Mobilität, wird vom 27. Mai bis 4. Juni 1972 in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika ausgerichtet. Das deutsche Forschungsfahrzeug zur Verbesserung der Fahrzeugsicherheit ist Teil der dort eingebetteten „3rd International Safety Vehicle Conference“ (3. Internationale ESF-Konferenz) vom 30. Mai bis 2. Juni 1972. Eine öffentliche Ausstellung von zwölf ESF europäischer, japanischer und US-amerikanischer Hersteller begleitet die Sicherheitskonferenz.

Diese Schau gibt rund einer Million Besuchern aus aller Welt „einen faszinierenden Einblick in die Zukunft des sichereren Fahrens und der Fahrzeugsicherheit“ („a striking glimpse into the future of safer driving and vehicle safety“), wie es im Konferenzbericht von 1972 heisst. Der Bericht unterstreicht auch den Anspruch, dass die stark fokussierte Entwicklung der ESF für die Fahrzeugsicherheit „einen ‚Quantensprung‘ statt der üblichen Jahr-für-Jahr-, Schritt-für-Schritt-Evolution der Automobilindustrie“ („a ‚quantum jump‘ over the customary year-by-year, step-by-step evolution in the auto industry“) bringen soll.

 

Innovationsträger auf Basis von „Strich-Acht“ und SL

Das ESF 13 ist eine Weiterentwicklung des ESF 05, das Mercedes-Benz am 26. Oktober 1971 auf der 2. Internationalen ESF-Konferenz in Sindelfingen präsentiert hat. Erneut dient ein Mercedes-Benz 250 „Strich-Acht“ (W 114) als Basis, für das ESF 13 verwenden die Ingenieure ausserdem Teile des Sportwagens 350 SL (R 107). Schon optisch hebt sich das etwas futuristisch anmutende Experimental-Sicherheits-Fahrzeug deutlich von der erfolgreichen Limousine der oberen Mittelklasse ab. Technisch sind die Unterschiede noch grösser, denn die Liste der im ESF 13 integrierten Lösungen für die aktive und passive Sicherheit ist lang. 

Neben ABS, dem Halogenscheinwerfersystem, der Wisch-Waschanlagen für Frontscheinwerfer und Frontscheibe sowie der Parallelwischer für die Heckscheibe präsentieren die Ingenieure zahlreiche weitere Lösungen. Um die passive Sicherheit für Fahrzeuginsassen und auch Fussgänger weiter zu verbessern, sind verschiedene Bauteile mit geschäumten Komponenten verkleidet oder nachgiebig.

Auf den Vordersitzen gibt es Dreipunktsicherheitsgurte mit Gurtkraftbegrenzer, die sich beim Türschliessen automatisch anlegen. Zum Sicherheitslenkrad mit Pralltopf kommen Fahrer- und Beifahrerairbags sowie Airbags auch für die Fondpassagiere. Im Fond gibt es zudem Dreipunktsicherheitsgurte mit Gurtkraftbegrenzer und Aufrollautomatik. Während Fahrer- und Beifahrersitze über Kopfstützen verfügen, übernimmt diese Aufgabe im Fond ein neuartiges Auffangnetz.

Damit feiern im ESF 13 viele Technologien Premiere, die später auch ihren Weg in die Serie finden. So wird beispielsweise das Anti-Blockier-System ABS im Jahr 1978 in der S-Klasse der Baureihe 116 Serie, und der Fahrerairbag mit Gurtstraffer für den Beifahrer folgt 1981 in der S-Klasse der Baureihe 126.

 

Steckbrief: das Mercedes-Benz ESF 13:

- Rückhaltesysteme und weitere Details wie beim ESF 05
- Ausgelegt für Aufprallgeschwindigkeit bis 80 km/h
- Fünf Dreipunktgurte mit je drei Kraftbegrenzern, Gurte vorn selbst anlegend
- Fahrer- und Beifahrerairbag, zusätzlich je ein Airbag in den Rückenlehnen der Vordersitze für die aussen sitzenden Fondpassagiere


- V6-Versuchsmotor, um Verformungsraum vorn zu gewinnen
- Aufprallbereiche im Innenraum mit Polyurethanschaum gepolstert, insbesondere Türen, Säulen und Dachrahmen
- Elektrische Fensterheber statt Drehkurbeln in den Türen
- Leuchtenwischer, Leuchtweitenregelung, Heckscheiben-Parallelwischer
- Seitliche Begrenzungsleuchten, Heckleuchten mit Stillstandrelais und Kontrolleinrichtung
- Front- und Heckscheibe aus Verbundglas, geklebt
- Pedale mit abgerundetem Unterteil
- Bremse mit Anti-Blockier-System ABS
- Gesamtlänge 5235 Millimeter (550 Millimeter mehr als Serie)
- Vorbauverlängerung inklusive hydraulischer Pralldämpfer: 420 Millimeter
- Unterfahrbar angeordnete Stossfänger
- Leergewicht fahrfertig: 2100 Kilogramm (705 Kilogramm mehr als Serie)

Viele Features sind in heutigen Fahrzeugen selbstverständlich, zeigen sich allerdings nicht so auffällig wie am Experimentalfahrzeug. Damals äusserten Autofans schlimmste Bedenken, wenn tatsächlich solche "Plastikmonster" auf die Strassen kommen sollten. Glücklicherweise gibt es nur in den USA und nur für begrenzte Zeit übergrosse Stossfänger. Heute sind diese Prallelemente elegant in die Karosseriestruktur integriert – und in Wagenfarbe. 

Auch die Elektronik ermöglicht heute sehr viele Sicherheitskomponenten, die unsichtbar sind und sich nur im Bedarfsfall bemerkbar machen. 


Text: Stefan Fritschi und Mercedes-Benz
Fotos: Mercedes-Benz

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