Honda Civic e:HEV Test - Das Optimum
Man mag es kaum glauben, aber der Honda Civic ist bereits ein halbes Jahrhundert alt. Zum 50. Geburtstag präsentieren die Japaner die elfte Generation. Unser Test des Monats gibt Auskunft, wohin er sich nach so langer Zeit entwickelt hat.
Beim Honda Civic hat jeder ein anderes Bild vor Augen. Bereits 1972 erblickte er als Kleinwagen das Licht der japanischen Showrooms. Er hiess in seinem Heimatland noch «Cvcc», was auf den damals äusserst fortschrittlichen Schichtlademotor hinwies. Für den Export nannte sich der Kleine «Civic» – und dabei blieb es. In den folgenden Generationen durchlief er diverse Metamorphosen und Designeskapaden, die nicht immer gut ankamen, mit denen er aber sukzessive in die Kompaktklasse hineinwuchs. Das aktuelle Modell entwickelt sich sogar leicht darüber. Die jüngste, 2021 in Amerika, 2022 in Europa eingeführte Version – die 50 Jahre sind für die USA also nicht ganz korrekt – zeigt sich als sportlich hübsche fünftürige Coupé-Limousine eher unauffällig. Wäre unser Testwagen nicht in tristem Metallicweiss aussen und Schwarz innen konfiguriert, wäre er noch mehr ein Hingucker.
Obergrenze der Kompaktklasse
Gegenüber dem Vorgänger ist der Radstand um 3,5 Zentimeter gewachsen, der hintere Überhang ist um 2,0 Zentimeter geschrumpft. Die Länge hat mit 4,55 Metern zwar um 4,0 Zentimeter zugenommen, ist aber immer noch halbwegs kompakt. Trotz der leicht breiteren Spur bleibt die Gesamtbreite mit 1,8 Metern ohne Aussenspiegel unvera?ndert. Schmale Autos machen auf Bergsträsschen und beim Parkieren einfach mehr Spass. Die Gesamthöhe wurde leicht verringert, der höchste Punkt ist relativ weit vorn, was die Coupéoptik noch verstärkt. Und da gibt es erste Vorbehalte bezüglich des Raumangebots im Fond – und die müssen wir leider teilweise bestätigen.
Viel Bein-, wenig Kopffreiheit im Fond
Die Beinfreiheit ist ausgezeichnet, der Kopfraum jedoch für Grossgewachsene etwas knapp dimensioniert. Und für den Zustieg müssen lange Menschen den Kopf einziehen. Das liegt daran, dass die Heckklappenscharniere weit nach vorn gezogen wurden, was eine dicke Dachsäule verursacht. Aber dafür bekommt der Betrachter die niedrige Dachlinie als Wiedergutmachung.
Gehen wir gleich noch weiter in Richtung Heck. Die aus Kunststoff gefertigte Kofferraumklappe ist gross und breit. Aber der Ladeboden liegt sehr tief. Schwere Gepäckstücke müssen so über eine hohe Kante gehoben werden. Legt man die Rücksitzlehne um, wächst der Kofferraum zwar von 404 auf 1187 Liter, bildet aber eine Stufe und steigt nach vorne an. Mit knapp 400 Kilogramm ist die Zuladung recht begrenzt. Der Civic verfügt leider nicht über die tollen «Magic Seats» des HR-V, dafür aber über ein cleveres, seitlich befestigtes Rollo als Laderaumabdeckung.
Hochwertiges Cockpit
Dagegen ist die Welt auf den Vordersitzen wieder voll in Ordnung. Das Cockpit glänzt – im wahrsten Sinne des Wortes – mit sehr hübschen Ausströmergittern und handfesten Hebeln zur Verstellung des Luftstroms. Das Cockpitlayout ist sehr schlicht, sportlich und intuitiv. Die gesamte Klimabedienung über hochwertige Drehregler und Schalter sowie einige andere wichtige Funktionen wie etwa Sitz- und Lenkradheizung haben eigene Bedientasten.
Die Home- und Zurück-Tasten auf dem Zentralschirm sind physische Schalter mit fühl- und hörbarem «Klick» und auch das Radio wird über einen edlen Dreh-Drück-Schalter bedient. Die vorprogrammierten Sender sind über eine Lenkradtaste anwählbar, der nervige Spurhalteassistent kann sehr einfach und schnell abgeschaltet werden. Man muss nur die weniger wichtige Funktionen in Untermenüs suchen. So lässt es sich mit der Digitalisierung sehr gut leben.
Die Oberflächen sind liebevoll und hochwertig gestaltet. Sparanstrengungen sind kaum erkennbar. Auf der Mittelkonsole hat man explizit eine Oberfläche gewählt, die keine Fingerabdrücke zurücklässt: sehr lobenswert! Wir wünschten uns allerdings etwas mehr Farbe oder wenigstens ein paar bunte Akzente. Die Sitze überzeugen mit vielfältigen Verstellmöglichkeiten, prima Seitenhalt und ausgezeichneten Langstreckeneigenschaften. Die Motorhaube ist sehr niedrig, was – zumindest nach vorn – für sehr gute Übersichtlichkeit sorgt.
Innovatives Antriebskonzept
Honda hat für seine Hybriden ein serielles System gewählt, das aus einem Zweiliter-Vierzylinder mit Atkinson-Zyklus sowie zwei Elektromotoren besteht. In der Stadt fährt das Fahrzeug überwiegend rein elektrisch, bei höherer Leistungsanforderung im Hybridbetrieb. Dabei werden die vorderen Räder weiterhin über den E-Motor angetrieben, während der Ottomotor die dafür benötigte elektrische Leistung über einen zweiten Elektromotor erzeugt.
Bei konstanter Leistungsabnahme oder hohen Geschwindigkeiten, etwa auf der Autobahn, schaltet das System auf Benziner-Direktantrieb. Ein Getriebe gibt es nicht. Bei noch höherem Leistungsbedarf im Bereich der Höchstgeschwindigkeit von leider nur 180 km/h wechselt das System wieder zurück in den Hybridmodus. In allen Fahrmodi wird rekuperiert. Mit dem Lenkradpaddel kann die Rekuperation in vier Stufen eingestellt werden – fast bis zur Ein-Pedal-Bedienung.
Der Antrieb ist hervorragend abgestimmt
Das hört sich alles kompliziert an, funktioniert aber in der Praxis perfekt. Und wir sind wirklich überrascht! Warum? Im Honda HR-V, den wir in ai 11/2021 getestet haben, hat uns das System total enttäuscht, weil es sich wie ein CVT-Getriebe anfühlte. Heisst: unwirklich hohe Drehzahlen, Gummibandeffekt und dergleichen.
Im Civic ist kaum etwas davon zu merken. Von einem Soundgenerator unterstützt schaltet der Motor die künstlichen Schaltstufen rauf und runter wie ein Wandlerautomat. Ein Aufheulen bei Autobahneinfahrten oder beim Beschleunigen am Berg gibt es recht selten – oder wenigstens nicht öfter als bei Automatikgetrieben. Besonders viel Spass macht die «Kurvensteuerung», eine Programmierung, die verhindert, dass beim Anfahren von Kurven der Motor ausgeht und die Leistung gedrosselt wird. So bleibt er aktiv und ist beim Kurvenausgang sofort wieder präsent – ganz ohne Turboloch.
Harmonisches Fahrwerk
Die vier Fahrmodi Eco, Normal, Sport und Individual beeinflussen Anzeigen, Motorsteuerung und Lenkung. Letztere ist in allen Einstellungen ziemlich präzise und rückmeldefreudig. Federung und Dämpfung sind sehr harmonisch abgestimmt, wobei die 18-Zoll-Räder leicht hart abrollen und kleine Unebenheiten mitteilen. Die sehr neutrale und auf Sicherheit bedachte Auslegung erlaubt es, Kurven auch mal etwas sportlicher zu nehmen – trotz ausgeprägter Kopflastigkeit.
Schnell und sparsam
Die Fahrleistungen sind sportlich. Der Zweiliter-Saugmotor ist zwar von Haus aus mit seinen 143 PS und 186 Nm nicht gerade überzüchtet, aber er ist ja nicht die Hauptantriebsquelle, sondern der Elektromotor mit 184 PS und 315 Nm. Eine Systemleistung gibt Honda nicht an, aber eine Beschleunigungszeit von 7,8 Sekunden auf 100 km/h ist für den 1,5-Tonner bereits prima, aber wir schafften es in 7,1, dann in 6,7 und schliesslich in sensationellen 6,6 Sekunden.
Auch die Bremsen packen mit einem ausgezeichneten Wert von 33,2 Metern von 100 auf 0 km/h ausgezeichnet zu. Unser Testverbrauch von 5,3 l/100 km liegt nur 0,3 Liter über der Werksangabe von 5,0 Litern. Wer rein elektrisch fahren will, muss nichts machen, nur das Gaspedal behutsam drücken, sodass sich der Benziner nicht zuschaltet. Ein E-Modus könnte hier gute Dienste leisten.
Ausgezeichnetes Preis-Leistungs-Verhältnis
Ein Blick auf die Preisliste ist sehr erfreulich. Honda bietet den Civic in der Schweiz ausschliesslich als Fünftürer und mit der getesteten Hybridmotorisierung, jedoch in drei Ausstattungsstufen an. Der R-Type folgt im Herbst. Die Basisausstattung Elegance startet angesichts der kompletten Ausstattung bei recht günstigen 35 990 Franken, unser Advance-Topmodell bei 40 990 Franken.
Die Aufpreislisten sind sehr kurz, allenfalls kosten Felgen, Deko-Optionen oder Metallicfarben Aufpreis. Leider ist die Auswahl von nur fünf Aussenlacken etwas klein. Und auch ein helles Interieur kann nicht angekreuzt werden. Dafür sind in unserem Testwagen Luxusaccessoires wie Echtlederausstattung oder Doppelglasschiebedach bereits inbegriffen. Das ist alles andere als Kompaktklasse. Der Civic will nach oben, und dort ist er mit der jüngsten Generation angekommen.
Fazit
Der Honda Civic bietet innen und aussen eine sportliche Optik und fährt sich auch so. Das Hybridsystem ist mittlerweile zur Perfektion ausgereift. Dabei bleibt der Civic trotz hochwertiger und vollständiger Ausstattung recht preiswert. Und weil die Designexperimente jetzt auch vorbei sind, dürfte er wieder mehr Menschen ansprechen, die à tout prix kein SUV fahren wollen.
Text: Stefan Fritschi
Bilder: auto illustrierte