Einzelkämpfer auf Achse
In der Rolle als Passagier kennen die meisten den Fahrdienst Uber. Doch wie sieht es hinter den Kulissen aus? Was für Leute sind es, die für Uber fahren? Was sind ihre Beweggründe, was macht ihnen Spass und was bereitet ihnen Mühe? Bitte einsteigen und Platz nehmen!
Es ist spät, und der nächste Zug fährt erst in einer Stunde. Versehentlich wurden aus einem Glas Wein vier, oder man will sich nach einem harten Arbeitstag einfach etwas gönnen. Die Gründe, ein Uber zu bestellen, sind vielfältig. Als passionierter Autofahrer, wie ich einer bin, beginnen auf der Uber-Rückbank die Gedanken zu kreisen. Ein bisschen Autofahren, dabei interessante Gespräche führen und ohne stressenden Chef im Nacken lockeres Geld verdienen – eigentlich wäre Uber-Fahrer der perfekte Nebenjob für mich! Gesagt, getan, innert kürzester Zeit informiere ich mich über die Webseite des Fahrdienstanbieters über die Anforderungen. Dabei werden zwei Dinge klar: Erstens habe ich etwas Fundamentales verpasst, und zweitens ist es keineswegs eine Sache von einer halben Stunde, Uber-Fahrer zu werden.
Lizenz vonnöten
Als Uber in der Schweiz seine Arbeit im Juli 2013 in Zürich aufnahm, durfte tatsächlich jeder jeden chauffieren. Der Dienst hiess Uber Pop und brachte das Taxigewerbe in Rage. Mit Kampfpreisen bedrohte der als Eindringling bezeichnete Fahrdienstleister ein ganzes Gewerbe. Die Hauptkritik war, dass die Uber-Pop-Fahrer ohne die Lizenz für berufsmässigen Personentransport unterwegs sind und somit keinen professionellen Service bieten können. Das wäre, als würde man von heute auf morgen als Automechaniker einsteigen, einfach weil man gerne an Autos schraubt.
Selbst die Polizei schaute dem Treiben nicht tatenlos zu. Wer in der Schweiz beruflich Leute transportiert, muss nicht nur die Taxiprüfung B 121 absolvieren, sondern zusätzlich sein Auto beim Strassenverkehrsamt für die Personenbeförderung anmelden. Das hat zur Folge, dass auf eigene Kosten ein Fahrtenschreiber zur Überwachung der Lenk- und Ruhezeiten eingebaut wird. Ausserdem muss das
Auto jährlich einer strengeren MFK unterzogen werden.
Fahrtenschreiber? Kontrolle? Prüfung? Bei Uber-Pop-Fahrer nicht die Bohne. Deshalb wurden mehrere Fahrer von der Polizei gebüsst, wenn sie die erforderliche Lizenz nicht vorweisen konnten. Zudem machte das Taxigewerbe ordentlich Druck, damit der umstrittene Pop-Dienst verbannt wird. Mit Erfolg: Seit Juni 2018 wird schweizweit UberX als Einstieg angeboten. Die rund 3200 aktiven Fahrer in den Städten Zürich, Genf, Basel, Lausanne und Luzern, wo Uber operiert, korrespondieren jetzt also mit dem Gesetz. Im Klartext heisst dies jedoch: Will ich Uber-Partner werden, muss ich die Taxiprüfung absolvieren und mein Auto umrüsten lassen. Das erfordert Zeit und rund 2000 Franken an Investitionen. So schnell wird aus mir leider doch kein Uber-Fahrer!
Das Kind im Zentrum
Damit ich nicht wie der Ochs vorm neuen Tor stehe und trotzdem Uber-Luft schnuppern kann, habe ich mich mit sechs Uber-Fahrern zum Gespräch getroffen. Mich interessiert vor allem, weshalb sie für Uber fahren, wie sie eingestiegen sind und was sie bislang erlebt haben. Den Anfang macht Hakan Basar, ein junger, ruhiger Typ. Für ihn ist der Fahrdienst vor allem Mittel zum Zweck: «Ich bin Vater eines kleinen Kindes. Durch Uber ist es mir möglich, tagsüber beim Kind zu sein, während meine Frau arbeitet. So kann ich mir meine Arbeitszeit abends selber einteilen», erklärt der 28-Jährige seine Motivation. Er ist seit zehn Monaten Vollzeit-UberFahrer – aber das ist nur eine vorübergehende Lösung. Demnächst will er wieder auf Jobsuche gehen, da er bei Uber sozial nicht abgesichert ist. «Da ich temporär unterwegs bin, stört es mich nicht. Die verpassten Versicherungsbeiträge kann ich später immer noch nachzahlen», sagt der Türke lapidar. Für ihn zählt vor allem die Selbstständigkeit. Dass er schnell bei Uber starten konnte, verdankt er einer Laune: «Die Taxiprüfung besass ich bereits. Ich hatte sie aus Lust und Laune gemacht, noch bevor ich Uber kannte.» Der ehemalige DHL-Kurierfahrer wusste einfach, dass er in diesem Business bleiben wird, und da könne der Taxischein nicht schaden, gibt er zu Protokoll.
Das Beste aus zwei Welten
Bei Jeton Maliqi ist die treibende Kraft eine andere. Seit
April letzten Jahres führt er ein eigenes Taxiunternehmen in Schlieren. Als offizielles Landtaxi darf er aber nur Gäste in oder aus der Stadt fahren. Es ist ihm untersagt, Fahrgäste innerhalb der Stadt zu befördern. So will es das Taxigesetz der Stadt Zürich. Dieses kann er aber völlig legal umgehen, indem er in der Stadt das Taxischild vom Dach entfernt und für Uber fährt. Durch dieses Schlupfloch operiert er überall und minimiert Leerfahrten.«Ich kann also einen meiner Kunden als Taxi in die Stadt fahren und in der Stadt solange für Uber unterwegs sein, bis mich wieder einer meiner Kunden anruft», erklärt der 41-Jährige sein Geschäftsmodell. Positiver Nebeneffekt: Da sein Auto mit seinem Taxi-Unternehmen gebrandet ist, kann er während seiner Uber-Einsätze hin und wieder neue Kunden für sich gewinnen. Clever!
Die etwas andere Frühpensionierung
Dass das Gastgewerbe nichts für Zartbesaitete ist, hat Norbert Gloor am eigenen Leib erfahren. Der 62-Jährige hat fast 40 Jahre lang gewirtet. Seinem Strahlen ist anzusehen, dass er kein einziges Jahr davon misst. Doch dann legt sich seine Stirn in Falten: «Das Umfeld und der Verdienst sind im Laufe der Zeit immer schwieriger geworden. Dazu kommt, dass man anfangs 60 langsam die körperlichen Leistungsgrenzen zu spüren bekommt. Ich habe gemerkt, dass diese langen und harten Arbeitstage nichts mehr für mich sind.» Die Taxiprüfung hat der Ex-Wirt bereits anfangs 20 gemacht, einfach «im Falle eines Falles, weil man nie weiss, wie einem das Leben spielt». Das zahlt sich jetzt, fast 40 Jahre später, aus, als Norbert auf Uber aufmerksam wurde. «Die ursprüngliche Idee war, dass ich bis zu meiner offiziellen Pensionierung gelegentlich für Uber fahre. Doch es hat mich komplett gepackt! Jetzt fahre ich zu 100 Prozent für den Anbieter und liebe es!», strahlt er. So machte er zum zweiten Mal sein Hobby zum Beruf.
Mittel gegen die Langeweile
Für den Pensionär Fredy Weber ist Uber ein passables Mittel gegen die Langeweile. Ausserdem kann er sich so einen netten Zustupf verdienen. «An-
gefangen habe ich vor etwas über zwei Jahren – damals noch mit Uber Pop. Ich konnte einfach nicht nichtstuend zu Hause sitzen», erklärt der 66-Jährige. Kurz nachdem er anfing, wurde Uber Pop eingestellt. Doch Fredy gab nicht klein bei, sondern absolvierte im Alter von 64 Jahren noch die Taxiprüfung. Im Gegensatz zu den bereits vorgestellten Fahrern führt der ehemalige Druckerei-Besitzer die Uber-Beschäftigung als Nebentätigkeit aus, da er zusammen mit seiner Rente mit
den Uber-Fahrten kein volles Einkommen generieren muss.
Der Abend-Fahrer
Leonardo Costanzo nutzt Uber ebenfalls nur nebenberuflich, hauptsächlich abends und am Wochenende, weil dann am meisten Betrieb herrsche, wie der 45-Jährige erklärt. Als Vertragsfahrer bei der Post, wo der Italiener zu 50 Prozent angestellt ist, kann er seine
Arbeitszeit selber einteilen – perfekte Voraussetzungen, um nebenbei für Uber zu fahren. Und die Taxiprüfung hatte Leonardo durch die frühere Tätigkeit als Bus-Chauffeur bereits in der Tasche.
Leonardo macht es sichtlich Spass, am Wochenende als Uber-Fahrer unterwegs zu sein. «Da erlebst du alles Mögliche im Auto: fummelnde Pärchen, Fahrgäste, die mich mit in den Ausgang ziehen, sowie Touristen, die sich gut gelaunt in das Stadtgetümmel stürzen wollen. Da fährst du gerne bis tief in die Nacht!»
Eine Klasse für sich
Ein Phänomen und in Uber-Kreisen fast schon eine Legende ist Roland Erichsen. Der 65-Jährige hat sich im Alter nach praktisch lebenslanger Selbstständigkeit frühpensionieren lassen und ist, ähnlich wie Fredy, auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung auf Uber aufmerksam geworden. Anschliessend hat es ihn direkt gepackt und es ist eine Leidenschaft für den Mentaltrainer geworden. Heute ist er schweizweit der erste und einzige 5-Sterne-Uberfahrer – heisst, er hat 500 Fahrten hintereinander mit der Maximalbewertung durchgeführt! Das erregt natürlich Aufmerksamkeit. Von Uber Schweiz wurde er zwecks eines Imagefilms angefragt und von Volvo als Markenbotschafter engagiert. Dadurch profitiert er von einem V90 PHEV, den er gestellt bekommt, und berichtet dafür regelmässig auf dem Volvo-Blog von seinen Uber-Erlebnissen. Und die sind teils kurios und vielfältig. So vielfältig, dass er sie im Buch «Über Uber – ein 5-Sterne-Fahrer erzählt», welches auch auf Englisch übersetzt worden ist, festgehalten hat!
Mittendrin, statt nur dabei
Erzählungen sind das eine, doch ich will hautnah miterleben, wie es im Uber-Taxi als Fahrer zu und her geht. Darum setze ich mich bei Hakan und Roland ins Auto. Der prominente Uber-Fahrer macht den Anfang. Die vormittägliche Fahrt führt von der Redaktion nach Zürich – auf der Suche nach Fahrgästen. «Am späteren Vormittag ist es eher ruhig, normalerweise fahre ich um diese Zeit nicht mehr. Dafür war ich heute am frühen Morgen bereits im Einsatz und habe unter anderem eine Stammkundin zum Flughafen gefahren», erzählt der passionierte Fahrer gut gelaunt. Wie bitte? Stammkunden mit Uber? Auf meine perplexe Frage antwortet er gelassen, dass «ich durch meine Tätigkeit als Uber-Fahrer mit einigen Fahrgästen die Handynummer ausgetauscht habe, damit diese mich als Fahrer bestellen können. Mittlerweile fahre ich bis zu 20 Stammkunden pro Woche. Fast ist es mir schon zu viel», schmunzelt er!
Doch jetzt wird es ernst. Ein Auftrag wartet am Hauptbahnhof auf ihn. Bei der Abholung zeigt sich, dass es sich um ein ausländisches Paar handelt. Routiniert fährt Roland den Wagen an den Strassenrand, stellt den Motor ab, steigt aus, um die Gäste zu begrüssen, und nimmt ihnen das Gepäck ab. Das macht er immer so. Seiner Meinung nach gehört sich das einfach. Gekonnt und locker beginnt er auf Englisch Small Talk zu führen. Wie sich herausstellt, stammt das Paar aus Saudi-Arabien und ist momentan in Europa in den Flitterwochen! Die Fahrt zur Autovermietung ist kurz, trotzdem bringt der charismatische Fahrer das Paar zum Staunen, als er ihnen eine englische Ausgabe des Buches in die Hand drückt. Die Gäste fühlen sich geehrt, mit ihm mitfahren zu dürfen. Weiter erkundigen sie sich nach möglichen Ausflugszielen, um etwas Schnee zu Gesicht zu bekommen. Dankbar für das Buch und die Tipps steigen sie am Ziel aus.
«Ich hatte nie vor, mit Uber Karriere zu machen. Was für mich zählt, ist die Leidenschaft bei der Arbeit.»
Servicekultur im Auto
Anschliessend fährt Roland zurück in eine schmale Strasse in der Nähe des Hauptbahnhofs. Aufgrund der zentralen Lage dauert es seiner Aussage nach nie lange, bis ein weiterer Auftrag eintrudelt. Währenddessen erläutert er mir seine Grundwerte: «Ob ein Gast Lust auf Small Talk hat oder nicht, sehe ich ihm innert weniger Sekunden an. Entsprechend verhalte ich mich dann.» Ausserdem passe er die Musik im Auto ebenfalls der Klientel an. Von Jazzmusik über klassische Musik bis hin zu entspannter Hintergrundmusik und Partybeats hat er alles auf Lager. Für Touristen, die auf dem Heimweg in Richtung Flughafen sind, hat er ein besonderes Zückerchen auf Lager: «Mit ihnen führe ich hin und wieder eine Abschiedsfahrt durch Zürich durch – natürlich ohne Verrechnung. Nachher fahre ich sie zum Flughafen und stelle den Song ‹Time to say goodbye› ein. Viele Touristen müssen dann voller Wehmut mit den Tränen kämpfen!»
Schliesslich poppt ein weiterer Auftrag auf, den Roland voller Freude annimmt. Am Zielort angekommen, warten drei Herren mit Aktenkoffern auf ihn – offensichtlich Geschäftsreisende. Auch hier kommt Roland schnell mit ihnen ins Gespräch, und wie sich zeigt, stammen die Gäste aus Kanada. Einer von ihnen ist voll des Lobes für Uber in der Schweiz und natürlich für Roland. Hier fühle er sich wirklich in die Obhut des Fahrers genommen und bekommt mehr als nur den reinen Transport von A nach B. In Kanada ist die Servicekultur bei Weitem nicht so ausgeprägt wie hier, ausserdem seien die Fahrer weniger freundlich und die Autos schmuddeliger. So hinterlässt Roland auch bei den Business-Leuten einen hervorragenden Eindruck. Dass die Gäste die Fahrten mit ihm schätzen, spiegelt sich auch im Trinkgeld wider. «Pro Monat erhalte ich 450 bis 600 Franken, das ist dann quasi wie ein 13. Monatslohn», zieht der 5-Sterne-Fahrer Bilanz. Von ihm chauffiert zu werden, ist definitiv ein Erlebnis!
Die echte Welt
Einen anderen Einblick gibt mir Hakan, der Uber im Gegensatz zu Roland – wenn auch nur vorübergehend – tatsächlich zum Leben braucht und nicht nur als Hobby betrachtet. Ihn begleite ich abends, als er gegen Ende der Rushhour aus dem Stadtzentrum in Richtung Oerlikon fährt – immer auf der Suche nach Fahrgästen. Als allerdings nach über 20 Minuten immer noch kein Auftrag eingegangen ist, wird er ratlos. «Das ist komisch. Um diese Zeit sollte die Wartezeit eigentlich nicht so lang sein. Doch den Algorithmus, wann die App einem wie viele Aufträge zuteilt, werde ich wohl nie durchschauen können», meint er schulterzuckend. Um nicht weiter unnötige und vor allem kostende Leerkilometer zu fahren, halten wir an einer Tankstelle, wo er einen Kaffee trinkt und eine Zigarette raucht. Die App ist in der Zwischenzeit offline geschaltet.
Nach der kleinen Stärkung geht es dann gleich los mit der ersten Fahrt: Ein französisch sprechender Geschäftsmann wartet auf uns. Da sein Ziel nur rund 2,5 Kilometer entfernt ist und er einen ziemlich hektischen Eindruck macht, verzichtet Hakan auf den Versuch, ein Gespräch aufzubauen. Die Stimmung im Auto ist zwar nicht angespannt, aber wesentlich nüchterner als noch am Vormittag, als Roland die Kunden geschickt in ein Gespräch verwickelte. Etwas lockerer wird es, als das Handy klingelt und er eine Kollegin und Stammkundin abholen muss. Somit halten wir vor einer Bar, bis die junge Frau ins Auto steigt. Sie ist Barkeeperin und fährt nach der Arbeit hin und wieder mit Uber nach Hause – gerne auch von Hakan, wenn er im Dienst ist. «Die paar Beziehungen mit Stammgästen, die ich führe, sind für meinen Umsatz enorm wichtig», kommentiert er.
Apropos, Umsatz: Nach Beendigung des kameradschaftlichen Auftrags meldet die Uber-App einen Auftrag, bei dem der Fahrgast nach Wollerau gefahren werden möchte – eine lukrative Fahrt, die Hakan sichtlich freut. Während der knapp 20-minütigen Fahrt unterhalten sich Hakan und Fahrgast Gian angeregt über Uber und Letzterer wird ordentlich aufgeklärt. So wusste er weder darüber Bescheid, dass die Uber-Fahrer eine Lizenz brauchen, noch, dass sie sich selber sozial absichern müssen, da Uber keine Sozialleistungen bezahlt. Eine aufklärende Fahrt, die Gian etwas mehr als 60 Franken kostet, wovon nach Abzug der Provision von 27,2 Prozent seitens Uber 42 Franken an Haken gehen. Als Vollzeit-Uber-Fahrer ist es zwar möglich, über 6000 Franken zuzüglich Trinkgeld im Monat zu verdienen. Allerdings müssen mit diesem Geld auch die Unterhaltskosten des Autos sowie die Sozialversicherungen bezahlt werden. Hakan muss jetzt leer zurück nach Zürich fahren, wo er mich gegen 22 Uhr auslädt. Für ihn ist der Abend jedoch noch lange nicht vorbei: «Ich bin sicher noch vier bis fünf Stunden im Einsatz», sagt er und fährt in die Nacht davon, um sich um den nächsten Auftrag zu kümmern.
Text: Koray Adigüzel
Der durchschnittliche Verdienst eines selbständigen Fahrers mit der Uber-App in der Schweiz ohne Trinkgeld und nach Abzug der Servicegebühr beträgt 26,81 CHF pro Stunde.