

1200 Kilometer – kein Kabel in Sicht
Für Mercedes ist dieser Test ein Statement: als Erfinder des Automobils will er auch die Zukunft der Elektromobilität aktiv mitgestalten. Und unter uns gesagt, kann die Festkörperbatterietechnik noch zum ganz heissen Eisen mutieren.
Mercedes-Benz macht aktuell gerade viel mit merkwürdiger Optik Schlagzeilen. Dass die Jungs bei allem Show und Shine nicht (ganz) vergessen haben, dass nur ordentliche Technik zählt, geht leider fast ein wenig unter. Denn die Stuttgarter haben mal gezeigt, wie sich Zukunft anfühlt. Ein EQS mit Festkörperbatterie rollte von Stuttgart bis nach Malmö – 1205 Kilometer am Stück ohne auch nur einmal an die Ladesäule zu müssen. Und das Beste: Am Ziel standen immer noch 137 Kilometer Restreichweite auf der Uhr. Zum Vergleich: Das Vision EQXX hatte mit viel PR-Begleitung eine ähnliche Distanz geschafft, aber in erster Linie als Showcar. Diesmal war es ein alltagstauglicher EQS, nur leicht modifiziert.
Der grosse Unterschied steckt im Herzen des Autos – der Batterie. Klassische Lithium-Ionen-Akkus nutzen flüssige Elektrolyte, die chemisch zwar effektiv, aber auch sensibel und brandanfällig sind. Und wenn eine Batterie mal brennt, brennt sie richtig, fragen Sie doch mal Ihre örtliche Feuerwehr wie man sowas löscht... Festkörperbatterien ersetzen diesen Teil durch einen festen Elektrolyten. Das bringt gleich mehrere Vorteile: mehr Sicherheit, weil nichts auslaufen oder überhitzen kann und eine deutlich höhere Energiedichte. Einfach gesagt: mehr Kilometer pro Bauraum.
Ein Mouli
Im EQS-Testwagen kam eine Lithium-Metall-Festkörperbatterie zum Einsatz, deren Zellen vom US-Partner Factorial Energy stammen. Mercedes liess die Architektur in Zusammenarbeit mit AMG High Performance Powertrains in Brixworth entwickeln – also genau dort, wo normalerweise Formel-1-Motoren gebaut werden. Herausgekommen ist eine Batterie, die 25 Prozent mehr nutzbare Energie bietet als der Standardakku, dabei aber weder schwerer noch grösser ist. Möglich machen das technische Kniffe wie pneumatische Aktuatoren, die das Auf- und Abschwellen der Zellen beim Laden und Entladen ausgleichen. Damit bleibt der Kontakt im Inneren stabil – eine der grössten Hürden bei dieser Technologie. Gekühlt wird übrigens nicht mit aufwendigen Flüssigsystemen, sondern ganz simpel über Luftströmung, wie bei einer Piaggio Ciao. Auch das spart Gewicht und steigert die Effizienz.
Was bleibt
Das Ergebnis der Fahrt ist deshalb für uns mehr als nur eine schöne Schlagzeile. Es zeigt, dass Festkörperbatterien nicht nur im Labor glänzen, sondern auch auf der Autobahn. 1205 Kilometer am Stück – das sind Reichweiten, die bislang nur Dieseln oder Langstrecken-Benzinern vorbehalten waren. Auch wenn diese auch nur mit schüchternem Stromfuss bewegt wurden, aber egal. Gleichzeitig bedeutet die Technologie auch Potenzial für deutlich kürzere Ladezeiten, weniger Komplexität, längere Lebensdauer und mehr Sicherheit. Mercedes spricht von einem «Gamechanger» – und in diesem Fall müssen wir den Jungs für einmal Recht geben: das ist keine Übertreibung, die Festkörperbatterie ist der ganz heisse Sh...
Auf was warten wir denn noch
Natürlich bleibt es noch ein Experiment. Die Massenproduktion solcher Batterien ist ziemlich komplex, ziemlich teuer und technisch ziemlich anspruchsvoll. Neue Fertigungsmethoden müssen etabliert werden und die Skalierung auf Hunderttausende Fahrzeuge ist eine ganz andere Hausnummer als ein eine massgefertigte Prototyp-Batterie. Doch Mercedes will bis Ende des Jahrzehnts so weit sein. Sollte das gelingen, wäre der Ladehalt an der Raststätte nicht mehr alle paar hundert Kilometer nötig, sondern vielleicht nur noch so selten wie ein Tankstopp heute und genau das könnte das Hauptproblem, die Reichweitenangst vieler Autofahrer endgültig beenden.
Dieser Ansicht ist natürlich nicht nur Mercedes. Auch Stellantis mit seinen 69,5 Marken setzt bei der Festkörperbatterie an und wer weiss, vielleicht reden wir in ein paar Jahren über die Festkörperbatterie so selbstverständlich wie heute über den Sicherheitsgurt.
Text: GAT
Bilder: Mercedes-Benz