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Sbarro - Kunst am Automobil

Der Autobau widmet dem Lebenswerk von Franco Sbarro eine Sonderausstellung. Beim Lokaltermin in Romanshorn parkierte der orange Sbarro «Autobau» vor der Halle, der Zündschlüssel steckte. Da konnten wir nicht widerstehen. Er erklärt das Phänomen Sbarro wie von selbst.

Veröffentlicht am 05.03.2023

Als Hommage an 40 Jahre Renngeschichte seines Freundes Fredy Lienhard kreierte Franco Sbarro im Jahr 2009 den Sbarro «Autobau». Dieses nur einmal gebaute Concept-Car in Leuchtorange und mit einer Silhouette, die in einem einzigen Bogen von der Front ins Heck läuft, war eines der Highlights am Genfer Salon 2010. Auf der Basis eines Zwölfzylinders aus dem Ferrari 456 schuf Sbarro den Zweiplätzer in rund achtmonatiger Arbeit.

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Die ultraniedrige Karosserie ist aus Polyester-Composite gegossen. Motor und Getriebe sind tragende Teile des Rohrrahmenchassis, einer Sbarro-Konstruktion aus Rund- und Profilrohren. Die ausgewogene Gewichtsverteilung verleiht dem Fahrzeug aussergewöhnliche Fahreigenschaften. Besonders die futuristische Türkonstruktion, bei der Frontscheibe, Dach und Seitenscheiben in einem Stück angehoben werden, stellte hohe technische Anforderungen an den Aufbau des Chassis, genauso wie die exquisite und luxuriöse Gestaltung des Cockpits. Bilder sagen mehr als tausend Worte. Viel wichtiger ist daher eine andere Frage: Wer ist eigentlich der kreative Geist hinter dieser einmaligen Konstruktion?

Frühkindliche Prägung

Am 27. Februar 1939 wird Franco Zefferino Sbarro in Presicce in der Provinz Lecce in Italien geboren. Er ist der Jüngste der Bauernfamilie. Bereits von Kindesbeinen an interessiert er sich mehr für Mechanik und Technik als für die Dinge, die sonst so auf einem Bauernhof passieren. Doch die Armut ist damals in Süditalien noch gross, die Wirtschaft hat mit den Folgen des Zweiten Weltkriegs zu kämpfen. Ein Auto oder Motorrad ist derart selten, dass es vorher angekündigt wird. Alle stehen am Strassenrand, mit dabei auch Franco Sbarro.

Diese Begeisterung für Geschwindigkeit und Motorengeräusche sind die Ursachen, warum klein Franco schon sehr früh begeistert ist von Autos und Motorrädern. Denn in die Wiege gelegt wird ihm diese Leidenschaft keineswegs. Die Familie besitzt nur ein kleines Pferd. Die Jungs haben ein Fahrrad, das sie mit den Nachbarskindern teilen müssen. Nach der Grundschule geht Sbarro in die Provinzhauptstadt Lecce, wo er am Gymnasium die Matura macht. Sein weiterer Weg ist bekannt und mittlerweile zur Legende geworden: Nur mit einem Bahnbillet einfach im Gepäck und einer grossen Leidenschaft für Autos im Herzen reist der junge Franco Sbarro 1957 im Zug in die Schweiz.

«Gastarbeiter» in der Schweiz

Die Schweiz ist in den 1950er-Jahren dank gut bezahlter Arbeitsplätze eine Art Amerika für die Süditaliener, die als Saisonniers und Gastarbeiter in unser Land strömen. Auch der junge Sbarro emigriert daher in die Schweiz. Sein erster Arbeitsplatz wird eine Werkzeugfabrik für die Uhrenindustrie in Les Geneveys-sur-Coffrane im Kanton Neuenburg. Doch bereits ein Jahr später erlebt Sbarro die Krise der Schweizer Uhrenindustrie am eigenen Leib: Er wird entlassen. Danach arbeitet er als Mechaniker in verschiedenen Garagen der Umgebung. In der BMW-Werkstatt in Yverdon lernt er Graf Herbert de Caboga kennen.

Dieser stellt ihm seinen Capo vor, den Rennstallbesitzer Georges Filipinetti, ein Genfer Unternehmer, Ferrari-Generalimporteur sowie Botschafter von San Marino bei den Vereinten Nationen in Genf. Er macht Sbarro 1963 zum Chefmechaniker. Die Ecurie Filipinetti geniesst Weltruf. Ihre Fahrer sind Koryphäen wie Jo Siffert, Herbert Müller oder Jo Bonnier. Franco Sbarro erzählt: «Noch heute wird mein Name mit der Ecurie Filipinetti verbunden. Als Werkstatt diente ein Schuppen unterhalb vom Schloss, ohne Heizung, Wasser oder Strom. Eigentlich musste ich die Arbeiten bei Kälte, Regen und Schnee auf dem Kiesplatz im Schlosshof verrichten. Abends brachte ich die Autos wieder in die Scheune und in die Lastwagen. Wenn ich eine dritte Hand brauchte, rief ich die Nachbarskinder, die ich dann mit Schokolade bezahlte.»

Geheimprojekt wird entdeckt

Das fünfte Rennen des Jahres zur Sportwagen Weltmeisterschaft 1965 findet am 25. April in Monza statt. Bei diesem 1000-Kilometer-Rennen erlebt Sbarro seinen Alptraum, als das Rennen durch den tödlichen Unfall des Schweizers Tommy Spychiger überschattet wird.  Franco Sbarro lässt sich durch diesen Schicksalsschlag nicht entmutigen und lernt mit dem Stress und den Gefahren im Rennsport umzugehen. In der Ecurie Filipinetti ist er allein für zwei Lastwagen, zwei Rennwagen und vier Piloten verantwortlich. Der junge Autovisionär baut zu dieser Zeit im Geheimen sein erstes Auto. Da macht Georges Filipinetti einen Überraschungsbesuch im Schlosshof, und Sbarros Projekt wird entdeckt. Filipinetti erlaubt ihm, am Prototyp unter der Bedingung, dass der Wagen seinen Namen trägt, weiterzuarbeiten. Auf diese Weise entstehen auf VW-Käfer-Chassis der Filipinetti I und später der Filipinetti II. 1967 endet seine Tätigkeit für Filipinetti.

Erste eigene Firma

1968 gründet Franco Sbarro in Grandson sein Atelier d’Etude de Construction Automobiles, kurz ACA. Der breiten Öffentlichkeit wird er aber erst mit dem SV1 (Safety Vehicle) von 1973 oder den für Modeschöpfer Pierre Cardin 1974 geschaffenen Stash bekannt. Seine Kreationen werden fortan auf dem Salon Genf sowie an der Mondiale de l’Automobile Paris oder der IAA Frankfurt gezeigt. Es entstehen extravagante und ausgefallene Autos und Replicas wie etwa die Neuinterpretation des BMW-Sportwagens 328, des Mercedes 540K, des Bugatti Royale oder dann die verschiedenen Lolas und eine Neuauflage des legendären Le-Mans-Siegers Ford GT 40.

Dazu kommen komplette Eigenkreationen wie 1978 die Geländewagen Windhound und Windhawk. Im gleichen Jahr entsteht für die Firma TAG der sechsrädrige Luxuskombi auf Cadillac-Basis mit dem spröden Namen Function Car. Beliebt sind bei arabischen Kunden auch die Mercedes-Umbauten mit Flügeltüren und wilder Farbgebung. Viele Sbarro-Fans sehen den 1985 entstandenen Challenge in konsequenter Ultra-Keilform als einer der Schaffenshöhepunkte an. Die Liste ist endlos und wächst immer noch weiter, denn bis dato hat er nicht aufgehört, Fahrzeuge zu kreieren.

Wissen weitergeben

Damit die Weitergabe seines Wissens gewährleistet ist, gründet der Maestro schliesslich 1992, also vor genau 30 Jahren, seine erste Schule, das Espace Sbarro, in Grandson und 1996 eine zweite, die Espera in Pontarlier, Frankreich. 2007 kommt die Autodesign-Schule in Montbéliard, Frankreich, hinzu, die heute noch aktiv ist. Auch in Afrika setzt Sbarro Akzente, als auf Wunsch von König Hassan II. von Marokko, einem treuen Sbarro-Kunden, in der Hauptstadt Casablanca die Créa-Schule entsteht. Notabene können von den acht Lehrern vier gar nicht Auto fahren. So ist der Automobilschöpfer zum Lehrer geworden, der seine Visionen an die nächste Generation weitergeben will. Er hat dabei die Theorie stets mit der Praxis verbunden. Die Schüler bekommen dreckige Hände wie er selbst, wenn er im roten Überkleid arbeitet. Sein Talent zur Wissensvermittlung besorgt den Rest.

Und so spannt sich der Bogen zum Autobau Romanshorn. Fredy Lienhard lernt den nimmermüden Autodesigner in Grandson kennen. Er ist sehr beeindruckt von seiner Schaffenskraft, seinem Mut und seiner Bescheidenheit. Die Schule in Grandson wird mit LISTA-(Lienhard Stahlbau)-Möbeln ausgestattet. Danach kauft Lienhard das Concept-Car Sbarro Helios, ein Auto, das ihm, gemäss seinen eigenen Worten, damals sehr gut gefiel und es heute noch tut. Auf diese Weise unterstützt Fredy Lienhard den Konstrukteur in seiner Kreativität bis heute.

Keine Rente in Sicht

Franco Sbarro ist mittlerweile 83 Jahre alt und arbeitet noch immer von Montag bis Freitag – typischerweise im roten Overall. Nur am Samstag nimmt er sich Zeit für Journalisten und seine Freunde, der Sonntag gehört seiner Familie. Seine schöpferische Kraft für Automobile will er auch weiterhin seinen Schülern weitergeben. Dabei sollten sie immer mit eisernem Willen auf ein Ziel hinarbeiten und daran glauben, es zu erreichen. Der unerschütterliche Glaube an den Traum vom eigenhändig geschaffenen Automobil ist dabei die wichtigste Triebkraft. So wie Franco Sbarro an eine bessere Zukunft glaubte, als er 1957 in der Schweiz aus dem Zug stieg.

Text: Elio Crestani/Stefan Fritschi
Fotos: Dario Fontana

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